Oben im Bild: ein Paar. Vielleicht frisch verliebt. Doch die Aufnahme ist stossend. Denn wir erkennen ein Hinterteil. Eigentlich ja zwei. Aber relevant ist nur das rechts im Bild. Denn das gehört einer Frau. Willkommen bei der Debatte darüber, ob man eine Fussballerin auch von hinten ablichten darf.
Steffi Buchli, Sportchefin beim «Blick», hatte jüngst eine schwere Entscheidung zu fällen. Es ging um einen Artikel über die Schweizer Fussballerin Alisha Lehmann. Eine Mitarbeiterin zeigte Buchli das Foto, mit dem sie den entsprechenden Beitrag bebildern wollte und war offensichtlich selbst in einem Zwiespalt.
Die beiden diskutierten, ob man Lehmann so zeigen könne. Das Bild zeigt die Fussballerin von hinten. Man sieht also ihren Hinterkopf, ihren Rücken, ihre Waden – und ihren Hintern. Bekleidet natürlich.
Und so sah das aus (der bewusste Hintern ist übrigens LINKS im Bild, das rechts ist Steffi Buchli):
Ein Geschenk des Himmels war diese eifrige Debatte, denn neben dem Artikel über Alisha Lehmann konnte Steffi Buchli daraus einen zweiten zimmern: Eine fast schon philosophische Ausuferung darüber, ob man eine junge Frau von hinten zeigen darf. Sie selbst war offenbar unsicher, denn «ich zucke kurz zusammen», wie Buchli den Moment beschreibt, als ihr das Foto präsentiert wurde. Als hätte man ihr gerade eine Liveaufnahme eines Terroranschlags vorgeführt.
Die Frage war also: Darf man das? Aber schliesslich schafft es das Bild doch in die Zeitung, und Buchlis Instinkt hatte recht: Es gab negative Reaktionen. Die Kritik: Die Fussballerin sei im Bild sexualisiert dargestellt worden. Weil man ihren Hintern sieht. Das befanden jedenfalls einige Leser. Vermutlich hälftig zusammengesetzt aus ehrlich besorgten Leuten und solchen, die einfach zu viel Zeit haben, um nach Aufregern zu suchen.
Aber eben, noch einmal, so ganz grundsätzlich: Darf man eine Dame von hinten fotografieren? Oder muss man so tun, als bestünde das weibliche Geschlecht nur aus einer Vorderseite?
Auch wenn ich anatomisch nicht besonders bewandert bin, gehe ich davon aus, dass Alisha Lehmann an ihrer Vorderseite Brüste hat. Hätte man sie von vorne gezeigt, wären diese zu sehen gewesen – natürlich bedeckt, genau wie der Hintern. Und im Profil? Da hätte man zumindest eine Vorahnung von Brüsten und Hintern gehabt, schlimmer geht es natürlich nicht. Die doppelte Ladung!
Man kann es also eigentlich nur falsch machen. Ausser, der Fotograf hätte sich auf Lehmanns Fussballschuhe konzentriert. Aber dort drin stecken verschwitzte Füsse, und auch darauf stehen gewisse Leute. Was uns zur Frage bringt, ob es eine Art Sexualisierungs-Ranking gibt: Was ist schlimmer, Brüste oder Hintern oder Füsse?
Ein Teufelskreis.
Gut, man könnte nun einige Gegenargumente zum Vorwurf der Sexualisierung ins Feld führen. Ganz banal beispielsweise die Tatsache, dass jeder einen Hintern hat und dass dieser ausserhalb einer sexuellen Begegnung ziemlich profanen Dingen dient. Er ist beispielsweise äusserst hilfreich, wenn man sich setzen will. Wers nicht glaubt, sollte das mal ohne Hintern versuchen.
Oder dann Alisha Lehmann selbst. Die junge Sportlerin ist sehr aktiv in den sozialen Medien. Auf der Clips-Plattform TikTok überschwemmt sie ihr Publikum mit bewegten Bildern. Dabei setzt sie sich permanent sehr effektvoll in Szene. Es ist anzunehmen, dass nicht besonders viele Leute diese Videoschnipsel konsumieren, weil dort so grandioser Fussball zelebriert wird. Lehmann sucht sich selbst eigenhändig Szenen aus, in denen sie ganz einfach besonders gut aussieht. Und sie hat auch keine Mühe, bei der Auswahl der Clips auf Ausschnitte zu setzen, in denen ihr Hintern durchaus eine Rolle spielt. So gesehen ist die Hemmschwelle beim «Blick» ziemlich originell. Denn das «Opfer» pflegt das ja selbst.
Aber vielleicht ist es dann etwas ganz anderes? Vielleicht darf Alisha Lehmann ihren Hintern bewusst in Szene setzen, um Follower zu gewinnen, aber das Bild eines Agenturfotografen, das (unter anderem) diesen Hintern zeigt, ist ein Akt der Gewalt, weil der Anstoss von jemand anderem kommt? Aber es ist ja immer noch derselbe Hintern, oder?
Das sind Gedankengänge, von denen wir noch vor wenigen Jahren nicht ahnten, dass wir sie jemals machen müssen.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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