Stand heute können nur kantonale, nicht aber nationale Notverordnungen direkt vor Gericht angefochten werden. Mit einer Volksinitiative aus dem Kanton Zürich soll nun Druck auf Bundesbern ausgeübt werden, diesen Missstand zu beheben.
Eigentlich sollte es eine Selbstverständlichkeit sein. Auch in Notrechtszeiten, in welchen die Exekutive weitgehend ohne Involvierung der Legislative weitreichende Entscheide fällen darf, muss die Gewaltenteilung funktionieren, um staatlichen Machtmissbrauch oder zumindest eine zu hohe Machtkonzentration in den Händen einzelner EntscheidungsträgerInnen zu vermeiden. Checks and Balances sind mithin derart zentral für einen schlanken Rechtsstaat, welcher kein Selbstzweck ist, sondern (nur) die angeborenen Rechte seiner BürgerInnen zu schützen hat, dass man selbst dann für einen effizienten Rechtsschutz gegenüber notrechtlichen Anordnungen sein sollte, wenn man – in concreto, denn Notrecht kann theoretisch alles Mögliche betreffen – mit dem aktuellen Notrecht soweit einverstanden ist. Trotzdem sind nach heutiger Rechtslage nur kantonale Erlasse direkt vor Gericht anfechtbar, (Not-)Verordnungen auf Bundesebene hingegen nicht. Wer also die Rechtmässigkeit bundesrätlicher – und nicht bloss kantonaler – Notverordnungen gerichtlich hinterfragen möchte, dem bleibt oft nichts anderes übrig, als zu warten, bis er oder sie selber gebüsst, weggewiesen etc wird, um sich sodann gegen eine entsprechende Verfügung im Einzelfall zu wehren. Und dies – bis vor Bundesgericht – oft über drei Instanzen, womit ein Grundsatzurteil zu einer konkreten Frage oftmals erst mit zwei oder gar drei Jahren Verspätung vorliegt.
Diesen Missstand haben die Grünen – und diese haben sich in den letzten 2.5 Jahren mitnichten als besonders massnahmenkritische Partei profiliert – in rechtsstaatlich bewundernswerter Weise bereits im Mai 2020 erkannt und in Bundesbern eine Parlamentarische Initiative mit der Geschäftsnummer 20.430 eingereicht, welche die Einführung einer sog. abstrakten Normenkontrolle gegenüber bundesrätlichen Notverordnungen – oder solchen des Bundesparlaments – fordert. Damit könnte künftig auch eine nationale – und nicht nur eine kantonale – Notverordnung direkt vor Gericht angefochten werden (und nicht erst im konkreten Anwendungsfall). Somit könnten Betroffene – und dies sind bei Notrecht regelmässig weite Kreise der Bevölkerung – unmittelbar an ein Gericht gelangen und würde ein Grundsatzurteil zur Frage der Rechtmässigkeit einer konkreten Notrechtsbestimmung auch zeitnah ergehen und nicht erst mit grosser Verspätung. Doch während die nationalrätliche Kommission den Vorstoss befürwortet, stellt sich die ständerätliche Kommission gegen das Anliegen. Erneut ein seltsames Rechtsverständnis des Ständerats, der nicht gerade für Transparenz bekannt ist und sich erstmals im Dezember 2021 durchgerungen hat, sein Geschäftsreglement dahingehend zu ändern, dass wirklich alle Abstimmungsresultate mit Namensliste veröffentlicht würden, als ob wir nicht schon längst ein Öffentlichkeitsprinzip hätten.
Der Umstand, dass eine von zwei Bundesparlamentskammern bereits auf der eigenen Seite ist, ist dabei eine gute Basis, um weiteren Druck auf Bundesbern auszuüben, damit der Rechtsschutz (auch) gegenüber nationalen Notverordnungen endlich ausgebaut wird. Angesichts dessen, dass seit Covid – Stichworte Ukraine und Energie – die Hemmschwelle zur Anwendung des ausserordentlichen Handlungsinstruments Notrecht durch den Bundesrat offensichtlich gesunken ist, hat das Anliegen neben allen liberal-rechtsstaatlichen, gewaltenteilungstreuen Grundsatzerwägungen auch eine hochaktuelle Komponente. Dies umso mehr, als – in puncto Energiekrise – Art. 83 lit. j BGG explizit vorsieht, dass Entscheide betreffend die wirtschaftliche Landesversorgung bei schweren Mangellagen vor Bundesgericht im Einzelfall nicht anfechtbar sind. Ohne Einführung einer abstrakten Normenkontrolle, um nicht einen konkreten Entscheid, sondern direkt die Verordnung anfechten zu können, wäre ein Rechtsschutz vor dem höchsten Schweizer Gericht also sehr oft gar nicht möglich bzw. nur mittels Strafprozess, wenn man für bereits begangenen Ungehorsam bestraft werden soll.
Vor diesem Hintergrund sammelt im Kanton Zürich seit Ende letzter Woche ein 12-köpfiges – vom Autor dieses Beitrags präsidiertes – überparteiliches Komitee mit VertreterInnen aus SVP, FDP, GLP, Aufrecht, Libertäre Partei und mehreren parteilosen JuristInnen Unterschriften für eine kantonale Initiative. Ziel ist die Einreichung einer Standesinitiative in Bern mit ähnlichem Anliegen, das die Grünen bereits vor zwei Jahren aufgebracht haben. Denn steter Tropfen höhlt den Stein.
MLaw Artur Terekhov ist selbstständiger Rechtsvertreter in Oberengstringen ZH.
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