Emil Steinberger, allen einfach bekannt als «Emil», trat am Freitagabend im Stadtsaal in Wil auf. Hat es die Schweizer Komiker-Legende in diesem hohen Alter noch drauf? Zu Besuch bei dem Mann, der für eine ganze Generation den Humor definiert hat.
Als sich bei einem Zuschauer so gegen 21.20 Uhr die Blase bemerkbar macht, denkt er sich, dass nun – wohl kurz vor Schluss der Aufführung (immerhin steht da seit bald 90 Minuten ein doch eher älterer Mann auf der Bühne und gibt Vollgas) – ein guter Zeitpunkt wäre, den Gang zur Toilette in Angriff zu nehmen. Ganz sicherlich wird das stille Örtchen im Stadtsaal von Wil in wenigen Minuten von so einigen Besuchern aufgesucht werden. Und so könnte er den Schuss der Vorführung noch in Ruhe geniessen. Der Plan geht auf. Kurze Zeit später sitzt der Besucher wieder in seinem Stuhl – erleichtert und entspannt.
Emil hat es sich derweil vorne auf der Bühne in einem improvisierten Bett gemütlich gemacht. Ein Sketch, der sitzt. Die Lacher folgen im Sekundentakt. Ein perfektes Ende? Nein. Das Ganze bildet nach rund 90 Minuten Spieldauer nicht etwa den Abschluss eines gelungenen Abends. Es sollte erst der Anfang gewesen sein.
«20 Minuten Pause», verkündet der 86-Jährige um 21.30 Uhr, «dann geht es weiter mit dem zweiten Teil.»
Der Schweizer Traditionskomiker wird am Schluss nicht die Dimensionen – rein auf die pure Laufzeit bezogen – eines Konzertes von Bruce Springsteen erreichen. Aber er wird dem nahe kommen. Und das in einem Alter, in dem viele seiner Jahrgänger schon seit mehreren Stunden unter der Decke liegen und schlafen – auf dem Nachttisch das Gebiss im Glas.
Emil Steinberger ist ein Phänomen. Seit den 1970er-Jahren macht er das, was er am besten kann. Das Publikum mit seinen scharfen Alltagsbeobachtungen verzücken. Dass er dies aktuell im hohen Alter noch immer beherrscht, kann man durchaus als eine Überraschung ansehen. Insbesondere, weil Emil nicht einfach das Bewährte aus der Vergangenheit nochmals abspult. Er tut dies auch. Aber er ergänzt es durch Neues. Der Mix ist perfekt. Und man wird Zeuge davon, wie zeitlos doch auch gewisse «Nummern» von ihm sind, mit denen er vor Jahrzehnten Erfolge feiern konnte und die auch heute noch das Publikum abholen – ihm nicht selten auch einen Spiegel vorhalten.
Dabei ist sich Emil immer treu geblieben. Es gibt keinen einzigen Sketch unter der Gürtellinie. Keinen frauenfeindlichen. Keinen, der sich religiösen Themen bedient. Es sind Geschichten von Restaurantbesuchen, vom Massentourismus auf den Bergen oder von Wahlkampfslogans.
Emil hat im Stadtsaal Wil die Zuschauerinnen und Zuschauer während mehr als zwei Stunden unterhalten und dabei nur einen Bruchteil seines Repertoires gezeigt. Das ist eindrücklich. Noch eindrücklicher war es aber, zuzuschauen, wie dieser 86-Jährige mit einem perfekten Timing und scharfsinnigen Pointen eine Schar von Zuschauern aller Altersklassen schon nach wenigen Minuten im Griff hatte und sie bis kurz vor 23 Uhr – und bei einigen wohl auch darüber hinaus – nicht mehr losliess.
Emil hat nicht nur das geliefert, was man sich von ihm erhofft hat – quasi ein Best-of seiner Karriere –, er hat das Ganze, wahrscheinlich aus einem inneren Antrieb heraus, noch deutlich gesteigert und in die Gegenwart gelegt. Ein 86-Jähriger zeigt damit all den Nachwuchskomikern auf Youtube und Instagram, dass man in dieser Branche mit einer klaren Linie nachhaltig Erfolg haben kann. Davor kann man durchaus den Hut ziehen.
Marcel Baumgartner (*1979) ist Co-Chefredaktor von «Die Ostschweiz».
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