Er hat seine psychische Erkrankung überwunden, und setzt sich jetzt genau dafür ein: Bruno Facci war an der ersten Behindertensession in Bern mit dabei. Weshalb noch viel getan werden muss, damit sich niemand ausgeschlossen fühlt, erklärt er im Interview.
Weshalb war es für Sie klar, dass Sie sich an der Behindertensession in Bern einbringen wollen?
Ich engagiere mich in der Vereinigung von Angehörigen psychisch Kranker, VASK – im Schweizerischen Dachverband als Co-Präsident, in der VASK Ostschweiz als Vizepräsident. Die VASK gibt sich in ihrem Leitbild den Auftrag, grundlegende Verbesserungen der Situation der Angehörigen und der Behandlung psychisch kranker Menschen zu erreichen. Solche grundlegenden Verbesserungen strebt unter anderem die Behindertenrechtskonvention (BRK) an. Sie wurde 2014 von der Schweiz ratifiziert.
An der Behindertensession beantragte ich, dass die konsequente und zeitgerechte Umsetzung der Behindertenkonvention in der Resolution aufgenommen wird, die an dem Bundesparlamente vorgelegt wird. Bedauerlicherweise wurde dieser Antrag nicht angenommen.
Die Behindertensession wird zum ersten Mal durchgeführt. Hätte es das nicht schon früher gebraucht?
Unbedingt. Die Ratifizierung der BRK wäre ein passender Anlass dafür gewesen, weil die Rechte der Behinderten und damit auch ihre Situation in der Schweiz im Vergleich mit anderen Ländern aus Europa hinterherhinken. Ich denke, lieber spät als nie. Jetzt ist vorgesehen, weitere Behindertensessionen durchzuführen. Damit soll der Druck auf die Politik und die Zivilgesellschaft aufrechterhalten werden, um mit den Behindertenrechten vorwärtszumachen.
Wie fühlen Sie sich im Alltag akzeptiert?
Da ich vor vielen Jahren meine psychische Erkrankung überwand, fühle ich mich im Alltag akzeptiert.
Und in welchen Bereichen eher nicht?
Viele Betroffene und Angehörigen, mit denen ich in meiner freiwilligen Tätigkeit in der VASK im Kontakt bin, leiden – die einen mehr, die anderen weniger – unter dem Stigma, das psychisch Kranken anhaftet. Das führt bei vielen zu Schuld- und Schamgefühlen. Manche betrachten psychische Erkrankung auch als Schande. Viele von einem psychischen Leiden betroffene Menschen verstecken deswegen ihre Krankheit, reden nicht darüber, ziehen sich zurück.
Was müsste getan werden, damit sich alle besser integriert fühlen?
Es braucht mehr Aufklärung über die psychischen Erkrankungen. Damit würde auch das Verständnis dafür wachsen. Weiter sollten wir toleranter gegenüber Menschen werden, die nicht so sind wie alle anderen. Schliesslich ist es normal, verschieden zu sein.
Woran stören Sie sich am meisten?
Ich bedaure sehr, dass die Psychiatrie in der aus dem 19. Jahrhundert stammenden Idee verharrt, psychische Erkrankungen seien Gehirnkrankheiten. Es ist längst erwiesen, dass psychische Erkrankungen überwiegend psychologische und soziale Ursachen haben. Ebenso hat sich gezeigt, dass psychisch kranke Menschen, wenn immer möglich, zu Hause oder im sozialen Umfeld therapiert werden sollten. Dies ist nicht nur erfolgreicher, sondern auf die Dauer wirksamer und nachhaltiger als die stationäre Psychiatrie. Auch in der Schweiz gibt es einzelne, kleinere Einrichtungen, die diese Art der Psychiatrie erfolgreich anbieten.
Was erhoffen Sie sich von der Behindertensession?
Einmal hoffe ich, dass der ersten Behindertensession wirklich viele weitere folgen. Und zwar so viele, bis die Behindertenrechtskonvention vollumfänglich umgesetzt ist. Weil bei der ersten Behindertensession die Menschen mit Körper-, Sinnesbehinderungen und kognitiven Einschränkungen eine Plattform erhalten und diese hervorragend genutzt haben, wünsche ich mir, dass dies auch den psychisch Behinderten gelingt. Das ist nicht so einfach, weil deren Behinderung unsichtbar ist. Diese müssen in den nächsten Behindertensessionen stärker beachtet und deren Anliegen gewürdigt werden. Die Medienschaffenden sind dabei gehalten, passende Formen der Berichterstattung zu verwenden.
In der am Abend des 24. März 2023 live ausgestrahlten Arena Spezial auf SRF 1 waren die psychisch Behinderten gar nicht vertreten. Zwar wurde auch über sie gesprochen. Das macht die Sache aber nicht besser. Im Gegenteil. Denn in der Behindertenbewegung gilt der Grundsatz: Nichts über uns, ohne uns.
Die erste Behindertensession betrachte ich als historisches Ereignis. Behinderte machen sich auf, für ihre Rechte einzustehen. Es gibt unter ihnen herausragende Persönlichkeiten, die mutig, engagiert und gekonnt für die Sache der Behinderten einstehen.
Von den Behindertensessionen verspreche ich mir, dass sie Treiber sind, um die Umsetzung der Behindertenrechtskonvention vorantreiben. Die Psychiatrie ist mit ihren verschiedenen Formen der freiheitsbeschränkenden Massnahmen Ausschuss der BRK beim letztjährigen Kontrollbesuch negativ aufgefallen. Diese massiv zu reduzieren, muss das Ziel einer modernen Psychiatrie sein. Schliesslich sind es diese, die die Rechte der Patienten massiv einschränken und diskriminierend und stigmatisierend sind.
Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».
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