Der Profiler Axel Petermann führt in der Region Lesungen seines neuen Buches «Im Auftrag der Toten» durch. Heute Abend zum zweiten Mal im Landgasthof Hölzlisberg im Eichberg, am Dienstag dann in Buchs. Wie es ihm ergeht, so nah am Tatort über ein verjährtes Verbrechen zu sprechen.
Axel Petermann, was hat Sie als Profiler aus Deutschland an dem Kristallhöhlenmord so gepackt und interessiert, dass Sie sich in Ihrem Buch unter anderem für diesen Mordfall entschieden haben?
Ich habe mich aus unterschiedlichen Gründe für den Fall der sogenannten Kristallhöhlenmorde entschieden. Zunächst war es lediglich die Anfrage einer überregionalen Schweizer Zeitung, vor fünf Jahren, eine fallanalytische Einschätzung dieser ungeklärten Morde vorzunehmen. Doch je intensiver ich mich mit dem dahinter liegenden Rätsel befasste, desto mehr Fragen als Antworten tauchten bei mir auf. Zum Beispiel: Mit welchen kommunikativen Fähigkeiten konnte der Täter die Mädchen – vermutlich – zur Kristallhöhle locken? Gegen welches der beiden Opfer richtete sich die Tat zunächst? Wie strukturiert ging der Mörder bei seinem Nachtatverhalten vor? Welche Überlegungen liessen ihn die beiden Fundorte der toten Mädchen im kaum begehbaren Felsmassiv auswählen? Wie erklären sich die Morde in der doch scheinbar heilen schweizerischen Bergwelt mit Heidi- und Almöhi-Romantik? Und – nicht zu vergessen –, wer war der Täter?
Als dann auch noch manche Angehörige in Gesprächen vermittelten, dass sie noch heute unter der Ungewissheit leiden, wer für die Taten verantwortlich ist und es für diesen Täter aufgrund der schweizerischen Verjährungsfristen keine irdische Strafe mehr geben könne, war mein Entschluss schnell gefasst, mich mit diesem Verbrechen weiter auseinanderzusetzen, um – hoffentlich – viele Antworten auf ihre Fragen zu erhalten.
Wie ist es für Sie jetzt Lesungen im Rheintal zu halten? Hier haben viele auch eventuell einen sehr nahen Bezug zum Fall?
Meine aktuellen Lesungen im Rheintal haben durchaus eine besondere Bewandtnis für mich, auch wenn ich in den letzten Jahren bereits mehrere Hundert Veranstaltungen zu den Fällen aus meinen anderen Büchern durchgeführt habe. Während es sich sonst für die Zuhörer bei den von mir beschriebenen Verbrechen um Taten handelt, von denen sie vielleicht schon einmal in den Medien gehört haben, ihnen also die Nähe zum Opfer, dem Täter und dem Tatort fehlt, sind dieses Mal die Zuhörer ganz dich dabei. Sie sind teilweise selbst Protagonisten dieser Morde, sei es als Angehörige der Opfer oder Täter, als Mitwisser oder gar Täter oder als Bewohner der Region. In Gesprächen nach den Veranstaltungen erlebe ich immer wieder die Betroffenheit der Zuhörer, da ihnen bewusst ist, dass der Täter – sollte er noch leben -, immer noch unter ihnen leben könnte und möglicherweise wieder morden könnte. Aber nicht nur das: Mehrere Frauen, die zur Tatzeit im Alter von Brigitte M. und Karin G. waren, berichteten mir von ihren Ängsten, die sie nach den Morden hatten. Sprachen aber auch davon, dass nach ihrer Meinung im Dorf der Name des Täters bekannt gewesen sein dürfte, jedoch verschwiegen wurde.
Auf jeden Fall sind meine Veranstaltungen auch für mich Herausforderungen, da ich viel konzentrierter und einfühlsamer beim Lesen vorgehe, um mich auf die Bedürfnisse und Erwartungen meiner Zuhörer einzustellen.
Wie reagieren Sie auf Leute, wie zum Beispiel den älteren Herr im Eichberg, der Ihnen vorgeworfen hat, dass Sie die Spur fälschlicherweise auf ihn gelegt hatten?
