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Im Labor funktioniert es

Empa-Forschungspreise verliehen: Wenn Zufall und wissenschaftliche Exzellenz aufeinandertreffen

2023 wurden gleich zwei herausragende Publikationen von jungen Forschenden mit dem Empa-Forschungspreis ausgezeichnet. Die Preisträger, Amogh Kinikar und Shih-Chi Yang, haben ihre prämierten Arbeiten während ihres Doktorats an der Empa verfasst.

Die Ostschweiz am 30. Januar 2024

Die ehemaligen Empa-Doktoranden Shih-Chi Yang und Amogh Kinikar haben je einen Empa-Forschungspreis 2023 für herausragende wissenschaftliche Arbeiten erhalten. Beide Jungforscher sind teilweise durch Zufall auf ihre Entdeckungen gestossen – hatten aber auch die Geistesgegenwart und die Beharrlichkeit, um den Zufallsbefund weiterzuverfolgen und dessen Bedeutung zu erkennen.

Eine unerwartete Reaktion

Als Doktorand im Empa-Labor «nanotech@surfaces» wollte Amogh Kinikar eigentlich bestimmte Arten von Graphen-Nanobändern synthetisieren. Diese flachen Kohlenstoff-Strukturen sind nur eine Atomlage dick und wenige Atome breit, was ihnen einzigartige elektromagnetische Eigenschaften verleiht. Um sie herzustellen, wollte Kinikar Ausgangsmoleküle – Kohlenwasserstoffe mit Brom-Reaktionszentren – auf einer Goldoberfläche zur Reaktion bringen.

Doch anstatt sich zu langen Bändchen zusammenzufügen, verbanden sich jeweils zwei der Moleküle zu einem Dimer. Die Reaktion passierte dabei nicht am erwarteten Reaktionszentrum, sondern an einer sogenannten Isopropyl-Gruppe, die lediglich aus Kohlenstoff und Wasserstoff besteht und normalerweise kaum mit etwas reagiert.

Die neu entstandene Struktur in der Mitte des Dimers identifizierte Kinikar mittels Rastertunnelmikroskopie als Benzolring, oder, chemisch genauer gesagt, als Phenylenring. Was der ausgebildete Physiker zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste: Die Synthese von Benzolringen gilt in der organischen Chemie als äusserst schwierig. Die wenigen Reaktionsmechanismen, die bisher bekannt sind, benötigen hochreaktive Ausgangsmoleküle. «Ein Chemiker hätte niemals gewagt zu behaupten, das sei ein Benzolring», lacht Kinikar.

Er sollte dennoch recht behalten: Er hatte einen komplett neuen Synthesepfad für Benzolringe entdeckt. «Dass aus einer Kombination von unreaktiven Gruppen auf einem unreaktiven Metall eine nachweislich schwer zu synthetisierende Verbindung entsteht, war überraschend», sagt der Forscher. Die Chemikerinnen und Chemiker in seinem Team wollten ihm das zunächst gar nicht glauben.

Doch mit der Zeit gelang es Kinikar und seinen Mitforschenden, den Mechanismus hinter der unerwarteten Reaktion zu verstehen. Durch interdisziplinäre Zusammenarbeit – in diesem Fall Chemie, Physik und rechnergestützten Wissenschaften – konnten sie nachweisen, dass sich dabei tatsächlich Benzolringe bilden. Ihre Ergebnisse veröffentlichen die Forschenden in der Zeitschrift «Nature Synthesis». Dafür hat Erstautor Kinikar nun den Empa-Forschungspreis erhalten. Seit seiner Promotion 2022 forscht Amogh Kinikar als Postdoc weiterhin an der Empa, nach wir vor im «nanotech@surfaces»-Labor.

Rekordeffizienz nebenbei erreicht

Auch Shih-Chi Yang wollte sich in seinem Doktorat ursprünglich auf ein anderes Projekt fokussieren. Er arbeitete im Empa-Labor «Dünnfilme und Photovoltaik» an sogenannten CIGS-Solarzellen. CIGS steht für Kupfer-Indium-Gallium-Diselenid. Diese Dünnschichtzellen sind materialsparend und leicht, und können im Gegensatz zu herkömmlichen Silizium-Solarzellen auf flexiblen Unterlagen hergestellt werden.

Ausserdem ist es theoretisch möglich, zweiseitige CIGS-Solarzellen herzustellen – sogenannte bifaziale Zellen. Die Rückseite kann reflektiertes und diffuses Licht einfangen und so die Leistungsdichte weiter steigern. «Leider gab es in der Praxis eine grosse Hürde», so Yang. «CIGS-Zellen werden normalerweise bei Temperaturen von über 400 bis 500 Grad Celsius hergestellt. Bei diesen Temperaturen bildet sich an der Rückseite Galliumoxid, was die Leistung der Zelle stark beeinträchtigt.»

Wie es der Zufall wollte, hatte Yang in einem vorangehenden Projekt das Herstellungsverfahren für monofaziale CIGS-Zellen durch Zugabe von Silber so verfeinert, dass es bei einer niedrigeren Temperatur stattfinden konnte. Das Projekt hatte zum Ziel, die Substrattemperatur zu senken und gleichzeitig eine gute Qualität der CIGS-Absorber zu erhalten – doch Yang dachte auch an das Potenzial für die bifazialen Zellen. Er startete ein Nebenprojekt, um mit dem neuen Verfahren bifaziale CIGS-Zellen herzustellen und die Herausforderungen bei ihrer Produktion anzugehen.

Die ersten Ergebnisse waren so überzeugend, dass aus einem Nebenprojekt schnell das Hauptprojekt von Yangs Doktorarbeit wurde. Mit seinem neuen Ansatz erzielte er eine Rekordeffizienz für bifaziale CIGS-Solarzellen. Die Ergebnisse veröffentlichte er gemeinsam mit seinen Mitforschenden in der Zeitschrift «Nature Energy». Für diese Publikation hat Yang nun ebenfalls einen Empa-Forschungspreis erhalten.

Marktreif sind die bifazialen CIGS-Zellen noch nicht. «Für industrielle Anwendungen müssten die Produktionsprozesse noch weiter verfeinert werden», weiss Yang. «Aber wir konnten im Labor zeigen: Es funktioniert. Also lohnt es sich, diese Technologie weiter zu erforschen.» Die weitere Forschung überlässt Yang seinen ehemaligen Kolleginnen und Kollegen bei der Empa. Er selbst arbeitet seit April 2023 als Datenwissenschaftler mit Schwerpunkt Maschinelles Lernen in der Industrie. «Die analytischen Fähigkeiten und das kritische Denken, die ich während des Doktorats entwickelt habe, kann ich jetzt seht gut anwenden», sagt er.

(Bild: PD)

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