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Livestream-Konzert

Eine Orgel ist wie eine Beziehung: man tastet sich aneinander heran

Christian Gautschi ist Lehrer für Tasteninstrumente und Organist. In der Corona-Zeit musste auch er einiges umplanen. Sonntags gibt es von ihm nun jeweils ein Live-Stream Konzert. Am 10.Mai spielt er auf zwei Toggenburger Hausorgeln aus dem Ackerhus Museum in Ebnat-Kappel.

Shania Koller am 07. Mai 2020

Herr Gautschi, wie sieht Ihr momentaner Alltag aus?

In vielerlei Hinsicht ist manches anders geworden. Chorproben und Sitzungen finden per Videokonferenz statt, die kirchlichen Veranstaltungen führt man in leeren Kirchen durch und das meiste wird aufgenommen und ins Internet gestellt. Instrumentalunterricht und «reale» Konzerte können nicht stattfinden. Als Musiker fehlt mir persönlich am meisten das Gegenüber, die Gemeinschaft und die zwischenmenschlichen Kontakte. Manches ist einsamer geworden.

Wie sind Sie auf die Idee für die Live-Streams gekommen?

Viele Konzerte habe ich schon eingeübt, denn die Vorbereitungen für Konzerte laufen über Monate. Als sich dann herauskristallisierte, dass vieles abgesagt werden muss und das auch auf längere Zeit, habe ich nach Alternativen gesucht. Die einzigen Möglichkeiten, Musik zu verbreiten, sind entweder Zuhause oder in der Kirche mit offenen Fenstern. Da ist aber die Zuhörerschaft begrenzt und ich weiss auch nicht, ob die Nachbarn genau die Menschen sind, die diese Art Musik brauchen. Zum anderen bietet das Internet mit seinen sozialen Netzwerken die Möglichkeit, Menschen aus aller Welt zu erreichen und so «meine» Konzerte in «ihre» Stuben zu bringen.

Wie viele Konzerte haben Sie schon durchgeführt?

Das erste Konzert führte ich am Karfreitag mit der «Via Crucis» von Liszt durch. Auf das Konzert habe ich viele positive Rückmeldungen erhalten, was mich motiviert hat, weitere Konzerte aufzuzeichnen. Es folgten Konzerte an jedem Sonntag aus der Kirche Buchberg-Rüdlingen und aus Rheinau. Die Konzertreihe wird auch im Mai weitergeführt mit Konzerten aus Schleitheim und Ebnat-Kappel. Geplant ist, dass die Konzertreihe bis zum Ende der Corona-Krise weitergeführt wird.

Wie gross ist das Publikum?

Im Internet ist das immer etwas schwierig zu sagen. «Live dabei» sind immer zwischen 30 bis 60 Personen, was für ein Internetkonzert mit zumeist klassischer Orgelmusik recht viel ist. Der Vorteil ist, dass das Konzert auch zu einem späteren Zeitpunkt gehört werden kann und so steigen die Klicks im Laufe der Zeit. Das Karfreitagskonzert haben in der Zwischenzeit zum Beispiel über 650 Personen angeklickt.

Welche Erfahrungen haben Sie bis jetzt damit gemacht?

Ich habe viele positive Rückmeldungen von Menschen erhalten, welche im Moment in Altersheimen oder Zuhause «festsitzen». Sie freuen sich auf die sonntäglichen Klänge in ihren Wohnzimmern. Auch die Kirchgemeinden sind froh über mein Angebot, ihre Instrumente und Kirchenräume nach aussen tragen zu können.

Was gefällt Ihnen daran und was nicht?

Als begnadeter Musiker ist man immer froh, wenn man Musik an die Menschen herantragen kann. Dabei ist eigentlich egal, auf welchem Kanal. Am meisten gefällt mir, dass ich verschiedene Instrumente einspielen und so dem Publikum zeigen kann, dass die Orgel immer ein Unikat ist und ganz verschiedene Klangwelten hervorbringen kann. Was mir aber fehlt, ist das «reale» Publikum. Das Gefühl in einer leeren Kirche Stücke aufzunehmen, kann ein Konzert mit «richtigen» Menschen nicht ersetzen. Es fehlt die Atmosphäre und das Gefühl eines Gegenübers.

