logo

Kultur-Interview

«Eine innere Stimme hat mich jedoch daran gehindert»

Marcel Bürgi ist Schweizer Liedermacher, Streetworker und Jugendarbeiter. Mit seinen Liedern möchte er vor allem Menschen am Rande der Gesellschaft erreichen. Zu diesen gehörte er einst selbst auch. Und ein Klavierverkäufer hat sein Leben verändert.

Nadine Linder am 13. Mai 2020

Ein Gespräch über seine nicht einfache Kindheit und Jugend, den Glauben an Gott und sein neues Leben in St. Gallen.

Marcel Bürgi, Sie sind Liedermacher und überzeugen mit authentischen Mundarttexten. Wann fing die Liebe zur Musik bei Ihnen an?

Mit fünf Jahren wurden meine Eltern Mitglieder der Heilsarmee. Es hat mir sehr gefallen, dort zu singen und die positive Resonanz hat mich einmal mehr gestärkt, immer weiter zu machen.

Ihr Traum war es Rockstar zu werden. Weshalb dieser Wunsch?

Zuerst wollte ich ein einfacher Liedermacher sein, der den Menschen Hoffnung gibt. Irgendwann veränderte sich dieser Traum und ich wollte ein berühmter Rockstar werden, der überall beliebt ist und sich alles kaufen kann.

Haben Sie ein Vorbild?

Ja, Jon Bon Jovi.

Als Jugendlicher gerieten Sie dann immer mehr auf die schiefe Bahn. Was ist damals passiert?

Das fing schon in der Kindheit an. Ich war nie gut in der Schule, hatte nicht viele Freunde und wurde dadurch zum leichten Mobbing-Opfer. Je älter ich wurde, desto schlimmer wurde meine Situation. Ich verlor meine Wohnung, weil ich die Miete nicht zahlen konnte, was sich dann auch herumgesprochen hatte. Mit den Drogen konnte ich meine Probleme etwas ausblenden. Ich habe einfach vor mich hingelebt, ohne eine Perspektive vor Augen zu haben. Wenn ich heute zurückblicke, kann ich nur noch den Kopf schütteln.

Was war der Tiefpunkt in Ihrem Leben?

Der Tiefpunkt war, als ich gemerkt habe, dass ich ein hoffnungsloser Fall bin und mein Leben keinen Sinn mehr gemacht hat. Meine Probleme haben sich gehäuft. Es fing mit den 120000 Fr. Schulden an. Dann habe ich meine Wohnung und die Arbeit verloren. Das war die schlimmste Zeit meines Lebens.

Ab wann ging es dann in Ihrem Leben wieder bergauf und wer half Ihnen dabei?

Ich war damals so verzweifelt und habe keinen anderen Ausweg mehr gefunden, als mir das Leben zu nehmen. Eine innere Stimme hat mich jedoch daran gehindert. Ein paar Monate nach diesem Erlebnis vertraute ich mich einem Klavierverkäufer an. Es stellte sich heraus, dass er auch Seelsorger war. Er hat mich in dieser Zeit sehr unterstützt und mir vieles beigebracht.

Wie zentral ist der Glaube an Gott bis heute in Ihrem Leben?

Ich glaube bis heute, dass diese innere Stimme Gott war. Mein Glaube ist sehr stark geworden und ich bin der festen Überzeugung, dass Gott mich bis an mein Lebensende beschützen wird.

Marcel Bürgi

Marcel Bürgi – Sänger und Streetworker.

Seiter arbeiten Sie als Streetworker, Jugendarbeiter und Musiker. Wie kamen Sie dazu?

Ja das tue ich bis heute. Ich fing an, Lieder über die Liebe, Hoffnung und Glauben zu schreiben. Wie ich es als kleiner Junge schon machen wollte. Ein Pfarrer fragte mich dann für ein musikalisches Projekt an und war so begeistert über meinen Umgang mit Jugendlichen, dass er mich als Kinder und Jugendarbeiter anstellte. Acht Jahre später fing ich an, als Streetworker für die Heilsarmee zu arbeiten und suchte Menschen mit Drogenproblemen auf.

Was ist für Sie das Zentrale an dieser Tätigkeit?

