Am Donnerstag, 24. Oktober entscheiden die Delegierten der FDP Kanton St.Gallen, wer ins Rennen um die Nachfolge von Regierungsrat Martin Klöti geht. Die Parteileitung empfiehlt zwei Personen, aber es könnten auch neue aufkommen. Eine wichtige Rolle spielen die Wahlen vom Sonntag.
Einst stand eine ganze Reihe von Namen zur Debatte bei der FDP für die kommenden Regierungsratswahlen. Einige davon wirkten aber nicht besonders ernst gemeint, zu viel sprach gegen sie. Einige Vertreter der politischen Konkurrenz sprachen angesichts der grossen Zahl von potenziellen Kandidaten von einem Ablenkungsmanöver: In Wahrheit sei klar, wer ins Rennen soll, nun garniere man diese Namen mit weiteren. Vielleicht ging es auch darum, den Leuten, die für den Nationalrat kandidieren, 15 Minuten zusätzlichen Ruhm zu bescheren.
Jedenfalls lautete die Empfehlung der FDP-Parteileitung vor wenigen Tagen auf die Anwärter, die von Anfang an als die aussichtsreichsten galten: FDP-Kantonsrat Beat Tinner aus Wartau und Christine Bolt aus Gaiserwald. Ein altgedienter Gemeindepräsident und Parlamentarier, der die Fraktion präsidiert gegen eine politische Quereinsteigerin aus der Wirtschaft: Eine interessante Paarung. Da treten zwei ganz unterschiedliche Biografien gegeneinander an.
Das letzte Wort haben die FDP-Delegierten am 24. Oktober in Uznach. Sie müssen sich keineswegs an die Empfehlung der Parteileitung halten, sondern können auch neue Namen ins Feld führen. Gut möglich, dass das dieses Mal passiert. Denn vier Tage vor der Versammlung steht das Resultat der nationalen Wahlen fest. Zwei mögliche Szenarien könnten den Verlauf der Nomination verändern:
- Beat Tinner, der für den Nationalrat kandidiert, schneidet dort schlecht ab und enttäuscht in «fremden» Wahlkreisen. Dann werden sich die Delegierten überlegen, ob er der Richtige ist für eine kantonsweite Majorzwahl. Umgekehrt würde ihm ein gutes Resultat natürlich den Rücken stärken.
- Susanne Vincenz-Stauffacher, ebenfalls Nationalratskandidatin, holt zwar keinen Sitz (weil der FDP ohnehin ein Sitzverlust droht), schneidet aber sehr gut ab (besser als Tinner) und würde sich damit aufdrängen für die Regierungswahlen. Sie selbst hat zwar immer betont, kein politisches Vollamt anzustreben, aber Gelegenheit macht Diebe. Zumindest denkbar, dass in diesem Fall ihr Name an diesem Abend fällt.
Christine Bolt wiederum entzieht sich der Bewertung vom Sonntag, da sie nicht für den Nationalrat kandidiert. Bei ihr wird das Aufreten, der persönliche Eindruck vor den Delegierten entscheiden, ob sie Unterstützung findet.
Angenommen, die nationalen Wahlen verändern an der Ausgangslage nichts und es werden keine weiteren Namen ins Spiel gebracht, ist die Sache zwischen Tinner und Bolt denkbar offen. Tinner hat im Lauf seiner langen politischen Karriere viele Netzwerke aufgebaut, gleichzeitig aber sicher auch den einen oder anderen Grabenkampf erlebt. Bolt wiederum ist die grosse Unbekannte in der Rechnung, was einige abschrecken, andere aber anziehen wird: Quereinsteiger, zumal weibliche aus der Privatwirtschaft, sind durchaus hoch im Kurs.
Die Delegierten entscheiden in geheimer Abstimmung, während der Schlussdiskussion sind die Kandidaten für die Nomination zudem abwesend. Damit ist auch ausgeschlossen, dass sich jemand aufgrund seiner Sitznachbarn zu einer bestimmten Empfehlung oder Stimmabgabe genötigt sieht. Voten für oder gegen Anwärter können nicht nur die Delegierten, sondern alle anwesenden FDP-Mitglieder abgeben - und sie können auch weitere Vorschläge machen. Traditionell sind Delegiertenversammlungen eine Art «Kleinbus-Event»: Die Kandidaten versuchen, möglichst viele ihnen zugeneigte Delegierte dazu zu bewegen, den Anlass zu besuchen und sie an den Ort des Geschehens zu karren.
Die verschiedenen Regionalparteien haben zum Teil bereits ihre Präferenzen mitgeteilt. Der einzelne Delegierte ist allerdings frei in seiner Wahl. Während Beat Tinner seine Heimat, das Werdenberg, aber sicher auch das Sarganserland und Teile des Rheintals eher auf seiner Seite weiss, hat sich das Toggenburg bereits zugunsten von Christine Bolt bemerkbar gemacht - sie stammt von dort. Und auch in ihrer neuen Heimat, der Region St.Gallen, scheint sie zu punkten. Entscheidend sind also möglicherweise die Delegierten aus den Wahlkreisen, die keinen Bezug zu einem Kandidaten haben wie Rorschach, Wil oder See-Gaster. Aber es gibt weitere Interessengruppen, darunter die FDP-Frauen des Kantons.
Bleibt eine weitere Möglichkeit: Die Delegierten wollen sich weder für Bolt noch Tinner entscheiden, sondern beide ins Rennen schicken - an der Seite des amtierenden und wieder kandidierenden Regierungsrats Marc Mächler. Man kann das als «Auswahl für den Wähler» verkaufen, aber letztlich würde es auf einen Anspruch auf drei Sitze hinauslaufen. Die St.Galler FDP hatte einst drei Regierungsräte und war damals selbst ziemlich überrascht über diese Entwicklung. Aber auch hier gilt: Kommen die Freisinnigen bei den nationalen Wahlen unter die Räder, wäre ein solcher Anspruch schwer erklärbar, auch wenn es andere Wahlen sind. Und vor allem: Die Partei würde mit diesem forschen Vorgehen ein grosses Risiko eingehen - bis hin zu einem Totalverlust.
Nicht zu vergessen: Die FDP-Delegierten können am 24. Oktober zwar entscheiden, mit wem sie den Regierungssitz von Martin Klöti verteidigen wollen. Aber ähnlich wie beim Schach kann man sich zwar seine Strategie zurechtlegen, darf eines aber nicht vergessen: Es spielt noch einer mit. Im Fall der Regierungsratswahl dürfte es sogar mehrere Mitspieler geben. Die SVP hätte schon lange gern einen zweiten Sitz, Grüne und Grünliberale werden am Sonntag zu den Wahlgewinnern gehören und daraus Motivation schöpfen, in die Regierung einzuziehen. Eine Auswahl wird es im Frühjahr 2020 sowieso geben, auch wenn die FDP kein Dreier-Ticket lanciert.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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