Ganz egal, wer den Ausserrhoder Nationalratssitz nach dem 20. Oktober besetzt: Eine Partei hat schon verloren. Mit ihrem Bekenntnis zur reinen Wahlhelferin droht der SP, sich als politische Kraft überflüssig gemacht zu haben.
Strategie gehört zum politischen Geschäft. Strategie, wenn es darum geht, zu gewinnen, Strategie aber auch, wenn es darum geht, Verluste zu verhindern. Die Ausserrhoder SP hat eine weitere Kategorie erfunden: Strategie, um einem politischen Gegner zu helfen, einen anderen politischen Gegner zu besiegen.
Mit Blick auf die Wahlen 2015 hat es die SP stets begründet, warum sie 2019 keine eigene Nationalratskandidatur aufstellt. Ihr Mitwirken hatte der SVP den Gewinn des Mandats ermöglicht, weil sich die Stimmen Mitte-links auf FDP und SP aufteilten und David Zuberbühler als lachender Dritter vom Feld ging. Das ist, Verzeihung für den Vergleich, ähnlich wie in einzelnen US-Präsidentschaftswahlen, als knappe Rennen zwischen Demokraten und Präsidenten durch das Mitwirken von parteilosen oder grünen Exoten entschieden wurden.
In diesem Sinn wäre es in der Tat eine logische Strategie gewesen, wenn FDP und SP eine Absprache treffen, um eine Wiederholung zu verhindern. Aber eben nur: Wäre. Wäre, wenn die Schnittmenge zwischen Freisinnigen und Sozialdemokraten gross genug wäre, um das zu rechtfertigen. Blickt man auf die politische Schweiz, sieht man schnell: Diese beiden Parteien haben wenig gemeinsam.
Im Gegenteil: Hier die FDP, die trotz eines kleinen klimatischen Anfalls für die Wirtschaft, die Eigenverantwortung, tiefe Steuern und Wachstum steht. Dort die SP, die vermutlich auch in 100 Jahren noch die Überwindung des Kapitalismus in der DNA haben wird, auf Umverteilung setzt und die Unternehmen stärker regulieren will. Auf Bundesebene lamentiert die SP seit vier Jahren über die bürgerliche Mehrheit aus SVP und FDP, geisselt die FDP für ihren neuen grünen Kurs und spricht immer noch abfällig über sie als Partei der Bonzen. Und in Ausserrhoden tut man nun so, als wäre man bei der Geburt getrennt worden. Freunde fürs Leben. Jeder weiss, dass dem nicht so ist, jeder weiss, dass hier der Glaube an das Richtige geopfert wurde für einen schnellen Effekt.
Wird die FDP-Nationalratskandidatin Jennifer Abderhalden gewählt, hat die SP ihren Job erledigt. Gleichzeitig ist sie mit Blick auf die Bundespolitik in Ausserrhoden für lange Zeit abgemeldet. Die FDP besetzt noch viele Jahre beide Sitze, und wird einer davon irgendwann frei, muss niemand ernsthaft glauben, die FDP überlasse diesen dann in einer Art verspätetem Austausch der SP. So weit zurück reicht das politische Gedächtnis nicht, wenn man Besitzansprüche hat.
Natürlich besteht Politik aus mehr als Wahlen. Aber wer die eigene Glaubwürdigkeit derart leicht verkauft, auf den fällt das auch bei kantonalen oder gar lokalen Fragen zurück. Zumindest die Sympathisanten der Partei werden sich fragen: Kann ich mich darauf verlassen, dass die SP das tut, was sie laut Programm verspricht - oder hat sie gerade mal wieder andere Pläne?
Die SVP hingegen wird Mal für Mal angreifen, um einen der beiden Sitze wieder für sich zu gewinnen und zurückzukehren nach Bern. Selbst wenn ihr das nicht gelingt, verschafft es ihr auf lange Sicht Profil. Ein Profil, das die SP freiwillig an der Kasse abgegeben hat.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.