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Werk von Stephan Sigg

Ein Buch über peinliche Mütter und Väter – Wann hat sich der Autor selbst für seine Eltern geschämt?

In seinem neuen Buch wagt sich der St.Galler Autor Stephan Sigg an ein brisantes Thema: Konflikte zwischen Jugendlichen und ihren Eltern. Wie reagiert man darauf, wenn man den eigenen Kindern plötzlich peinlich ist?

Manuela Bruhin am 07. September 2023

Stephan Sigg, erinnern Sie sich noch daran, wann und weshalb Ihnen Ihre Eltern peinlich wurden?

Meine Mutter kommt aus Vorarlberg, da war es mir in der Oberstufe plötzlich peinlich, dass sie manche Dialekt-Wörter immer ganz anders oder komisch ausgesprochen hat. Aber nachdem ich mich jetzt als Autor einige Zeit lang mit dem Thema beschäftigt und mitbekommen habe, was manche Jugendliche heute mit ihren Eltern erleben, bin ich rückblickend eigentlich mehr als zufrieden mit meinen Eltern.

Das heisst, Sie haben gute Erinnerungen an Ihre Jugendzeit? Waren Sie rebellisch oder eher zurückgezogen?

Ich kann mich an keine extremen Konflikte mit meinen Eltern erinnern, es waren eher kleine Auseinandersetzungen. Ich glaube, das lag auch daran, dass mir meine Eltern immer sehr viel Freiraum liessen und mir vertrauten, dass ich weiss, wo die Grenzen sind. Ich musste deshalb nicht gegen ein Korsett ankämpfen oder rebellieren.

Und dennoch dieses Buch… Es handelt von Konflikten zwischen Jugendlichen und Eltern. Sie gehen das Thema humorvoll an. Ist Humor der richtige Weg, wenn Eltern oder Jugendlichen sich nicht richtig verstanden fühlen?

Bei akuten Konflikten zwischen Eltern und Jugendlichen ist Humor wohl nicht der richtige Weg, da würde man nur zusätzliches Öl ins Feuer giessen (lacht). Aber es kann eine Hilfe für Eltern sein, sich in solchen Situationen selber nicht allzu ernst zu nehmen und die Erinnerung zurückzurufen, wie man selber als Teenager war und welche Gefühle man damals hatte. Wenn man dann über sich selber lachen kann, löst das eine Verkrampfung. Und vielleicht kann man sich dann ganz anders und lockerer auf einen Dialog mit dem pubertierten Jugendlichen einlassen.»

Sie gehen in Ihrem Buch die Frage an, weshalb Eltern ihren Kindern überhaupt peinlich sind. Haben Sie eine Antwort gefunden?

Das hat viele Ursachen und ist sicher sehr individuell. Jugendliche wollen ihre eigene Identität finden und sich von zuhause abnabeln. Da fängt man automatisch an, sich Gedanken über sein Leben zu machen und Vergleiche mit anderen anzustellen. Ihnen ist es wichtig, von Gleichaltrigen als cool wahrgenommen zu werden und sie haben deshalb Angst, dass sie sich über die Eltern lustig machen: wegen ihrer Frisur, ihrer Kleidung, ihres Dialekts oder eines besonderen Hobbies. Oft spielt sicher auch eine Rolle, dass sie sich von ihren Eltern zu wenig ernst genommen fühlen – die Eltern behandeln sie immer noch wie Kinder und nicht als Personen mit eigenem Willen und eigenen Wünschen. Beispielsweise verabschieden sie sich von den Kindern noch immer mit einem Kuss oder sie rufen sie in aller Öffentlichkeit mit einem Kosenamen – das kann dann plötzlich total daneben sein.

Ihre Geschichte handelt in der Gallusstadt. Weshalb war es Ihnen wichtig, die Szenen in der Ostschweiz spielen zu lassen?

Jugendbücher spielen oft irgendwo: in Berlin, in Hamburg, in Zürich, aber die Ostschweiz kommt in der Jugendliteratur kaum vor. Ich mache viele Schullesungen in der ganzen Deutschschweiz, in Deutschland und Österreich und deshalb hat es mich gereizt, einmal eine Geschichte in der Stadt spielen zu lassen, in der ich zu Hause bin. Dabei habe ich natürlich auch besonders an Jugendliche in der Ostschweiz gedacht: Sie können sich mit der Geschichte gleich viel besser identifizieren und sich viel schneller vorstellen, was wo passiert und wie es dort aussieht.

Wie leicht – oder eben nicht – ist Ihnen das Schreiben dieses Mal gefallen?

Ich hatte zunächst ein ganz anderes Thema im Kopf und habe mir dafür etwa ein halbes Jahr den Kopf zerbrochen. Trotz mehrerer Anläufe hat es einfach nicht «Klick» gemacht. Dann habe ich mich auf das Thema peinliche Eltern konzentriert, weil ich schon länger etwas darüberschreiben wollte. Und da hat sich der Plot sehr schnell und fast von allein entwickelt.

Weshalb?

Offensichtlich war die Geschichte schön länger in mir, sie hat sich unbewusst über einen längeren Zeitraum entwickelt. Für mich ein Zeichen, dass ich mich für das richtige Thema entschieden habe. Offensichtlich lag es auch daran, dass ich seit vielen Jahren immer wieder Beispiele von betroffenen Eltern und Jugendlichen gehört habe. Viele von denen konnte ich für meine Geschichte verwenden.

An wen richtet sich das Buch?

In erster Linie schreibe ich meine Jugendbücher für alle Jugendlichen, besonders liegen mir aber junge Menschen am Herzen, die nicht gerne lesen oder sich mit Lesen schwertun. Ich möchte ihnen mit meiner Geschichte eine niederschwellige Leseerfahrung ermöglichen, die ihnen guttut und sie stärkt. Dieses Buch ist gleichzeitig aber auch ein Buch für alle Erwachsene. Ich höre in meinem privaten und beruflichen Umfeld so oft Erwachsene, die negative Vorurteile gegenüber Jugendlichen haben oder junge Menschen nicht verstehen. Es wäre schön, wenn die Geschichte hilft, Vorurteile abzubauen und für ein offenes Miteinander der Generationen zu motivieren.

Haben Sie vielleicht einen Tipp für diejenigen, die sich gerade in der Phase befinden – egal, ob Eltern oder Jugendliche?

Manchmal gibt es Momente, in denen es besser ist, Abstand zu nehmen und sich aus dem Weg zu gehen – anstatt auf Biegen und Brechen einen Konflikt lösen zu wollen. Oft beruhigt sich dann alles von selber. Für Jugendliche und Erwachsene kann es hilfreich sein, sich gegenseitig mehr Fragen zu stellen: Warum willst du das? Warum ist dir das so wichtig? Warum hast du ein Problem damit? Und dann ganz offen und ehrlich miteinander sprechen. Für Jugendliche ist es auch spannend, wenn sie erfahren, wie Erwachsene in ihrer Jugend waren und was für Konflikte sie mit ihren Eltern gehabt haben. Da können gerade Grosseltern wichtige Vermittler sein.

Stölzle /  Brányik
Autor/in
Manuela Bruhin

Manuela Bruhin (*1984) aus Waldkirch ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».

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