Der Rheintaler Nationalrat Roland Rino Büchel über Karl Müllers «Aktionsbündnis Ostschweiz», die teilweise zurückkehrende Normalität im Politbetrieb, den glücklosen Ermittler im Fall Lauber/Infantino, den «Polit-Hotspot» Brig und die neue Bequemlichkeit der Schweizer.
Und zu guter Letzt: Büchel glaubt nicht, dass sich die beiden Walliser Gianni Infantino und Sepp Blatter im Stall von Toni Brunners Eringer Kampfkühen die Hand reichen werden. Ein Gespräch zwischen den Sessionen.
Roland Rino Büchel, wie läuft’s?
Privat? Meine vife achtjährige Tochter bereitet mir gerade so richtig Freude. Wir Eltern und wir Politiker müssen uns tagtäglich bewusst sein, was für eine Verantwortung wir für unsere Kinder und unser Land tragen.
Das wird den Politikern durch das «Aktionsbündnis Ostschweiz» eindringlich in Erinnerung gerufen. Was halten Sie von der Idee?
Ich bin sehr froh, dass diese neue Bürgerbewegung unter dem Thurgauer Unternehmerpionier Karl Müller rasch an Kraft gewinnt. In diesem Land müssen endlich wieder die Menschen im Zentrum stehen – und nicht die Politiker und all deren Berater und Einflüsterer.
Diese Erkenntnis scheint im Bundeshaus noch nicht allerorten angekommen zu sein.
Langsam dämmert es. Ende Monat wird es, viel zu spät, endlich zu Öffnungsschritten kommen. Auch im Parlament ist wieder eine gewisse Normalität eingekehrt.
Wie zeigt sich das?
Nehmen wir, als Beispiel, zwei Geschäfte aus der Sondersession. Es gab eine gehaltvolle Diskussion zur Volksinitiative «Organe spenden – Leben retten». Zudem entschied der Nationalrat, dass die Anpflanzung von Zuckerrüben weiterhin finanziell gestützt wird. Ferner wurden zahlreiche Vorstösse behandelt. Und so weiter. Sie sehen: Fast schon Business as usual. Das wird in der Sommersession so weitergehen.
Und die enormen Kosten, welche die Corona-Massnahmen auf Bundes- und Kantonsebene verursacht haben? Die gemachten Schulden verschwinden doch nicht einfach so.
Unsere Nachfolgegenerationen werden Dutzende Milliarden, welche sich in den letzten Monaten zu einem riesigen Schuldenberg aufgetürmt haben, abtragen müssen. Auch die Einschränkungen der Grundrechte sind offenbar gekommen, um zu bleiben. Genauso wie der Rückbau des bewährten Föderalismus. Unsere Kinder und Grosskinder werden uns das zurecht um die Ohren schlagen.
Hoffentlich auch. Aber zurück zur «Normalität». Wie zeigt es sich sonst noch, dass das politische Leben Ihrer Ansicht nach wieder seinen gewohnten Lauf nimmt?
Die «natürliche» Erneuerung des Parlaments wird fortgesetzt. Jüngster Auslöser waren die Wahlen im Wallis. Mathias Reynard von der SP schaffte den Sprung in die Regierung. Ebenso der …
… Oberwalliser SVP-Mann Franz Ruppen .
Ruppen ist ein «Arbeitstier» sondergleichen. Sein Nachfolger Michael Graber, Anwalt und Stadtrat in Brig, hat seinen Amtseid in Bern schon abgelegt.
Aus Brig stammen auch unsere Verteidigungs- und Sportministerin Viola Amherd sowie die SP-Ikone Peter Bodenmann. Ist die Gemeinde im Oberwallis eine Hochburg für bekannte Politiker?
Es scheint so. Bodenmann lieferte sich seinerzeit als SP-Präsident grosse Duelle mit Christoph Blocher. Mit Viola Amherd machte ich vor zwölf Jahren einen Nachdiplomlehrgang an der Universität St. Gallen. Ihr Potenzial und der starke Wille waren schon damals sicht- und spürbar.
Der designierte Mitte-Fraktionschef Philipp Matthias Bregy kommt auch aus Brig.
Bregy ist ein «Animal Politique». Er wäre sicherlich glücklicher, wenn seine Partei weiterhin CVP“heissen würde. Gut, dass sich die SVP nicht mit solchem Marketingzeugs herumschlagen muss.