Was ist der Unterschied zwischen einem Reallife- und einem Online-Konzert?

Online-Konzerte habe den Vorteil, dass mein Kameramann ganz nahe bei mir am Spieltisch sein kann. Er filmt, wie ich Register ziehe, wie die Finger über die Tasten huschen und die Füsse übers Pedal. In einem Konzert hat der Zuhörer praktisch nie die Möglichkeit, einen Organisten quasi hautnah beim Spielen zu beobachten. Ein weiterer Vorteil ist, dass Menschen mit mir «reisen» können, ohne die eigene Wohnung verlassen zu müssen. Für manche Person wäre zum Beispiel eine Reise ins Toggenburg nicht möglich, online braucht es dazu aber nur einen Klick.

Wollen Sie das nachher weiterführen?

Ich denke, dass es zeitlich dann nicht mehr möglich ist, sonntäglich ein Konzert aufzuzeichnen. Der Aufwand ist schon immens und man braucht viel Zeit. Dass aber hie und da ein Konzert gestreamt wird, schliesse ich nicht aus. Es wird sich zeigen, wie es nach Corona weitergeht.

Auf was freuen Sie sich am meisten, wenn alles vorbei ist?

Für ein «reales» Publikum zu spielen, im Chor gemeinsam zu singen und Gemeinschaft zu leben. Ich freue mich auch, wieder mich meiner Schola richtig Gregorianik singen zu können, online Chorproben sind einfach unbefriedigend. Endlich wieder richtige Menschen sehen und fühlen, darauf freue ich mich am meisten.

Hausorgel

Eine der Hausorgeln, auf welchen Gautschi spielen wird. (Foto: Stefan Baur)

Wie sind Sie auf die Hausorgeln aus dem Toggenburg gestossen?

Ich spiele mindestens einmal pro Jahr ein Konzert mit Toggenburger Hausorgeltänzen und Musik dieser Art, da mir die Musik persönlich gefällt und ich es wichtig finde, einen Teil der Schweizer Tradition weiterzutragen. Zudem weiss ich, dass diese Musik viele Menschen anzieht. In Zürich hatte ich mehrmals die Gelegeheit die Hausorgeln in der Kirche Wollishofen zu spielen und es ist immer etwas Wunderbares, auf authentischen Konzerten zu spielen. Den Kontakt zum Ackerhus Museum konnte ich über eine ehemalige Studienkollegin, die in Wattwil Organistin ist, herstellen. Es freut mich, dass man zugesagt hat.

Wie gestaltet sich die Vorbereitung für ein «neues» Instrument?

Ich muss die Orgeln zuerst kennenlernen und mich in die Klangwelt einhören. Dann muss ich ein Programm zusammenstellen, welches in der Praxis dann überprüft werden muss. Manche Stücke eignen sich vielleicht doch nicht so gut, dafür klingt anderes besser. Das Künstlerleben ist auch immer mit ausprobieren und experimentieren verbunden. Das ist aber auch das Wunderbare an diesem Beruf.

Was sind die Schwierigkeiten daran, auf einem "neuen" Instrument zu spielen?

Wenn ich ein Instrument noch nicht kenne, muss ich es immer erst kennenlernen. Eine Orgel ist wie eine neue Beziehung: man tastet sich aneinander heran. Manchmal ist man sich sofort sympathisch, manchmal muss man die besonderen Charakterzüge erst schätzen lernen. Das ist aber auch das Interessante an der Orgel: jedes Instrument ist im Raum, in welchem es sich befindet, einzigartig und die Vielfalt ist immens.

Wie kann man bei einem Konzert dabei sein?

Am einfachsten über meine Homepage www.christiangautschi.ch oder Sie suchen im Internet nach meinem vollen Namen. Das Konzert wird am 10. Mai um 13 Uhr live gestreamt. Anschliessend bleibt es aber eine Zeit lang noch online und kann nachgehört werden.

Stölzle /  Brányik
Autor/in
Shania Koller

Shania Koller (*2002) ist Schülerin an der Fachmittelschule an der Kantonsschule Trogen und absolviert ein Praktikum bei «Die Ostschweiz». Sie wohnt in Gonten.

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