Ich möchte Menschen, die keine Hoffnung im Leben sehen, helfen und denen das Gefühl geben, dass sie wertvoll sind und es schaffen können. Es gibt so viele verschiedene Persönlichkeiten und Geschichten, wodurch ich auch eine Menge lerne. Ich bin so dankbar, dass ich damals den Klavierverkäufer kennen gelernt habe, der mich auf die richtige Bahn gelenkt hat. Mittlerweile weiss ich, dass ich auch anderen Mut machen kann und sie von mir lernen können.

Im Herbst 2009 hatten Sie dann sogar einen Auftritt im Schweizer Fernsehen? Wie kamen Sie dazu?

Damals suchte die Redaktion der Sendung «die größten Schweizerhits» junge Talente und ich war eines dieser Talente und bekam einen Auftritt in dieser Sendung. Vor allem als am nächsten Tag Peter Reber anrief, um mir zum gelungenen Auftritt zu gratulieren. Das war schon ein sehr schönes Erlebnis und hat mich sehr stolz gemacht.

Was sind Ihre aktuellen Projekte?

Ich arbeite an einer neuen CD und das erste Mal auf Hochdeutsch. Das ist natürlich eine Herausforderung, da ich normalerweise immer Mundart oder englische Musik gemacht habe. Des Weiteren schreibe ich an einem autobiographischen Roman, der irgendwann in 100 Jahren rauskommen soll (lacht). Für die Heilsarmee arbeite ich weiterhin 80%. Zu guter Letzt, betreibe ich unter anderem ein Tonstudio für Jugendliche.

Seit 2 Jahren wohnen Sie in St. Gallen. Was hat Sie in die Ostschweiz verschlagen?

Eine wunderschöne und liebe Frau. Ich habe mich verliebt und es zog mich mit aller Macht zu ihr, in die Ostschweiz nach St. Gallen. Wir haben 2017 geheiratet.

Wie haben Sie sich hier eingelebt und was gefällt Ihnen an der Ostschweiz besonders gut?

Ich kannte die Ostschweiz vorher nicht wirklich gut. Am Anfang hatte ich schon Mühe. Vorher wohnte ich im beschaulichen Aarau. Mittlerweile fühle ich mich richtig wohl und ich freue mich, die Gegend hier unsicher zu machen. Das Tolle an der Ostschweiz ist, dass man sehr schnell in den Bergen, aber auch am schönen Bodensee ist. Ich kann mich daran gewöhnen. Nur nicht an den Dialekt. Aber lassen wir das (lacht).

Einige Highlights

Uzwilerin mit begrenzter Lebenserwartung

Das Schicksal von Beatrice Weiss: «Ohne Selbstschutz kann die Menschheit richtig grässlich sein»

am 11. Mär 2024
Im Gespräch mit Martina Hingis

«…und das als Frau. Und man verdient auch noch Geld damit»

am 19. Jun 2022
Das grosse Gespräch

Bauernpräsident Ritter: «Es gibt sicher auch schöne Journalisten»

am 15. Jun 2024
Eine Analyse zur aktuellen Lage

Die Schweiz am Abgrund? Wie steigende Fixkosten das Haushaltbudget durcheinanderwirbeln

am 04. Apr 2024
DG: DG: Politik

«Die» Wirtschaft gibt es nicht

am 03. Sep 2024
Gastkommentar

Kein Asyl- und Bleiberecht für Kriminelle: Null-Toleranz-Strategie zur Sicherheit der Schweiz

am 18. Jul 2024
Gastkommentar

Falsche Berechnungen zu den AHV-Finanzen: Soll die Abstimmung zum Frauenrentenalter wiederholt werden?

am 15. Aug 2024
Gastkommentar

Grenze schützen – illegale Migration verhindern

am 17. Jul 2024
Sensibilisierung ja, aber…

Nach Entführungsversuchen in der Ostschweiz: Wie Facebook und Eltern die Polizeiarbeit erschweren können

am 05. Jul 2024
Pitbull vs. Malteser

Nach dem tödlichen Übergriff auf einen Pitbull in St.Gallen: Welche Folgen hat die Selbstjustiz?

