Kollegenschelte ist nicht (ok, fast nie) unser Ding. Zumal, und das sagen wir ja seit Anbeginn dieser Kolumne, wenn man die Internas nicht kennt – konkret: Welche Punkte in einer Krise in der Problemerfassung und Lagebeurteilung eine Rolle gespielt haben.
Und welche Vorgaben die Kommunikationsverantwortlichen von Seiten der Unternehmensleitung erfüllen mussten. Dennoch stellen wir heute die Frage, wie gut die Ju-Air in diesen Tagen kommuniziert hat.
Die Ausgangslage: Am Donnerstag veröffentlicht die SUST (Schweizerische Sicherheitsuntersuchungsstelle) ihren Bericht zum Absturz der HB-HOT am 4. August 2018. Die Kommunikation wird durch ein Video begleitet, das einige Kernpunkte des Untersuchungsberichts in einer (für Schweizer, aber auch internationale Verhältnisse) sehr professionellen Art und Weise darstellt. Der Film mit Animationen zum Flugverlauf erinnert an die Doku-Soap-Reihe «MayDay – Alarm im Cockpit», die auf verschiedenen TV-Stationen läuft und Flugzeugunfälle nach- und die Untersuchungen darüber darstellt.
Die Ergebnisse der SUST-Untersuchung sind für die Ju-Air desaströs. Das Flugunternehmen und ihre Piloten haben so ziemlich alles falsch gemacht, was man falsch machen kann. Wortlaut des Untersuchungsberichts: «Die Flugbesatzung war sich gewohnt, anerkannte Regeln für einen sicheren Flugbetrieb nicht einzuhalten und hohe Risiken einzugehen.»
Im konkreten Unglücksfall waren die Piloten viel zu nahe am Gelände geflogen und hatten zu viel riskiert, um den Passagieren ein Spektakel zu bieten. – Dazu war das Flugzeug schlecht ausbalanciert, offenbar aufgrund eines Software-Fehlers, der seit Jahrzehnten nicht entdeckt worden war.
Aber es kommt noch schlimmer: die waghalsige Fliegerei ausserhalb der Sicherheitsnormen hatte System, wie der Bericht festhält. Die Untersuchung hält verschiedene andere ähnliche Vorkommnisse fest. Sie zeichnen ein Bild der beiden Piloten, das den Eindruck erweckt, als ob die beiden zu oft «Top Gun» geschaut hätten. So lief bereits eine Untersuchung gegen sie, weil sie die Stadt München statt in einer Mindesthöhe von 300 Metern nur auf einer Höhe von 120 Metern überflogen hatten. Ein anders Mal sollen sie ohne Bewilligung das Münchner Oktoberfest überflogen haben.
Dass die Unglücksmaschine auch technisch nicht mehr sicher war, wird im Bericht schon beinahe zur Nebensache. Wir erinnern uns, schon früher wurde moniert, dass wichtige Teile des Flug-Oldtimers verrostet, Holzteile vermottet und Ersatzteile von nicht zertifizierten Herstellern verbaut worden waren.
Die kritischen Anmerkungen betreffen also nicht nur die Unglückspiloten und andere Piloten, die offenbar kaum Regeln einhielten, sondern auch die Unternehmensführung und nicht zuletzt die Aufsichtsbehörden, die schon längst hätten eingreifen müssen. Aber offenbar hatte die Freude an der Oldtimer-Fliegerei die Vernunft auf allen Stufen komplett ausgeschaltet. Das Zitat des Untersuchungsleiters in der Sendung «Schweiz aktuell»: «Wo immer wir unter den Teppich schauten, fanden wir Dreck.» Das Blut der Opfer klebt also an vielen Händen.
Was sagt man in dieser Situation als Unternehmenssprecher einer Ju-Air? Am besten wohl: Nichts. Es handelt sich hier um eine dieser sehr seltenen Situationen, in denen man besser einfach nur schweigt. Weil alles, was man sagen könnte, die Situation nur noch verschlimmert.
Natürlich würden die Medien über das Schweigen ebenfalls berichten. Meist mit einem Satz wie: «Die Ju-Air wollte heute zu dem Bericht keine Stellung nehmen.» Das wäre aber im Rückblick immer noch besser gewesen, als alles was dann vom Sprecher der Ju-Air gesagt wurde.
Aber eben: Mediensprecher sind im Normalfall eben Mediensprecher und nicht Medienschweiger. Der Krisenkommunikationsexperte der Ju Air, ein ansonsten erfahrener Kollege mit grossem Praxisrucksack und unbestrittenem Leistungsausweis, nahm prompt Stellung zum SUST-Bericht. So sagte er auf TeleZüri beispielsweise, die Unternehmensführung habe nichts davon gewusst, dass eine Gruppe von Piloten systematisch die Sicherheitsregeln nicht eingehalten hätte. Sonst hätte die Unternehmensleitung natürlich eingegriffen.
Eine Aussage, die in der Situation kaum hilfreich ist. Verschiedene Kommentatoren argwöhnen, das sei eine reine Schutzbehauptung und erzählen ihre eigenen Ju-Air-Erfahrungen. Stimmen ihre Aussagen, ist die These der Schutzbehauptung (um nicht zu sagen: Lüge) erstellt. Aber auch wenn sie erfunden wären, bleibt der Eindruck, dass eine katastrophale Führungskultur herrschte und es keine internen Sicherheitsstandards gab, die auch überprüft wurden. – So oder so, die Unternehmensführung steht katastrophal schlecht da.
Noch prekärer aber ist die zweite Aussage der Ju-Air an diesem Tag. Auf blick.ch äusserte derselbe Sprecher, man baue jetzt die alte «Tante Ju» quasi völlig neu, und mit diesem Flugzeug wolle man 2022 oder 2023 wieder starten können. Eine Werbebotschaft – am Tag, an dem wir und vor allem die Angehörigen der Opfer daran erinnert werden, dass 20 Menschen ihr Leben sinnlos verloren hatten, weil die Verantwortlichen auf allen Stufen komplett versagt hatten. Daraus eine PR-Geschichte zu machen ist Zynismus pur, eine dumme Idee. Gute Krisenkommunikation sieht anders aus.
Roger Huber (1964) und Patrick Senn (1969) sind ehemalige Ostschweizer Journalisten, die lange Jahre bei nationalen Medientiteln gearbeitet haben. Heute unterstützen Sie Organisationen und Führungskräfte in der Krisenkommunikation und sind Gründungsmitglieder des Verbandes für Krisenkommunikation vkk.
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