Joe Miller nutzte seinen Allerweltsnamen, um gemäss seiner Vorstellung die Welt von einem Übel zu befreien.
Er ist jung, weiss, zornig und uramerikanisch und hat sich selbst zur republikanischen Reinigungskraft der Geschichte ernannt. Seine Vorfahren stammen aus der Schweiz, der Ukraine, Irak und Irland. Als Rechtsanwalt residiert er nur drei Blocks vom Trump-Tower entfernt, kennt sich in der Gegend, die er sein «Dorf» nennt, bestens aus und weiss genau, wann und wo er Donald Trump genug nahekommen kann, um ihn aus der Welt zu befördern.
Seine Pistole hat er immer in seiner Schreibtischschublade liegen, sie ist ein Damenmodell und besonders klein, so kann er sie, mehrfach ausprobiert, in der engen Unterhose unter seinem wertvollsten Stück durch alle Sicherheitskontrollen durchbringen.
Doch vor dem Trump-Café gibt es dieses Mal nur Sichtkontrollen, er verkehrt dort regelmässig und man kennt sich. Er weiss, dass sein verhasster Präsident montags und mittwochs meist pünktlich um 15 Uhr zu einem Kaffee vorbeikommt, auch um die vielen Damen zu geniessen, die sich um diese Zeit hoffnungsvoll hier einfinden, um vielleicht eine kleine unsittliche Berührung zu ergattern. Joe hasst auch sie und fragt sich, wie sogenannte zivilisierte Menschen auf solch einen plumpen Typen hereinfallen können.
Trump enttäuscht ihn nicht, seine Coffee-Time ist so des Zuverlässigste, was er einhält. Sein noch-Präsident setzt sich an seinen Stammtisch, bekommt Sekunden später seinen Cappuccino, schimpft, dass der wieder viel zu heiss ist, erfüllt drei drallen Blondinen ihre Selfiewünsche, greift aber nur vor und nach dem Auslösen der Handys saftig zu, kippt reichlich Zucker in die Tasse, nimmt den ersten Schluck und sackt lautlos in sich zusammen.
Der Schuss war fast nicht zu hören, weil die Damen vor Begeisterung hysterisch laut aufgejauchzt hatten. Joe bleibt sitzen, wartet ab und ist im ersten Moment konsterniert, dass kaum jemand reagiert. Erst ein Ober erkennt, dass es kein Kreislaufkollaps ist, sondern ein Mordanschlag und schreit sich seinen Schmerz aus dem Leib: «Donald is dead!»
Im allgemeinen Chaos bleibt Joe noch ein paar Sekunden sitzen, schlägt sich für die Überwachungskameras ein paar Mal ins Gesicht und tut so, als wäre er entsetzt, schliesst sich einer Gruppe von Fliehenden an und sitzt bereits sieben Minuten später wieder an seinem Schreibtisch, lädt vorsichtshalber die Pistole nach, die er heute Abend weit weg vom Tatort in den East River werfen wird, und schaut sich leicht lächelnd die turbulenten TV-Nachrichten auf CNN an.
Ja, dies sind bewusste Dream-Fake-News, die zumindest in ihren kühnsten Vorstellungen die Welt positiver machen würden.
Wolf Buchinger (*1943) studierte an der Universität Saarbrücken Germanistik und Geografie. Er arbeitete 25 Jahre als Sekundarlehrer in St. Gallen und im Pestalozzidorf Trogen. Seit 1994 ist er als Coach und Kommunikationstrainer im Management tätig. Sein literarisches Werk umfasst Kurzgeschichten, Gedichte, Romane, Fachbücher und Theaterstücke. Er wohnt in Erlen (TG).
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