Die neuesten Geschichten rund um Raiffeisen zeigen eigentlich nur eines: Das Rotlichtmilieu ist diskreter als die Schweizer Banken.
Der Finanzjournalist Lukas Hässig hat es wieder getan: Er hat seinen Briefkasten geleert, Informationen von einem Insider erhalten und das Ergebnis in seinem Blog «Inside Paradeplatz» veröffentlicht. Und einmal mehr trifft es Raiffeisen.
Die Quelle ist ein ehemaliger Angestellter der Bank. Er schildert zahlreiche Exzesse und den ziemlich sorglosen Umgang mit Firmengeldern und gibt zu, selbst Teil dieses Systems gewesen zu sein und damit auch Schuld zu tragen. Viele andere hätten es auch gewusst und geschwiegen.
Und das ist auch das Stichwort: Schweigen. Denn im Zentrum der neuesten Enthüllungen steht ein Etablissement namens «Red Lips» im - wo auch sonst - Sündenbabel Zürich. Dieses Striplokal soll laut dem Artikel auf «Inside Paradeplatz» häufig von Vincenz und Konsorten besucht worden sein.
Irgendwie verständlich. Wer den ganzen Tag auf einen Bildschirm mit Zahlen starrt, verliert den Bezug zur Realität. Da braucht man den Austausch mit der ganzen normalen Bevölkerung dringend!
Nun kann man entweder Hausi Breitenmoser besuchen, der kürzlich einen Kredit für den neuen Laufstall auf seinem Hof beantragt hat oder auch Svetlana aus Prag, die zufällig gerade in Zürich ist für ein paar Tage. Eine harte Wahl, aber offenbar haben sich einige Spitzenkräfte der drittgrössten Bank in der Tendenz eher für Svetlana entschieden. Oder eine ihrer Kolleginnen. Jedenfalls, wenn die Story stimmt.
Und das war eine logistische Meisterleistung. Man muss es als bekanntester Banker der Schweiz zusammen mit seinem Gefolge ja erst einmal schaffen, unerkannt durch Zürich und dann ins «Red Lips» zu gelangen und dort einen guten Abend zu haben, ohne dass einen ein Kunde erkennt, der fragt, warum das mit dem Hypothekarantrag so lange dauert.
Und auch die Belegschaft des «Red Lips» hat Lob verdient. Diese Diskretion! Dagegen war das Schweizer Bankgeheimnis zu seinen besten Zeiten ja ein löchriger Bergkäse. Jahre des ausschweifenden Spesen-um-sich-Werfens - und keiner hat je einem Journalisten etwas gesteckt? Oder wenigstens einem Mitarbeiter einer Konkurrenzbank, der ja vermutlich auch hin und wieder Svetlana besuchen will? Das ist wirklich erstaunlich.
Wer etwas über vornehme Zurückhaltung und Diskretion lernen will, muss dringend im Rotlichtmilieu nachfragen. Dort sickert garantiert nichts durch. Der einzige, der was ausgeplaudert hat, war jetzt ausgerechnet ein Banker. Das sagt ja wohl alles.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.