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Höpli zum Freitag

Die Zehn-Millionen-Schweiz: Kneschaureks Prognose wird wohl doch noch wahr

Die Zehn-Millionen-Schweiz ist wieder in aller Munde. Deren Erfinder war – 1969 war’s – der St.Galler Ökonomieprofessor Francesco Kneschaurek. Er wurde angefeindet und dementierte – und hat wider eigenes Erwarten Recht bekommen.

Gottlieb F. Höpli am 27. August 2020

Stinksauer wurde der prominente Ökonom und HSG-Rektor Kneschaurek, wenn man ihn jeweils mit seiner Prognose von der «Zehn-Millionen-Schweiz» in Verbindung brachte. Doch die Zahl klebte zeitlebens auf seinem Rücken. Dabei habe er doch, so erklärte er jedem, der ihn darauf ansprach (ich war auch einer von ihnen), erklärt, dass es sich dabei doch überhaupt nicht um eine Prognose gehandelt habe, sondern um eine «Utopie-Variante». Die er in seinen «Perspektivstudien» zuhanden des Bundesrates verwendete, um volkswirtschaftliche und demographische Wenn-Dann-Entwicklungen zu erläutern. Heute spricht man in diesem Zusammenhang von Szenarien.

Zum Sturm der Entrüstung kam es, als die Medien die Zehn-Millionen-Schweiz als Prognose bezeichneten, die laut Kneschaurek im Jahre 2000 Wirklichkeit werden würde. 1969 hatte die Bevölkerung der Schweiz seit 1950 fast um ein Viertel zugenommen und betrug schwindelerregende 6,2 Millionen Einwohner. Die Nachteile des Wachstums begannen, sich bemerkbar zu machen: Eine wilde Bautätigkeit liess einen Siedlungsbrei im Mittelland befürchten, die Zuwanderung ausländischer Arbeitskräfte rief politische Gegenkräfte hervor, die in der Abstimmung über die Schwarzenbach-Initiative beinahe die Oberhand gewannen, und der Ölpreis-Schock von 1973 zeigte unangenehme Grenzen des Wachstums auf. Und da kam einer und prognostizierte für die Schweiz von 2000 zehn Millionen Einwohner. Schlagzeilen, Aufschrei, Entsetzen im Blätterwald (den es damals noch gab)!

Kneschaurek beeilte sich, seine «Prognose» zu relativieren. Solche Rechenspiele mit verschiedenen Varianten seien da, um die Entwicklung zu steuern: in der Raumplanung, in der Bildungs- und ja, auch in der Zuwanderungspolitik. Was ja dann tatsächlich geschah. Und 1974, im Schlussbericht des Kneschaurek-Berichts, war von einer Einwohnerzahl von 7,5 Mio. im Jahr 2000 die Rede. Darauf schauen wir heute, bei einer aktuellen Einwohnerzahl von 8,6 Millionen, schon fast gerührt zurück…

Die einstige Prognose von der Zehn-Millionen-Schweiz, die Kneschaurek als unrealistisches Szenario verstanden wissen wollte, ist heute schon fast zur mehrheitsfähigen Prognose geworden. Ob man sie befürchtet oder realistisch mit ihr rechnet: Niemand würde den Prognostiker wie vor 50 Jahren als «Spinner» bezeichnen, wie es etwa James Schwarzenbach damals tat. Dabei hätte er doch die Zehn-Millionen-Schweiz als Drohkulisse für seine Initiative verwenden können – wie es die SVP heute tut. Aber anscheinend hätte man ihm dies damals als masslose Übertreibung vorgehalten, der eh niemand Glauben schenkte. Wie sich die Zeiten ändern: Heute gewinnt man wohl keine Abstimmung mehr damit.

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Autor/in
Gottlieb F. Höpli

Gottlieb F. Höpli (* 1943) wuchs auf einem Bauernhof in Wängi (TG) auf. A-Matur an der Kantonssschule Frauenfeld. Studien der Germanistik, Publizistik und Sozialwissenschaften in Zürich und Berlin, Liz.arbeit über den Theaterkritiker Alfred Kerr.

1968-78 journalistische Lehr- und Wanderjahre für Schweizer und deutsche Blätter (u.a. Thurgauer Zeitung, St.Galler Tagblatt) und das Schweizer Fernsehen. 1978-1994 Inlandredaktor NZZ; 1994-2009 Chefredaktor St.Galler Tagblatt. Bücher u.a.: Heute kein Fussball … und andere Tagblatt-Texte gegen den Strom; wohnt in Teufen AR.

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