Sie sind vier Frauen, deren Motivation darin besteht, Gleichberechtigung und Chancengerechtigkeit im beruflichen Umfeld und in privaten Partnerschaften zu fördern. Hiefür haben sie das Netzwerk «Share@Lab»gegründet. Im Gespräch mit Mit-Initiantin Simone Hengartner.
Simone Hengartner, Sie haben zusammen mit drei Frauen das Netzwerk «Share@Lab» lanciert. Es soll mittels verschiedener Veranstaltungen die Geschlechtergerechtigkeit fördern. Was gab den Ausschlag zu dieser Initiative?
Wir sind seit vielen Jahren befreundet und haben im kleinen Kreis immer wieder über Themen der Gleichstellung und Schwierigkeiten der Rollengestaltung im Alltag gesprochen. Wir haben dabei festgestellt, dass alte Rollenbilder in den Köpfen vieler Menschen noch immer existieren. Sei dies bei der Arbeit, wo Frauen – besonders jene in Führungspositionen – anders behandelt werden und sich mehr beweisen müssen als ihre männlichen Kollegen oder im Privatleben, wo es für viele selbstverständlich ist, dass die Frau die Hausarbeit verrichtet oder beispielsweise Kindergeburtstage organisiert. Es sind häufig Kleinigkeiten, die in ihrer Gesamtheit aber doch dazu führen, dass die Gleichstellung der Geschlechter weiterhin nicht Realität geworden ist.
Und das führte zu «Share@Lab»?
Wir sind alle sehr neugierig und offen für die Vielfalt unserer Zeit. Wir wollten mehr Gleichgesinnte in unserer Region kennenlernen, ein Netzwerk in der Ostschweiz aufbauen. Deshalb kamen wir auf die Idee, Anlässe zu organisieren, zu welchen wir Gastrednerinnen und Gastredner einladen und gleichzeitig den Austausch der Teilnehmenden an unseren Veranstaltungen zu ermöglichen. Wie der Name «Share@Lab» – also Teilen im Labor – bereits sagt, geht es bei den Veranstaltungen um das Teilen von Gedanken, Ideen und Ansätzen. Die Leute sollen sich dabei auch gegenseitig bereichern und so ihren Horizont erweitern
Wo sehen Sie grundsätzlich die grössten Ungerechtigkeiten?
In der Schweiz ist die Gleichstellung der Geschlechter seit 1981 in der Bundesverfassung verankert. Das Gleichstellungsgesetzt verpflichtet den Gesetzgeber entsprechend für rechtliche und tatsächliche Gleichstellung zu sorgen. In den letzten Jahren belegen diverse Studien aber immer wieder die immer noch beträchtliche Lohndifferenz zwischen Frauen und Männern. Es bleibt am Schluss eine unerklärte Lohndifferenz trotz gleicher Arbeit und gleicher Qualifikation. Für den öffentlichen Sektor kommt das Nationalforschungsprojekt NFP60 auf satte fünfunddreissig Prozent Lohndifferenz zwischen den Geschlechtern. Diese Zahlen sind noch vielen nicht bewusst. Dieser Umstand erschwert oder verunmöglicht insbesondere vielen Familien mit Kindern, den Wunsch, Erwerbs- und Familienarbeit zu teilen. Damit verzichten nicht nur viele Frauen darauf, ihrem erlernten Beruf nachzugehen, sondern verunmöglicht auch vielen Männern aus finanziellen Gründen, mehr Zeit mit ihrer Familie zu verbringen. Es geht uns überhaupt nicht darum, unsere persönlichen Vorstellungen der Rollenausgestaltung zu idealisieren, sondern um eine echte Wahlfreiheit. Diese ist nachweislich noch nicht gegeben. Wir wollen einen einfachen Beitrag zur Bewusstwerdung dieses Umstandes leisten.
Was kann Ihr Netzwerk dazu beitragen, dass sich die Gegebenheiten ändern?
Wir veranstalten informative und interaktive Anlässe zu den Themen Gleichstellung und Rollenvielfalt. Wir beabsichtigen damit insbesondere, interessierte Frauen und Männer für diese Themen zu sensibilisieren und einen Raum für einen offenen persönlichen Austausch zu bieten, gemeinsam Lösungsansätze zu entwickeln. Mit interessanten Gästen zu unterschiedlichen Themenbereichen wollen wir auch Personen vorstellen, welche für die Vielfalt von Rollenausgestaltungen stehen bzw. bereits einen nennenswerten Beitrag für die Gleichstellung geleistet haben.
