logo

Checks and Balances

Effizienter gerichtlicher Rechtsschutz – auch in Notrechtszeiten ein Muss

Stand heute können nur kantonale, nicht aber nationale Notverordnungen direkt vor Gericht angefochten werden. Mit einer Volksinitiative aus dem Kanton Zürich soll nun Druck auf Bundesbern ausgeübt werden, diesen Missstand zu beheben.

Artur Terekhov am 17. Oktober 2022

Eigentlich sollte es eine Selbstverständlichkeit sein. Auch in Notrechtszeiten, in welchen die Exekutive weitgehend ohne Involvierung der Legislative weitreichende Entscheide fällen darf, muss die Gewaltenteilung funktionieren, um staatlichen Machtmissbrauch oder zumindest eine zu hohe Machtkonzentration in den Händen einzelner EntscheidungsträgerInnen zu vermeiden. Checks and Balances sind mithin derart zentral für einen schlanken Rechtsstaat, welcher kein Selbstzweck ist, sondern (nur) die angeborenen Rechte seiner BürgerInnen zu schützen hat, dass man selbst dann für einen effizienten Rechtsschutz gegenüber notrechtlichen Anordnungen sein sollte, wenn man – in concreto, denn Notrecht kann theoretisch alles Mögliche betreffen – mit dem aktuellen Notrecht soweit einverstanden ist. Trotzdem sind nach heutiger Rechtslage nur kantonale Erlasse direkt vor Gericht anfechtbar, (Not-)Verordnungen auf Bundesebene hingegen nicht. Wer also die Rechtmässigkeit bundesrätlicher – und nicht bloss kantonaler – Notverordnungen gerichtlich hinterfragen möchte, dem bleibt oft nichts anderes übrig, als zu warten, bis er oder sie selber gebüsst, weggewiesen etc wird, um sich sodann gegen eine entsprechende Verfügung im Einzelfall zu wehren. Und dies – bis vor Bundesgericht – oft über drei Instanzen, womit ein Grundsatzurteil zu einer konkreten Frage oftmals erst mit zwei oder gar drei Jahren Verspätung vorliegt.

Diesen Missstand haben die Grünen – und diese haben sich in den letzten 2.5 Jahren mitnichten als besonders massnahmenkritische Partei profiliert – in rechtsstaatlich bewundernswerter Weise bereits im Mai 2020 erkannt und in Bundesbern eine Parlamentarische Initiative mit der Geschäftsnummer 20.430 eingereicht, welche die Einführung einer sog. abstrakten Normenkontrolle gegenüber bundesrätlichen Notverordnungen – oder solchen des Bundesparlaments – fordert. Damit könnte künftig auch eine nationale – und nicht nur eine kantonale – Notverordnung direkt vor Gericht angefochten werden (und nicht erst im konkreten Anwendungsfall). Somit könnten Betroffene – und dies sind bei Notrecht regelmässig weite Kreise der Bevölkerung – unmittelbar an ein Gericht gelangen und würde ein Grundsatzurteil zur Frage der Rechtmässigkeit einer konkreten Notrechtsbestimmung auch zeitnah ergehen und nicht erst mit grosser Verspätung. Doch während die nationalrätliche Kommission den Vorstoss befürwortet, stellt sich die ständerätliche Kommission gegen das Anliegen. Erneut ein seltsames Rechtsverständnis des Ständerats, der nicht gerade für Transparenz bekannt ist und sich erstmals im Dezember 2021 durchgerungen hat, sein Geschäftsreglement dahingehend zu ändern, dass wirklich alle Abstimmungsresultate mit Namensliste veröffentlicht würden, als ob wir nicht schon längst ein Öffentlichkeitsprinzip hätten.

Der Umstand, dass eine von zwei Bundesparlamentskammern bereits auf der eigenen Seite ist, ist dabei eine gute Basis, um weiteren Druck auf Bundesbern auszuüben, damit der Rechtsschutz (auch) gegenüber nationalen Notverordnungen endlich ausgebaut wird. Angesichts dessen, dass seit Covid – Stichworte Ukraine und Energie – die Hemmschwelle zur Anwendung des ausserordentlichen Handlungsinstruments Notrecht durch den Bundesrat offensichtlich gesunken ist, hat das Anliegen neben allen liberal-rechtsstaatlichen, gewaltenteilungstreuen Grundsatzerwägungen auch eine hochaktuelle Komponente. Dies umso mehr, als – in puncto Energiekrise – Art. 83 lit. j BGG explizit vorsieht, dass Entscheide betreffend die wirtschaftliche Landesversorgung bei schweren Mangellagen vor Bundesgericht im Einzelfall nicht anfechtbar sind. Ohne Einführung einer abstrakten Normenkontrolle, um nicht einen konkreten Entscheid, sondern direkt die Verordnung anfechten zu können, wäre ein Rechtsschutz vor dem höchsten Schweizer Gericht also sehr oft gar nicht möglich bzw. nur mittels Strafprozess, wenn man für bereits begangenen Ungehorsam bestraft werden soll.

Vor diesem Hintergrund sammelt im Kanton Zürich seit Ende letzter Woche ein 12-köpfiges – vom Autor dieses Beitrags präsidiertes – überparteiliches Komitee mit VertreterInnen aus SVP, FDP, GLP, Aufrecht, Libertäre Partei und mehreren parteilosen JuristInnen Unterschriften für eine kantonale Initiative. Ziel ist die Einreichung einer Standesinitiative in Bern mit ähnlichem Anliegen, das die Grünen bereits vor zwei Jahren aufgebracht haben. Denn steter Tropfen höhlt den Stein.

