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Wiler Brauereien

Eine glorreiche Bier-Vergangenheit

Einst gab es in Wil vier Brauereien. Heute sind es null. Den grossen Stellenwert hat der Gerstensaft aber behalten.

Adrian Zeller am 08. Juni 2018

Bier zieht sich wie zentraler Faden durch die Wirtschaft- und Gesellschaftsgeschichte von Wil. Einst waren am Ort vier Brauereien ansässig, heute keine einzige mehr. Gleichwohl spielt Bier in der Stadt noch immer eine wichtige Rolle, es bringt die Menschen zusammen.

Was gehört zu einem perfekten Sommer? Für viele Wiler und Einwohner der umliegenden Gemeinden ein Besuch an der sogenannten Hofchilbi. Alljährlich läuft das Ritual Ende Juli nach demselben Muster ab: Eine prominente Person aus Sport oder Kultur fährt gegen 18.30 Uhr auf dem Kutschbock eines sechsspännigen Pferdefuhrwerk, das mit Bierfässern beladen ist, in die Altstadt. Das zahlreiche Publikum auf den Festbänken wartet voller Vorfreude auf den Auftakt zum Volksfest.

Einweihung einer Kapelle

Zu den bisherigen Fassanstechern gehörten unter anderem die Volksmusiker Hansueli Alder und Melanie Oesch, Mister Schweiz Renzo Blumenthal sowie der Metrologe Jürg Zogg.

Nach der Einfahrt auf den Hofplatz schlägt die bekannte Person mit einem Holzhammer einen Zapfhahn in ein Bierfass. Da den Ehrengästen die Erfahrung mit dem Fassanstich fehlt, gelingt er kaum je auf den ersten Schlag. Der Anstich ist der Auftakt für den allgemeinen Bierausschank.

Dieses Procedere ist keine verfrühte Referenz ans Münchner Oktoberfest, nach dem Motto «Ozopft is», es ist ein beliebter Brauch, dessen Ursprünge ins Jahr 1540 zurückreichen. Damals wurde als Anbau am monumentalen Hof in der Altstadt, einem der historischen Wahrzeichen Wils von nationaler Bedeutung, die so genannte Dienerschaftskapelle eingeweiht.

Bier in Wil

So wurde einst das Bier befördert.

Ausgelassene Stimmung

Die heutigen Zutaten für eine gelungene Chilbi dürften sich von den damaligen kaum unterschieden haben: Musik, Tanz, Begegnung, fröhliche Stimmung, erlebnishungrige Frauen und Männer – und natürlich Bier.

Bis zum Jahr 1722 wurde die Hofchilbi alljährlich durchgeführt. Es folgten Hungerjahre, die keine Feierlaune aufkommen liessen. Der Brauch geriet in Vergessenheit. Bis ins Jahr 1972. Dann belebte ihn die damalige Brauerei Hof. Dabei berief sie sich auf eine noch ältere Tradition. Sie geht auf das Jahr 754 zurück. Damals wurde die Region Wil in einer Schenkungsurkunde erstmals erwähnt: Der freie Bauer Rotpald überschrieb seine Güter für sein Seelenheil dem Kloster St. Gallen. Als jährlicher Lehnszins wurde Korn, Schweine sowie 30 Eimer Bier festgelegt, dies entspricht 1125 Litern.

Diese Menge wird heute an die Besucherinnen und Besucher der Hofchilbi verkauft. Der Erlös kommt unter anderem dem Unterhalt des Hofs gute. Die dritte Renovationsetappe steht an. Mittlerweile wird das Bier von der Brauerei Feldschlösschen geliefert.

Wechselvolle Geschichte

Die Brauerei Hof ihrerseits hat ihren Betrieb 1982 eingestellt, ihre Installationen wurden zurückgebaut. Einige historische Flaschen in Vitrinen sowie Fotografien und Plakate erinnern heute an die lange Brautradition. Der ehemalige Brautrakt ist mittlerweile mit Büchern und anderen Medien angefüllt, er wird als städtische Bibliothek genutzt.

Die eigentliche Braugeschichte im Hof begann 1815. Damals erhielt der Reichsvogt Baron Wirz à Rudenz vom Gemeinderat eine Braulizenz. Nach der Aufhebung des Klosters St. Gallen wurde er zum Eigentümer des ehemals äbtischen Sitzes. Im Lauf der weiteren Geschichte wechselten die Besitzer und die Pächter immer wieder

Moderne Zeiten

Die Brauerei Hof war die letzte von ehemals vier auf Wiler Stadtgebiet. Die kleinste von ihnen an der Hubstrasse hatte nur eine kurze Lebensdauer. Als die Industrialisierung auch die Ostschweiz erfasste, entstand 1872 in Kombination einer Speisewirtschaft eine sogenannte Dampfbrauerei. Diese Bezeichnung sollte damals Modernität vermitteln. Beim Brauvorgang wirkten Dampfmaschinen mit.

1883 übernahm ein aus Bayern Zugewanderter die Gaststätte mit Brauerei und stellte ein Bier in der Münchner Tradition her. Sein Geschäft florierte, er errichtete beim heutigen Bleicheparkplatz ein grosses Braugebäude mit Pferdestallungen zur Auslieferung des Biers. Später erwarb die Löwenbräu Zürich die Liegenschaft. Ab 1924 wurde sie nur noch als Depot genutzt.

Gescheitertes Kulturzentrumprojekt

Als Mitte der achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts der Entscheid zur gänzlichen Stilllegung gefallen war, wollten eine Gruppe junger Kreativer die Liegenschaft in ein Zentrum für Alternativkultur umnutzen. Die Initianten und der Stadtrat konnten bei diesem Thema keine Einigung finden. 1987 wurde das Gebäude zugunsten von Parkplätzen abgebrochen.

Ein weiterer Platz, an dem in Wil Bier gebraut wurde lag in Bahnhofsnähe. In der technischen und industriellen Aufbruchstimmung gegen Ende des 19.Jahrhunderts wurde 1889 mit einer Million Franken Kapital die Aktienbrauerei Wil gegründet und ein repräsentatives Gebäude erstellt.

Bier in Wil

Auch die Werbung von Bier ist keine Erfindung der neueren Zeit.

Zusammenlegungen

Die Investition machte sich nicht bezahlt. Der unternehmerische Erfolg wollte sich auch nach einer Reorganisation nicht einstellen. Der erste Weltkrieg wirkte sich zusätzlich ungünstig auf den Geschäftsgang aus. Schliesslich fusionierte sie mit der Löwenbräu Zürich, die den Betrieb in Wil einstellte. Der Schweizer Biermarkt wurde zunehmend von Grossbrauereien dominiert. Wo die Aktienbrauerei stand, decken sich heute Kunden in einem Grossverteiler mit Lebensmitteln ein.

Dass die Äbtestadt nach einer langen Tradition ab 1982 gänzlich ohne einheimisches Bier sein sollte, konnten einige Idealisten nicht akzeptieren, sie riefen 2004 das Thubobräu als lokal verankertes Erzeugnis ins Leben.

Auch wenn es nicht in Wil gebraut wird, so gedeiht wenigstens deren Braugerste auf Wiler Boden. Die erstaunliche Erfolgsgeschichte dieses Biers wird Thema eines eigenen Beitrages sein.

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Autor/in
Adrian Zeller

Adrian Zeller (*1958) hat die St.Galler Schule für Journalismus absolviert. Er ist seit 1975 nebenberuflich, seit 1995 hauptberuflich journalistisch tätig. Zeller arbeitet für diverse Zeitschriften, Tageszeitungen und Internetportale. Er lebt in Wil.

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