Die Schweiz geht ihren Weg in der Pandemie-Bekämpfung. Ist es der richtige? Schwer zu sagen. Aber er ist sicherlich nicht alternativlos.
Es macht wenig Sinn, in absoluten Zahlen die USA und die Schweiz und China zu vergleichen, obwohl die meisten Statistiken über die Pandemie das tun.
Sinnvoller ist, drei Länder zu vergleichen, die in Europa liegen, ähnlich hochentwickelte Gesundheitssysteme haben und auch ungefähr gleichviel Einwohner. Also Österreich mit 8,8 Millionen, Schweden mit 10,3 und die Schweiz mit 8,6. Schweden hat rund 20 Prozent mehr Einwohner, aber das vernachlässigen wir mal. Denn alle aktuellen Zahlen sind sowieso alles andere als wissenschaftlich erhärtet.
Interessant an diesem Vergleich ist, dass die drei Länder durchaus unterschiedliche Wege gehen, um die aktuelle Pandemie zu bekämpfen. Schweden setzt auf eine möglichst geringe Einschränkung der Gesellschaft und der Wirtschaft. Österreich hat schon sehr früh seine Landesgrenzen geschlossen, Mundschutzpflicht eingeführt und ist nun auch eines der ersten Länder, das die Restriktionen für Wirtschaft und Bevölkerung vollständig aufhebt.
Hier macht für einmal der Vergleich von absoluten Zahlen Sinn. Wie viele Infizierte gibt es? Diese positiv Getesteten sagen allerdings nichts über die Anzahl aller Infizierten aus, da die Krankheit in 90 Prozent aller Fälle ohne grosse Beschwerden oder sogar symptomfrei verläuft. Sie sagt eigentlich mehr über die Anzahl durchgeführter Tests aus. In Österreich werden rund 15'300 Infizierte gezählt, in Schweden 19’620 und in der Schweiz 29'113.
Auch die zweite Zahl ist mit grosser Vorsicht zu geniessen. Denn wer nach welchen Kriterien als Corona-Toter gezählt wird, ist eine weitere Blackbox, von Land zu Land verschieden. Auch in der Schweiz gibt es Debatten über den Unterschied zwischen «an» Covid-19 verstorben oder «mit» Covid-19 verstorben. Da zudem das Medianalter der Toten überall weit über 80 Jahre beträgt, konstatieren angesehene Rechtsmediziner, dass ihnen eigentlich kein Fall bekannt sei, bei dem der obduzierte Tote nicht mindestens eine schwere Vorerkrankung hatte, die seine Überlebenschancen sowieso auf wenige Monate reduzierten.
Aber wie auch immer: Österreich vermeldet rund 550 Tote, Schweden 2355 und die Schweiz 1703. Das ist nun ein signifikanter Unterschied zu Österreich, aber auch ein Unterschied zu Schweden, selbst wenn man die um 20 Prozent grössere Bevölkerung einberechnet.
Es soll hier nicht darum gehen, zur erbittert geführten Debatte beizutragen, welche Massnahmen besser seien, wer wie und wo versagte, wer es richtig macht oder falsch. Es geht aber darum: Da es offensichtlich in vergleichbaren Ländern sehr unterschiedliche Arten der Bekämpfung dieser Pandemie gibt, ist zumindest klar, dass niemand behaupten kann, sein Weg sei alternativlos.
Leider tut das aber die Schweizer Landesregierung, dabei assistiert von weiten Teilen der Massenmedien. So dekretierte Tamedia, die sich mit CH Media den Markt der Tageszeitungen mit unzähligen Kopfblättern teilt, dass der Bundesrat einfach mit allem «recht habe», Kritik zwar erlaubt sei, aber verantwortungslos und überflüssig. Das hat man sich leider vom grossen Kanton im Norden und von der noch grösseren EU abgeschaut. Auch dort ist das Wort «alternativlos» im Schwang, wenn Diskussionen verhindert werden sollen.
Dabei ist niemals eine Entscheidung alternativlos. Deshalb macht es immer Sinn, wenn parallel zu Entscheidungen eine möglichst breite und offene Debatte über deren Richtigkeit stattfindet. Das unterscheidet nicht nur freie Gesellschaften von Diktaturen, das ist auch der seit der Aufklärung bewährte Weg, um im Austausch von Argument und Gegenargument zu Erkenntnisgewinn zu gelangen.
Wird das unterdrückt, wie bislang in fast allen grossen Informationsquellen für die Bevölkerung, können sinnvolle Alternativen unberücksichtigt bleiben, werden abweichende Meinungen, auch von renommierten Fachleuten, als Querschlägerei, Nörgelei disqualifiziert und ignoriert. Erspart man sich mit dem fatalen Wort «alternativlos» die Mühe, sich auf eine Debatte einzulassen, Gegenargumente finden zu müssen.
Deshalb ist die Schweiz im Blindflug in den Notstopp hineingeraten, deshalb versucht sie nun, im Blindflug wieder herauszufinden. Diesmal aber begleitet vom Geschrei der verschiedenen Branchen, deren Lobbyisten und Einflüsterern, die natürlich für ihre Partikularinteressen kämpfen und eine möglichst schnelle Öffnung und vorher noch möglichst viel Staatshilfe einfordern.
Unter diesem Druck rudert der Bundesrat vor und zurück, es löst sich zunehmend das Traumgemälde eines führungsstarken Gesundheitsministers und eines zum Kult verklärten Sprechers des BAG auf. Denn auch das ist nicht alternativlos.
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