Einige Highlights

Uzwilerin mit begrenzter Lebenserwartung

Das Schicksal von Beatrice Weiss: «Ohne Selbstschutz kann die Menschheit richtig grässlich sein»

am 11. Mär 2024
Im Gespräch mit Martina Hingis

«…und das als Frau. Und man verdient auch noch Geld damit»

am 19. Jun 2022
Das grosse Gespräch

Bauernpräsident Ritter: «Es gibt sicher auch schöne Journalisten»

am 15. Jun 2024
Eine Analyse zur aktuellen Lage

Die Schweiz am Abgrund? Wie steigende Fixkosten das Haushaltbudget durcheinanderwirbeln

am 04. Apr 2024
DG: DG: Politik

«Die» Wirtschaft gibt es nicht

am 03. Sep 2024
Gastkommentar

Kein Asyl- und Bleiberecht für Kriminelle: Null-Toleranz-Strategie zur Sicherheit der Schweiz

am 18. Jul 2024
Gastkommentar

Falsche Berechnungen zu den AHV-Finanzen: Soll die Abstimmung zum Frauenrentenalter wiederholt werden?

am 15. Aug 2024
Gastkommentar

Grenze schützen – illegale Migration verhindern

am 17. Jul 2024
Sensibilisierung ja, aber…

Nach Entführungsversuchen in der Ostschweiz: Wie Facebook und Eltern die Polizeiarbeit erschweren können

am 05. Jul 2024
Pitbull vs. Malteser

Nach dem tödlichen Übergriff auf einen Pitbull in St.Gallen: Welche Folgen hat die Selbstjustiz?

am 26. Jun 2024
Politik mit Tarnkappe

Sie wollen die angebliche Unterwanderung der Gesellschaft in der Ostschweiz verhindern

am 24. Jun 2024
Paralympische Spiele in Paris Ende August

Para-Rollstuhlfahrerin Catherine Debrunner sagt: «Für ein reiches Land hinkt die Schweiz in vielen Bereichen noch weit hinterher»

am 24. Jun 2024
Politik extrem

Paradox: Mit Gewaltrhetorik für eine humanere Gesellschaft

am 10. Jun 2024
Das grosse Bundesratsinterview zur Schuldenbremse

«Rechtswidrig und teuer»: Bundesrätin Karin Keller-Sutter warnt Parlament vor Verfassungsbruch

am 27. Mai 2024
Eindrucksvolle Ausbildung

Der Gossauer Nicola Damann würde als Gardist für den Papst sein Leben riskieren: «Unser Heiliger Vater schätzt unsere Arbeit sehr»

am 24. Mai 2024
Zahlen am Beispiel Thurgau

Asylchaos im Durchschnittskanton

am 29. Apr 2024
Interview mit dem St.Galler SP-Regierungsrat

Fredy Fässler: «Ja, ich trage einige Geheimnisse mit mir herum»

am 01. Mai 2024
Nach frühem Rücktritt: Wird man zur «lame duck»?

Exklusivinterview mit Regierungsrat Kölliker: «Der Krebs hat mir aufgezeigt, dass die Situation nicht gesund ist»

am 29. Feb 2024
Die Säntis-Vermarktung

Jakob Gülünay: Weshalb die Ostschweiz mehr zusammenarbeiten sollte und ob dereinst Massen von Chinesen auf dem Säntis sind

am 20. Apr 2024
Neues Buch «Nichts gegen eine Million»

Die Ostschweizerin ist einem perfiden Online-Betrug zum Opfer gefallen – und verlor dabei fast eine Million Franken

am 08. Apr 2024
Gastkommentar

Weltweite Zunahme der Christenverfolgung

am 29. Mär 2024
Aktionswoche bis 17. März

Michel Sutter war abhängig und kriminell: «Ich wollte ein netter Einbrecher sein und klaute nie aus Privathäusern»

am 12. Mär 2024
Teuerung und Armut

Familienvater in Geldnot: «Wir können einige Tage fasten, doch die Angst vor offenen Rechnungen ist am schlimmsten»

am 24. Feb 2024
Naomi Eigenmann

Sexueller Missbrauch: Wie diese Rheintalerin ihr Erlebtes verarbeitet und anderen Opfern helfen will

am 02. Dez 2023
Best of 2023 | Meine Person des Jahres

Die heilige Franziska?

am 26. Dez 2023
Treffen mit Publizist Konrad Hummler

«Das Verschwinden des ‘Nebelspalters’ wäre für einige Journalisten das Schönste, was passieren könnte»

am 14. Sep 2023
Neurofeedback-Therapeutin Anja Hussong

«Eine Hirnhälfte in den Händen zu halten, ist ein sehr besonderes Gefühl»

am 03. Nov 2023
Die 20-jährige Alina Granwehr

Die Spitze im Visier - Wird diese Tennisspielerin dereinst so erfolgreich wie Martina Hingis?

am 05. Okt 2023
Podcast mit Stephanie Stadelmann

«Es ging lange, bis ich das Lachen wieder gefunden habe»

am 22. Dez 2022
Playboy-Model Salomé Lüthy

«Mein Freund steht zu 100% hinter mir»

am 09. Nov 2022
Neue Formen des Zusammenlebens

Architektin Regula Geisser: «Der Mensch wäre eigentlich für Mehrfamilienhäuser geschaffen»

am 01. Jan 2024
Podcast mit Marco Schwinger

Der Kampf zurück ins Leben

am 14. Nov 2022
Hanspeter Krüsi im Podcast

«In meinem Beruf gibt es leider nicht viele freudige Ereignisse»

am 12. Okt 2022
Stölzle /  Brányik
Autor/in
Artur Terekhov

MLaw Artur Terekhov ist selbstständiger Rechtsvertreter in Oberengstringen ZH.

Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.