Der ehemalige Direktor der OLMA, Nicolo Paganini, war auch im Gespräch für den Chef-Job. Nun wird kein St. Galler, sondern ein Walliser Ihr neuer Kollege im Büro des Nationalrats.
Ja, ab der Sommersession. Die anstehende Wahl ist für Bregy eine reine Formsache. Wir sind seit ein paar Wochen übrigens zusammen im Vorstand des HEV Schweiz. Der Verband der Haus- und Grundeigentümer hat seinen Sitz in Zürich.
So wie die FIFA, dessen Präsident auch Oberwalliser ist, genauso wie dessen Vorgänger Sepp Blatter.
Ja. Sepp Blatter stammt aus Visp. Die aus Süditalien eingewanderten Eltern Gianni Infantinos fanden seinerzeit in Brig Arbeit.
Zählen Sie Infantino auch zu den «Politikern»?
Der FIFA-Präsident ist ein normaler Schweizer Bürger. Aber in seinem Job als hochrangiger Sportpolitiker trifft er sich mit ebenso vielen Staatsoberhäuptern wie unsere Bundesräte. Und er ist weltweit bekannter als unsere sieben Weisen.
Ist sein Aufstieg vom Kind von Immigranten zum Präsidenten eines Weltverbandes und zur weltbekannten Persönlichkeit nicht fast sinnbildlich für die Möglichkeiten, welche unser Land bietet?
Wo ein Wille ist, ist in der Schweiz auch ein Weg. Zu viele von uns nutzen die gebotenen Möglichkeiten nicht. Sie jammern lieber und werfen sich der fürsorglichen «Mama Staat» an die Brust. Harte Arbeit ist nicht mehr in Mode.
Sie kritisieren also nicht das System, sondern die Menschen?
Es gibt kein gottgegebenes Recht auf Wohlstand. Dieser muss «erchrampft» werden. Für die Allgemeinheit ist es tausend Mal besser, wenn sich nicht die Schönschwätzer durchsetzen. Sondern diejenigen, welche richtig an die Säcke gehen und Substanz im Hirn haben.
Apropos Hirn: Sie wurden im Westschweizer Radio jüngst als «der schnellste Denker» im Parlament bezeichnet. Stolz darauf?
Typisch Medien. Die wollen einem immer ein Etikett anhängen. Was heisst schon schnell denken? Möglicherweise wurde ich so eingeschätzt, weil ich relativ rasch von einer Sprache in die andere wechseln kann.
Ist es neben der Intelligenz und dem Willen der «normalen» Menschen nicht vor allem die Schlauheit einzelner Persönlichkeiten, welche ein Land vorwärtsbringt?
Es hilft natürlich, fähige Leute in den wichtigen Positionen zu haben. Werfen Sie dazu einen Blick auf die Geschichte unseres Landes. Oder, noch besser, auf die aktuelle Krisensituation.
Sie wollen jetzt nicht ernsthaft behaupten, dass die Politik während dieser Corona-Krise vorausschauend handelt?
Ich bin froh, dass derzeit drei bodenständige Politiker an wichtigen Hebeln sitzen. Bundespräsident Guy Parmelin, Bundesrat Ueli Maurer und Nationalratspräsident Andreas Aebi. Sie alle verfügen über Qualitäten, welche für unser Land seit Generationen ein Garant für den Erflog sind: Bauernschlauheit, Umsicht, Pfiff.
Wenn die drei Herren tatsächlich so gut wären, dann hätte die Schweiz die Corona-Krise besser gemeistert.
Ohne solche Leute hätte die Schweiz ebenso desolat agiert wie die Staaten um uns herum. Die Vernunft und die Bodenhaftung von den beiden Bauern und von Ueli Maurer, welcher während zwanzig Jahren den Zürcher Bauernverband leitete, hat uns vor noch unsinnigeren staatlichen Eingriffen bewahrt.
Wechseln wir vom Legislativ- und den Exekutivpolitikern zur dritten Gewalt im Staat, zur Judikative und der Staatsanwaltschaft. Was halten Sie vom jüngsten Entscheid des Bundesstrafgerichts? Demnach darf Dr. Stefan Keller nicht weiter gegen FIFA-Präsident Infantino ermitteln.
Das Urteil sagt, dass «die Unbefangenheit des ausserordentlichen Bundesanwalts gegen den FIFA-Präsidenten zu Recht bezweifelt» werden muss. Aufgrund der Fakten hat die Beschwerdekammer kaum anders entscheiden können. Mit dem Fall Lauber hat Keller sich zu viel zugetraut – und das Parlament ihm. Ich bin froh, dass ich Herrn Keller im letzten Herbst nicht gewählt habe. Schon früher zeigte sich, dass er übertriebene Ambitionen hat.