Das war schon eine Überraschung, dass der ältere Herr unmittelbar nach der Lesung das Wort ergriff, um sich über meine vermeintlichen Anschuldigungen zu beschweren. Wir beide hatten in den vergangenen Jahren wegen seiner Beobachtungen am Tattag immer wieder in Kontakt gestanden, aber er war auch derjenige gewesen, der mich bei der Suche eines Wanderweges zur Kristallhöhle durchaus in Lebensgefahr gebracht hatte.
Seine vermeintlich spontane Aktion am Veranstaltungstage war aus meiner Sicht vorbereitet. Schon vor der Lesung war er mir durch seine grosse Unruhe und sein Bemühen aufgefallen, ja nicht mit mir in Blickkontakt zu kommen. Trotzdem war ich von der Heftigkeit seiner Anschuldigungen überrascht, denn entgegen seinen Unterstellungen habe ich ihn nie in meinem Buch als Verdächtigen beschrieben. Seine Reaktion zeigt mir jedoch, wie sehr er auch nach 40 Jahren unter Spannung steht. Leider hat der Mann mein Angebot, mich mit ihm nach der Veranstaltung zu unterhalten, abgelehnt und ist gegangen.
Gibt es Leute, die wegen der Verjährung an Sie plädieren, den Fall ruhen zu lassen?
Sicherlich wird es Menschen geben, die dafür plädieren, dass der Fall ruhen möge; er sei verjährt, der Täter können nicht mehr belangt werden. Doch die Argumentation ist weitreichender. Es geht auch um die Betroffenheit von Angehörigen der beiden unschuldigen Opfer, die die schicksalhaften Geschehnisse verdrängen möchten, jedoch nicht damit abschliessen können. Dieser Wunsch ist natürlich zu akzeptieren, wobei hier durchaus ein Interessenkonflikt mit anderen persönlich betroffenen vorliegt.
Denken Sie, der oder die Täter interessieren sich für Ihr Buch und Ihre Theorien?
Davon gehe ich aus, dass – sofern die Täter noch leben sollten -, sie sich für meine Rechercheergebnisse und der von mir festgestellten Motivation interessieren dürften. Schliesslich führe ich neue Details über den Tatablauf und die Motivation der Täterschaft auf, wie sie zuvor noch nicht der Öffentlichkeit bekannt waren.
Die Anzahl der Besucher an meinen Lesungen ist trotz der aktuellen Covid-Beschränkungen sehr hoch. Auch heute, am 08. Oktober, rechne ich bei meiner Lesung im Landgasthof Hölzlisberg mit einem ausverkauften Haus. Und auch da werden unter den Besuchern auch Menschen sein, die eine Nähe zum Fall haben. Sei es, dass sie in die Tat involviert waren, Nähe zu dem/den Täter(n) hatten oder etwas wissen.
Eine Episode von gestern bestätigt diese Annahme. Da lässt mir ein profunder Kenner der damaligen Verhältnisse ein Schreiben zukommen, dass er sich in einer mir früher gegebenen Aussage korrigieren müsse, da er sich zu sehr von der öffentlichen Meinung habe leiten lassen. Vielmehr müsse er sich meiner Meinung anschliessen, dass der oder die Täter vielmehr aus dem Nahbereich der Kristallhöhle und dem Wissen über die dortigen geologischen Formationen zu finden seien.
Was gibt Ihnen den Anreiz, bei diesen Mordfall immer noch dran zu bleiben?
Tatsächlich geht es mir um das Lösen des diesem Verbrechen innewohnenden Rätsels. Ich weiss natürlich, dass niemand mehr für diese Tat juristisch belangt werden kann, doch möchte ich Angehörigen Antworten auf ihre bangen Fragen geben können. Aber auch eine Botschaft möchte ich mit meinen Bemühungen dem Täter überbringen: Seine Morde sind nicht vergessen und die heutige Diskussion soll ihn stets daran erinnern, was er den Opfern und ihren Familien angetan hat. Erlösung kann es für ihn aus meiner Sicht nur mit einem ehrlich gemeinten Geständnis geben.
Manuela Müller (*1994) aus Marbach war bis Ende März 2022 als Redaktorin für «Die Ostschweiz» tätig.
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