Remo Daguati.
Wie erfolgreich ist der Kanton St.Gallen bei der Ansiedlung neuer Firmen? Das wollen die zuständigen Stellen nicht kommunizieren. Herausfinden lässt es sich aber dennoch. Im Gespräch mit Remo Daguati, Berater in Standortfragen, über das laute Schweigen des Kantons.
Die Ostschweizer Kantone verzichten auf die Kommunikation ihrer Ansiedlungszahlen, wie im Tagblatt zu lesen war. Wie beurteilen Sie diese Haltung?
Remo Daguati: Es ist sicher richtig, dass die Zahlen, welche in den letzten Tagen von der Volkswirtschaftsdirektorenkonferenz, den Greater Areas Westschweiz, Basel, Zürich und einzelner Kantone kommuniziert wurden, einen gewissen Interpretationsbedarf haben. Viele Kantone melden auch Expansionsvorhaben bereits ansässiger multinationaler Firmen als Ansiedlungsprojekte. Zudem variieren auch die Zeitpunkte, wann die Arbeitsplätze gezählt werden zwischen einem, drei und fünf Jahren, was eine Vergleichbarkeit erschwert, aber nicht verunmöglicht.
Dann haben Sie Verständnis für diese Kommunikationsstrategie?
Remo Daguati: Anstatt die Ansiedlungszahlen zu verschweigen, könnten die Ostschweizer Kantone die Anstrengungen für die bereits ansässigen Firmen und Neuansiedlungen aufschlüsseln, so wie das eine BaselArea oder der Kanton Luzern seit Jahren machen. Etwas zahnlos wirkt auf mich das Argument, man setze dafür stärker auf die Bestandespflege. Diesen Schwerpunkt haben auch andere Kantone wie Luzern, Zug, Schaffhausen, die Waadt oder Bern, sie agieren hier genauso vorbildhaft wie St.Gallen. Nur siedeln sie trotzdem regelmässig globale Topfirmen an.
Nachdem wir ja nun keine offiziellen Angaben erhalten: Wie haben sich denn aus Ihrer Sicht die Zahlen im Kanton St.Gallen entwickelt?
Remo Daguati: Die Ansiedlungszahlen sanken in der Schweiz seit 2005 relativ stark. In der Zeit von 2007 bis 2010 konnte der Kanton St.Gallen gegen diesen Trend jährlich rund 30 Firmen mit knapp über 1'000 Arbeitsplätzen im Wettbewerb mit anderen Standorten gewinnen. Darunter waren Projekte wie Würth in Rorschach, der Aldi Hauptsitz Schweiz in Jonschwil, die Chipfabrik der Espros Photonics in Sargans oder bedeutende Ausbauvorhaben von Stihl in Wil/Bronschhofen. Es kam im Nachhinein – wie in der Wirtschaft halt üblich – auch zur Aufgabe von Projekten - Sigma Aldrich, St.Gallen) - oder Schwierigkeiten nach der Inbetriebnahme wie beim Resort Walensee in Quarten. Ansiedlungsprojekte wiesen damals nach fünf Jahren eine Überlebensrate von 85 Prozent auf, was im Vergleich zu Neugründungen enorm hoch war.
Und in der jüngeren Vergangenheit?
Remo Daguati: Zwischen 2015 und 2017 wurden gerade noch 32 Ansiedlungen realisiert, diese waren im Vergleich zum Zeitraum 2011 bis 2013 nochmals um mehr als die Hälfte eingebrochen. Selbst wenn die Ansiedlungszahlen seit der Jahrtausendwende gesamtschweizerisch zurückgegangen sind: die Ostschweiz und der Kanton St.Gallen haben überdurchschnittlich Marktanteile an andere Landesteile verloren.
Remo Daguati.
Hand aufs Herz: Bringen Ansiedlungen volkswirtschaftlich überhaupt etwas angesichts der Chronologie, die Sie aufgezeigt haben?
Remo Daguati: Angesiedelte Firmen sind bei näherer Betrachtung eine Art Frischzellenkur für jeden Wirtschaftsraum. Neue Talente und Technologien können einem Standort neue Impulse verleihen. Wer die Jahresberichte mit Fallbeispielen der Greater Zurich Area, der Greater Geneva Berne area oder der BaselArea aus Ansiedlungen liest, wird inspiriert von einer Fülle von Zukunftstechnologien aus ICT/Blockchain, Medtech oder neuartigen Mobilitätssystemen. Und ganz nebenbei: Die Ansiedlung eines ausländischen Unternehmens hat wiederkehrende Steuereinnahmen durch die Firma selbst und vor allem deren Mitarbeitende zur Folge. Dass die Ostschweizer Kantone lieber auf Transferzahlungen aus dem NFA setzen, ist aus meiner Sicht keine kluge Wahl.
Trotz all dieser Effekte: Letztendlich ködern die Kantone die Firmen mit Steuererleichterungen, nach deren Ablauf ziehen die Firmen wieder weg. Das ist doch nicht nachhaltig?
Remo Daguati: Das ist eine alte Mär der Gewerkschaften und Linken. Fakt ist, dass das Gros der Steuererleichterungen für Ausbauvorhaben der bereits ansässigen Firmen gewährt wird. Mit dem OECD-Projekt Base Erosion and Profit Shifting (BEPS) wurde das Thema von Gewinnverschiebungen und Gewinnverkürzungen zudem aktiv angegangen. Die aggressive Steuergestaltung von multinationalen Unternehmen steht schon seit 2012 nicht mehr im Vordergrund der Standortförderung. Firmen wollen heute nachhaltige Steuerlösungen und ziehen Arbeitsplätze dort zusammen, wo die Rahmenbedingungen stimmen, Technologien weiterentwickelt und Talente rekrutiert werden können. Die erst kürzlich erfolgte Ansiedlung von Vertriebsfunktionen der Firma Adidas in Luzern mit 100 Arbeitsplätzen ist ein sehr gutes Beispiel hierfür.
Was würden Sie dem Kanton St.Gallen raten?
Remo Daguati: Solange die St.Galler Politik die Handbremse bei den Ansiedlungen angezogen lässt, sind auch meinen früheren Kolleginnen und Kollegen in der Standortförderung die Hände gebunden. Dem neuen Führungsteam um Karin Jung und Daniel Müller ist da mehr Unterstützung wünschen. Dann kann auch die Messlatte wieder höher angesetzt werden. Zudem müssen einige Baustellen der Vorjahre beseitigt werden. Das Dossier Innovationspark und wichtige Arealentwicklungen dürfen nicht mehr blockiert sein. Zudem muss die Erreichbarkeit des Regionalzentrums St.Gallen im nationalen wie internationalen Kontext auf Strasse wie Bahn deutlich beschleunigt werden. Schliesslich sind auch die verzettelten und unterkritischen Vermarktungsstrukturen in der Ostschweiz Standortpromotion zu hinterfragen.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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