Welche Formen von Veranstaltungen haben Sie bisher durchgeführt?
Helga S. Giger war unser erster Gast bei «Share@Lab». Ich habe ein Interview mit ihr geführt. Sie beeindruckte uns mit einem inspirierenden und berührenden Einblick in ihre Biografie. Bald 80-jährig ist sie ein Vorbild für Frauen wie Männer, was es heisst, mutig den eigenen Weg zu gehen und den eigenen Werten treu zu bleiben, selbst wenn das Handeln nicht dem aktuellen Mainstream folgt. Ihre lebendigen Visionen hat sie mutig umgesetzt, aktuelle Themen in ihrem Nacht-Café in Flawil mit interessierten Frauen und Männern aufgegriffen. Im Prinzip ist sie eine von vielen möglichen Verkörperungen unserer Vision.
Und beim zweiten Anlass?
Das Buch «Safari des Lebens» von John Strelecky war Inspirationsquelle für unseren zweiten Anlass. Darin ist die Idee enthalten, das menschliche Grundbedürfnis besser zu nutzen, sich gegenseitig bei der Erreichung der eigenen Herzenswünsche zu unterstützen. «Share@Lab» führte – angeleitet durch den Supervisor und Coach Urs Eisenbart – ein modernes «Talimpopo» durch. In vier Diskussionsgruppen lösten wir das Versprechen vom experimentellen Teilen ein. Dieses Beispiel zeigt auf, dass es uns mit den Veranstaltungen nicht in erster Linie darum geht, gegen Frauendiskriminierung zu kämpfen oder uns gar in eine Opferrolle zu begeben. Wir möchten an- und miteinander lernen, wie wir uns entwickeln können in die von uns gewünschte Richtung.
Welche weiteren Events stehen dieses Jahr noch an?
Am 20. Mai 2019 wird die bekannte Psychologin, Psychotherapeutin und Buchautorin Julia Onken zu Gast sein. Sie hat kürzlich Schlagzeilen gemacht, darum geht es aber nicht. Es wird um die Inhalte ihres neuen Buches «Mit dem Herzen der Löwin» gehen. In einer Rückschau in die Vergangenheit analysiert Julia Onken die Gründe, die von einstigen gleichberechtigten Gemeinschaften zu männer- und machtdominierten Gesellschaftsstrukturen und damit zu einer schrittweisen weiblichen Selbstentwertung geführt haben. Es geht uns damit um die Möglichkeit ein Mehr an Selbstbewusstsein als Frau zu erlangen.
Auch am vierten Anlass, der für den 27. November geplant ist, wird es um die Frage gehen, ob die Gesellschaft bestimmen darf, wer wir – als Frau oder Mann – sein dürfen.
Wie hat sich das Netzwerk bisher entwickelt? Wie gross ist das Interesse an «Share@Lab»?
Wir freuen uns sehr, dass wir bisher praktisch ausschliesslich positive Resonanz auf unser Engagement erhalten haben. Der Fürstensaal war zweimal schon angenehm gefüllt. Schön war auch, dass am zweiten Anlass bereits viel neue Besucherinnen und Besucher anwesend waren, welche aufgrund von positiven Rückmeldungen von Teilnehmenden des ersten Anlasses angeregt wurden. Nun sind wir natürlich sehr gespannt darauf, auf wieviel Interesse der baldige Vortrag von Julia Onken stösst.
Wie und in welcher Form wird sich das Ganze in Zukunft weiterentwickeln?
Es ist natürlich schwierig, hier eine Prognose zu stellen. Wir stehen nicht unter einem Erfolgsdruck. Wir werden weiter Anlässe organisieren, die uns persönlich und potentielle Besucherinnen und Besucher interessieren (könnten). Hierzu haben wir am ersten und zweiten Anlass bereits eine Umfrage bei den Teilnehmenden durchgeführt. So werden nicht alle Themen gleichermassen alle interessieren. Teilnehmende nehmen wir nach Wunsch in unsere Mailingliste auf. Auf jeden Anlass folgt ein Newsletter mit einem kurzen Rückblick und einer Vorausschau auf den nächsten Anlass. Wir hoffen natürlich, dass sich der Bekanntheitsgrad von «Share@Lab» erweitert und freuen uns auch über Anregungen für weitere Anlässe. Wir sind motiviert durch den erfolgreichen Start, werden unsere Ideen weiter realisieren und freuen uns, wenn sich das Netzwerk erweitert.
Weitere Infos unter www.shareatlab.com
Marcel Baumgartner (*1979) ist Chefredaktor von «Die Ostschweiz».
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