Da in den vergangenen zwei Jahren viele Anlässe und Feste abgesagt werden mussten, bleibt den Winzern ein grosser Überschuss an Wein. Diesen will die Agro Marketing AG Thurgau aber dennoch optimal wertschätzen. Deshalb hat sie ein Projekt gestartet.
Die Geschäftsführerin Simone May über die «Wiedergeburt» dieser Thurgauer Rotweine.
Die Agro Marketing Thurgau ist eine Aktiengesellschaft mit 16 Aktionären. Das Team arbeitet unter anderem im Auftrag des Landwirtschaftsamts des Kantons Thurgau. Sie macht das Basismarketing und die Absatzförderung für die Thurgauer Landwirtschaft. Darüber hinaus berät die Agro Marketing AG individuelle Produzenten und Verbände bei ihrem Marketing.
Die Aktiengesellschaft in Salenstein möchten einen Beitrag dazu leisten, den Rebbau, Obstbau und Gemüseanbau längerfristig nachhaltiger zu machen und deren Erträge optimal zu nutzen.
Simone May, wie sind Sie auf die Idee gekommen, überschüssigen Wein als Glühwein zu verkaufen?
2020 gab es nach dem Wegfall vieler Anlässe und Feste einen grossen Überschuss an Weinen. Daraufhin hat das Bundesamt für Landwirtschaft eine Deklassierungsprämie ausgesetzt, um den Absatz anzukurbeln. Dabei sollten Weine, die am Reifungshöhepunkt stehen, auf innovative Weise abgesetzt werden, ohne andere Schweizer Weine preislich zu attackieren. Agro Marketing hat daraufhin eine Marktanalyse vorgenommen mit der Zielsetzung, Nischenmärkte zu finden, die heute vorwiegend von ausländischen Weinen bedient werden. So sind wir auf den Glühwein gestossen. Das Potential in einem «normalen» Winter mit Messen und Märkten ist enorm. Da geht es um etliche hunderttausend Liter. Darüber hinaus sind die Wege, die «durchschnittliche Glühweine» zurücklegen, kaum zu glauben und unter ökologischen Gesichtspunkten ein Skandal. Die Idee, einen regionalen Schweizer Premium Glühwein nach Vorbild der Winzer Glühweine zu machen, ist aufgrund nüchterner Datenanalyse entstanden; persönlich habe ich vor dem Projekt kaum Glühwein getrunken.
Wer macht bei dieser Aktion alles mit?
Im Moment beteiligen sich das Weingut Saxer, die Mosterei Bussinger und Bärenmost. Allen ist wichtig das Beste aus den Ressourcen zu machen und auf nachhaltige Weise maximale Wertschöpfung zu erzielen. Die Ernte 2021 ist in fast allen landwirtschaftlichen Sektoren unterdurchschnittlich gewesen. Damit ist ungewiss, ob es 2022 wieder Schweizer Glühwein und –most geben wird. Aber, und dieses «aber» ist enorm wichtig für das langfristige Verständnis solcher Initiativen: Je unberechenbarer die Ernten durch den klimatischen Wandel werden, desto relevanter ist es für alle Produzenten und auch die Umwelt, die maximale Wertschöpfung aus den Erträgen zu erzielen. Dafür ist die Veredlung von überschüssigem Material zu etwas Neuem ein sehr zukunftsweisender Ansatzpunkt.
Wie wird der Schweizer Glühwein hergestellt?
Das klingt heute sehr einfach, aber 2020 haben wir schon etwas getüftelt: Wir geben dem Rotwein etwas Schweizer Zucker zu und kurz vor der Pasteurisierung fügen wir eine Essenz aus Gewürzen bei. Das Auflösen des Zuckers und auch das Pasteurisieren sind die kritischen Punkte. Denn selten wird Wein pasteurisiert; die Beigabe von Zucker verlangt aber diesen Schritt, um eine Nachgärung zu vermeiden. Andere Hersteller «schwefeln» ein zweites Mal. Das kam für uns nicht in Frage. Denn das ist unter anderem, was den Kopf am Tag danach schwer macht.
Man kann sich den Glühwein oder -most nachhause liefern lassen. Wohin liefern Sie?
Wir sind ein kleines Netzwerk und beliefern viele regionale Hofläden und Geschäfte. Dazu zählt auch die Öpfelfarm, die Glühwein und Glühmost via ihrem Onlineshop national bestellbar macht und Kunden zuschickt. Natürlich würden wir gerne mit einem Detailhändler kooperieren, aber dafür müssen wir noch mehr Erfahrungen sammeln. Wir produzieren die grösste Menge nämlich bereits im Sommer, um die Tanks für die Ernten zu leeren und ab Herbst ausliefern zu können.
Bekommen die Wein- und Mostproduzenten auch einen Anteil vom Ertrag?
Natürlich! Im Moment übernimmt Agro Marketing das Risiko und kauft alle Zutaten und das Verpackungsmaterial vorab ein. Der oder die Produzenten «kaufen» die Produkte aber zu einem Produktionspreis zurück und generieren über den Verkauf an ihre Kunden eine gute Marge. Ziel der Initiative ist, den Produzenten Wertschöpfung und Ertrag zukommen zu lassen. Das ist der Basisauftrag von Agro Marketing Thurgau.
Inwiefern unterstützt Sie der Zürcher Verein «Mehr als zwei»?
Mit dem Verein «Mehr als zwei» verbindet uns die Überzeugung, dass die Verschwendung von Lebensmitteln nicht akzeptabel ist. In der landwirtschaftlichen Produktion werden viele Ressourcen neben den Arbeitsstunden der Bauern eingesetzt wie zum Beispiel Saatgut, Wasser, Pflanzenschutzmittel etc. Wenn eine Ernte dann qualitativ nicht optimal ausfällt oder weniger abgesetzt werden kann als geplant, brauchen wir einen Plan B für dieses Obst und Gemüse. Daran arbeiten wir mit dem Verein «Mehr als zwei». Im Thurgau planen wir übrigens gemeinsam noch weitere Projekte dieser Art.
Manuela Müller (*1994) aus Marbach war bis Ende März 2022 als Redaktorin für «Die Ostschweiz» tätig.
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