Im Rahmen der «Reform 21» wollen die Regionalbanken der Raiffeisen zurück an die Macht - auf Kosten der Zentrale in St.Gallen. Der erste Angriff ist bereits lanciert in Form eines Sparpakets. Dennoch bleibt offen, wie das Tauziehen ausgeht.
Viele Jahre lang war Raiffeisen eine Bank mit erhöhtem Schnarchfaktor. Stocksolide, nicht zu Unrecht Bauernbank genannt. Es nicht allzu lange her, dass in der letzten Filiale die abschliessbare Schublade der einzige Schutz gegen Bankräuber war.
Und dann kam Pierin Vincenz. Was immer man von ihm nach seinem tiefen Fall halten mag: Er staubte ab, räumte auf, machte Raiffeisen zur Nummer drei der Schweizer Banken, zur Nummer eins im Hypothekargeschäft. Er eroberte mit Filialen die Städte, leistete sich eine Privatbank, sorgte höchstpersönlich für Glamour, ergänzt mit Berglercharme.
Das bedeutete auch, dass die Zentrale in St. Gallen immer mächtiger wurde. Vincenz kokettierte zwar immer damit, dass er nicht einen Chef, sondern rund 230 habe; die 230 unabhängigen Genossenschaften, die Raiffeisen ausmachen. Aber wer so viele Chefs hat, hat keinen, also konnte er ungestört schalten und walten. Nicht zum Schaden der Banken; während sich die beiden Grossbanken im Steuerstreit befanden, Multimilliarden an Bussen abliefern mussten und bis heute, siehe Frankreich, nicht aus der Bredouille kommen, segelte Raiffeisen unbeschadet durch alles durch.
Keine Probleme mit Schwarzgeldern, keine Probleme mit Kundensuche im Ausland, keine Probleme mit der Libor-Manipulation, alles super. Vor zwei Jahren noch legte Raiffeisen das beste Ergebnis aller Zeiten hin. Diese Jubelmeldung wurde aber in den Schatten gestellt von der Verhaftung und anschliessenden U-Haft von Vincenz.
Seit November letzten Jahres ist eine neue Mannschaft am Gerät. Bei einer systemrelevanten Bank, zu der sich Raiffeisen entwickelt hat, ist ein Faktor entscheidend: Compliance. Also die Einhaltung aller Regeln, Vorschriften, Gesetze. Nach der Finanzkrise eins wurde das zu einem Dickicht, zu einem wahren Dschungel aufgeforstet, zu einem Regelwildwuchs, der fast unüberblickbar ist, viele Ressourcen bindet und nur von einer Heerschar von ausgebildeten Fachkräften einigermassen überblickt werden kann.
Die Raiffeisenzentrale in St. Gallen macht dabei einen merkwürdigen Spagat. Einerseits stellt sie zentrale Dienstleistungen zur Verfügung, andererseits soll sie bei den regionalen Banken die Einhaltung aller Regeln kontrollieren. Während aber diese Regionalbanken Besitzer und Boss der Raiffeisen Schweiz sind. Solange Vincenz am Gerät war, stellte das kein Problem dar: Da gab es nur einen Boss. Ihn.
Nun haben aber die Regionalbanken Blut geleckt. Sie scharen sich unter dem Banner «Reform 21» und wollen verloren gegangene Macht zurückerobern. Wie genau, das wissen sie auch noch nicht. Denn das oberste Organ von Raiffeisen ist die Delegiertenversammlung, und diese Delegierten werden bislang nach einem geheimen Schlüssel aufgestellt. Diese müssten bei der nächsten ausserordentlichen Delegiertenversammlung im Herbst allfälligen Reformen mit Zweidrittelmehrheit zustimmen.
Dafür sollen der Zentrale in St. Gallen die Flügel gestutzt werden, so viel ist klar. Der erste Angriff ist bereits lanciert, unter dem ewig guten Kampfruf «es muss gespart werden». Die neue Führung hat vorgelegt, indem sie noch aus der Ära Vincent stammende Investitionen gewaltig abgeschrieben hat. Ein cleverer Schachzug, denn sollten sich die Investitionen doch nicht als so verlustreich entpuppen, stehen der neue CEO und der neue VR-Präsident als strahlende Sieger da – obwohl sie gar nicht gesiegt haben.
Aber wenn gespart werden muss, dann natürlich auch beim Wasserkopf Zentrale. Von den rund 11'000 Mitarbeitern sind rund 2'200 bei Raiffeisen Schweiz angestellt, davon wiederum 1200 in St. Gallen. Alleine hier sollen rund 200 Mitarbeiter entlassen werden. Ob das geschieht oder nicht, ein Ziel ist damit schon erreicht: Es herrscht Verunsicherung in der Zentrale, die sich auch noch nicht vom Schock der Vincenz-Affäre und des erzwungenen Abgangs seines Nachfolgers erholt hat.
Zudem fehlt der Zentrale ein charismatischer Führer; der neue CEO ist so glamourös wie sein Name Heinz Huber. Und der neue VR-Präsident Guy Lachappelle muss zuerst noch Stallgeruch annehmen und wird von Tamedia regelmässig mit einem Skandal aus seiner Vergangenheit bei der Basler Kantonalbank gequält. Obwohl Lachappelle damit erwiesenermassen nichts zu tun hatte, erklärte ihn der Oberchefredaktor von Tamedia noch letztes Jahr für «unwählbar».
Es gibt also einige Faktoren, die für ein Ende der Erfolgssträhne von Raiffeisen sprechen. Ein VR, der erst noch üben muss, um eine Zukunftsstrategie zu entwickeln. Eine graue Maus als CEO. Eine verunsicherte Zentrale. Und machtlüsterne Regionalbanken, die ihre formale Herrschaft wieder in eine reale verwandeln wollen.
Hoffentlich bleibt da nur der Raiffeisen-Platz in St. Gallen blutrot.
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