am 26. Jun 2024
Politik mit Tarnkappe

Sie wollen die angebliche Unterwanderung der Gesellschaft in der Ostschweiz verhindern

am 24. Jun 2024
Paralympische Spiele in Paris Ende August

Para-Rollstuhlfahrerin Catherine Debrunner sagt: «Für ein reiches Land hinkt die Schweiz in vielen Bereichen noch weit hinterher»

am 24. Jun 2024
Politik extrem

Paradox: Mit Gewaltrhetorik für eine humanere Gesellschaft

am 10. Jun 2024
Das grosse Bundesratsinterview zur Schuldenbremse

«Rechtswidrig und teuer»: Bundesrätin Karin Keller-Sutter warnt Parlament vor Verfassungsbruch

am 27. Mai 2024
Eindrucksvolle Ausbildung

Der Gossauer Nicola Damann würde als Gardist für den Papst sein Leben riskieren: «Unser Heiliger Vater schätzt unsere Arbeit sehr»

am 24. Mai 2024
Zahlen am Beispiel Thurgau

Asylchaos im Durchschnittskanton

am 29. Apr 2024
Interview mit dem St.Galler SP-Regierungsrat

Fredy Fässler: «Ja, ich trage einige Geheimnisse mit mir herum»

am 01. Mai 2024
Nach frühem Rücktritt: Wird man zur «lame duck»?

Exklusivinterview mit Regierungsrat Kölliker: «Der Krebs hat mir aufgezeigt, dass die Situation nicht gesund ist»

am 29. Feb 2024
Die Säntis-Vermarktung

Jakob Gülünay: Weshalb die Ostschweiz mehr zusammenarbeiten sollte und ob dereinst Massen von Chinesen auf dem Säntis sind

am 20. Apr 2024
Neues Buch «Nichts gegen eine Million»

Die Ostschweizerin ist einem perfiden Online-Betrug zum Opfer gefallen – und verlor dabei fast eine Million Franken

am 08. Apr 2024
Gastkommentar

Weltweite Zunahme der Christenverfolgung

am 29. Mär 2024
Aktionswoche bis 17. März

Michel Sutter war abhängig und kriminell: «Ich wollte ein netter Einbrecher sein und klaute nie aus Privathäusern»

am 12. Mär 2024
Teuerung und Armut

Familienvater in Geldnot: «Wir können einige Tage fasten, doch die Angst vor offenen Rechnungen ist am schlimmsten»

am 24. Feb 2024
Naomi Eigenmann

Sexueller Missbrauch: Wie diese Rheintalerin ihr Erlebtes verarbeitet und anderen Opfern helfen will

am 02. Dez 2023
Best of 2023 | Meine Person des Jahres

Die heilige Franziska?

am 26. Dez 2023
Treffen mit Publizist Konrad Hummler

«Das Verschwinden des ‘Nebelspalters’ wäre für einige Journalisten das Schönste, was passieren könnte»

am 14. Sep 2023
Neurofeedback-Therapeutin Anja Hussong

«Eine Hirnhälfte in den Händen zu halten, ist ein sehr besonderes Gefühl»

am 03. Nov 2023
Die 20-jährige Alina Granwehr

Die Spitze im Visier - Wird diese Tennisspielerin dereinst so erfolgreich wie Martina Hingis?

am 05. Okt 2023
Podcast mit Stephanie Stadelmann

«Es ging lange, bis ich das Lachen wieder gefunden habe»

am 22. Dez 2022
Playboy-Model Salomé Lüthy

«Mein Freund steht zu 100% hinter mir»

am 09. Nov 2022
Neue Formen des Zusammenlebens

Architektin Regula Geisser: «Der Mensch wäre eigentlich für Mehrfamilienhäuser geschaffen»

am 01. Jan 2024
Podcast mit Marco Schwinger

Der Kampf zurück ins Leben

am 14. Nov 2022
Hanspeter Krüsi im Podcast

«In meinem Beruf gibt es leider nicht viele freudige Ereignisse»

am 12. Okt 2022
Stölzle /  Brányik
Autor/in
Nadine Linder

Nadine Linder war Redaktorin von «Die Ostschweiz».

Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.