Wie denn?
Herr Keller wollte, weder wirklich berufs- noch lebenserfahren, schon zwei Mal nichts weniger als Bundesrichter werden. Beide Male ist er mit diesem Vorhaben grandios gescheitert. Der Mann kann sich und seine Fähigkeiten nicht richtig einordnen. Trotzdem hat ihn das Parlament mit einem derart wichtigen und exponierten Posten betraut.
Ist das Mandat zu wenig attraktiv?
Am Geld kann es nicht liegen. Für den Job gibt es, pensumsbereinigt, mehr als für einen Bundesrat. Für eine solche Entlöhnung lassen sich auch gestandene Persönlichkeiten finden.
Das Thema ist aktuell. Heute Mittwoch tagt die parlamentarische Gerichtskommission unter Präsident Andrea Caroni.
Keller muss vor den 17 National- und Ständeräten antraben. Er hat schlicht zu viele Böcke geschossen. Und er hat im Fall Lauber/Infantino die Dinge auf eine Art und Weise durcheinandergebracht, wie es in einem funktionierenden Rechtsstaat nicht passieren darf.
Hat die Hetzjagd auf FIFA-Präsident Infantino damit ein Ende?
Der sehr kommunikative Stefan Keller darf nicht mehr gegen FIFA-Präsident Gianni Infantino ermitteln. Das Urteil zeigt genau, dass wir doch nicht die Bananenrepublik sind, als welche wir wegen der Geschehnisse rund um Ex-Bundesanwalt Lauber immer wieder gebrandmarkt worden sind. Felix E. Müller, der vormalige Chefredaktor, schrieb dazu in der NZZ am Sonntag: «Keller sah in seinem Mandat offensichtlich die Chance, seiner bisher mässig erfolgreichen Karriere Schub zu verleihen, er gab viel Geld für PR aus und beging so Fehler. … Die Tragödie ist längst zur Farce geworden, wie die Episode mit Sonderstaatsanwalt Keller zeigt.»
Wenn Sie ganz zum Schluss noch einen Wunsch offen hätten…
Dann hätte ich zwei… Erstens, dass der Pionier der «SRF-Arena», der heutige Zürcher Stadtrat und «Sportminister» Filippo Leutenegger, am 1. Juni 2021 zur Hochform aufläuft. Dann leitet er nämlich ein Podium mit dem FIFA-Präsidenten Gianni Infantino und Sylvia Schenk von Transparency International. Infantinos Vorgänger Sepp Blatter hatte diesen Mut leider nie. Er schickte entweder seinen Hausjuristen vor. Oder er liess sich durch handzahme Journalisten befragen.
Ihr zweiter Wunsch?
Er kam mir beim Lesen des aktuellen «Die Ostschweiz»-Interviews mit Sepp Blatter. Es wäre schön, wenn er sich nach seinen operativen Eingriffen wieder voll und ganz erholen könnte.
Denken Sie, dass er und sein Nachfolger Infantino sich noch einmal die Hand reichen werden?
Eher nicht. Das Tuch zwischen den beiden Männern ist zerschnitten. Sollte aber trotzdem noch ein Wunder geschehen, dann könnten sie ihre Friedenspfeife bei Toni Brunner rauchen. Entweder in dessen Restaurant, dem Haus der Freiheit in Ebnat-Kappel, oder auf seinem Hof auf dem Bendel.
Inmitten seiner Kampfkühe?
Toni hat innert kurzer Zeit tatsächlich eine erfolgreiche Eringerzucht auf die Beine gestellt. Die schwarzen Walliser Kühe fühlen sich im Toggenburg und – im Sommer – auf der wunderschönen Alp-Guschg im Fürstentum Liechtenstein pudelwohl. Der Bauer und Beizer weiss also, wie man Walliser im Zaum hält…
Kann man mit Eringer Kampfkühen und Walliser «Streithähnen» gleich umgehen?
Eher nicht. Bei den Kühen wird die Rangordnung immer wieder neu ausgemacht. Bei der FIFA wurde Sepp Blatter vor Jahren quasi vom Hof gejagt. Nun ist die neue Hierarchie durch zwei Wahlen zuerst hergestellt und dann eindeutig bestätigt worden.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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