Dr. med. Simon Feldhaus - Präsident SSAAMP.
Unter dem Oberbegriff Rheuma werden alle Krankheiten verstanden, die vom Bewegungsapparat ausgehen und nicht durch Verletzungen oder Unfälle entstanden sind.
Der Begriff umfasst mittlerweile über 200 einzelne unterschiedliche Krankheiten.
Darunter befinden sich die entzündlichen Rheumatischen Krankheiten, die üblicherweise mit dem Begriff Rheuma verbunden werden. Entzündliche Formen können neben dem Befall der Gelenke zusätzlich auch Schädigungen innerer Organe, z.B. Herzkrankheiten, herbeiführen.
Dr. med. Simon Feldhaus - Präsident SSAAMP.
Entzündliches Rheuma führt nicht nur zu großen Schmerzen und Behinderungen der Beweglichkeit, sondern schädigt auch die Volkswirtschaft erheblich, durch Arbeitsunfähigkeit, Krankschreiben und früher Rente. Die Anzahl solch chronischentzündlicher Erkrankungen hat in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen und weist weiter steigende Tendenzen auf.
Auffällig ist, dass sich dieser Trend vor allem in den Industrieländern zeigt, was sich wahrscheinlich durch unseren modernen Lebensstil erklären lässt. Auch die allgemein ansteigende Lebenserwartung trägt dazu bei, da im Rahmen des Alters vermehrt entzündliche Vorgänge ablaufen. In der Schweiz sind rund zwei Millionen Menschen von rheumatischen Beschwerden betroffen.
Dabei werden entzündlich-rheumatische Erkrankungen oft erst spät erkannt: Laut einer aktuellen Umfrage der Rheumaliga Schweiz vergingen bei 38 Prozent der Befragten über 24 Monate vom ersten Arztbesuch bis zur eindeutigen Diagnose!
Der eigentliche Begriff «Rheuma» ist über 2000 Jahre alt und bedeutet «fliessender Schmerz». Man nahm an, dass die typischen wandernden Schmerzen durch im Körper zirkulierende Krankheitsstoffe ausgelöst wurden.
Grundsätzlich unterscheidet man zwei grosse Kategorien:
›Degeneration und Versteifung durch Entzündung der Gelenke= Arthrose. Die durch Abnutzung bedingten Beschwerden und der sogenannte Weichteil- Rheumatismus lösen im Bereich der Weichteile des Rumpfes und der Gliedmaßen Schmerzen aus. Fehlbelastungen und Verschleiß, Kälte oder dauernde Überanstrengung können das Muskelgewebe schädigen und Schmerzen und Bewegungseinschränkungen herbeiführen.
› Gelenkentzündungen = Arthritis Entzündungen sind als Bestand- teil der Abwehrreaktion des Körpers gegen Krankheitserreger lebenswichtig. An sich ist eine Entzündung keine Erkrankung, sondern die normale Antwort des Körpers auf eine Schädigung, die in der Regel von aus- sen kommt. Die typischen Anzeichen einer Entzündungsreaktion (sogenannte Kardinalsymptome) sind Rötung, Schwellung, Hitze, lokaler Schmerz und Funktionsstörung des betroffenen Organsystemes.
Entzündungen können zwar schmerzhaft sein, sind aber eigentlich ein gutes Zeichen – denn sie zeigen, dass das Immunsystem arbeitet. Einmal aktiv, befreit es von der In- fektion, repariert beschädigtes Gewebe und lässt die Symptome verschwinden. Somit ist eine Entzündung eigentlich ein Teil des Heilungsprozesses und keine Schädigung des Körpers.
Problematisch wird es, wenn die Entzündung in einen Dauerzustand übergeht. Dann können die ablaufenden Prozesse gesunde Organe schädigen und werden zum Nährboden für zum Teil schwere Folgeerkrankungen.
Bei Rheuma «verwechselt» das Immunsystem körpereigenes Gewebe mit in den Körper eingedrungenen Feinden, wie z. B. Bakterien oder Viren. Bei Rheuma handelt es sich also um eine fehlgesteuerte Entzündungsreaktion – bei der rheumatoiden Arthritis vor allem in den Gelenken. Sie läuft einmal mehr, ein anderes mal weniger stark ab, weshalb Rheuma typischerweise in Schüben verläuft.
Die Entzündungen können sich jedoch fast überall im Körper abspielen – selbst innere Organe, Augen und Haut oder das Nervensystem können betroffen sein. In der Medizin wird das als Auto- immunreaktion bezeichnet. Weshalb es zu einer Autoimmunerkrankung kommt, ist noch nicht vollständig geklärt. Diskutiert werden erbliche Veranlagungen, Infektionen und Umwelteinflüsse, aber auch persönliche Lebensstilfaktoren wie Ernährung, mangelnde Bewegung oder eine chronische Stressbelastung.
Auch übergewichtige Menschen können, ohne es zu wissen, einen chronischen Entzündungs- herd im Körper haben und zwar dort, wo ihn normalerweise niemand vermutet: Im Bauchfett. Die im Bauch ansässigen Fettzellen sind im Gegensatz zu normalen Fettzellen prall gefüllt und daher auffallend gross. Zudem ist das Bauchfett ein äus- serst aktives Gewebe, denn es produziert leider auch entzündungsfördernde Botenstoffe.
Eine zentrale Rolle in der Fehlreaktion des Immunsystems spielt der Darm, genauer die darin lebenden Bakterien, die man als Mikrobiom (früher Darmflora) bezeichnet. Zwischen Darmbakterien und dem Mensch besteht eine Gemeinschaft mit gegenseitigem Nutzen (man bezeichnet das als Symbiose).
Kommt es nun aber zu einem Ungleichgewicht in der Verteilung der Darmbakterien, einer sogenannten Dysbiose, kann dies Auswirkungen auf die mechanische Barriere der Darmwand haben.
Das sogenannte Leaky Gut Syndrom führt dann zu einem ver- mehrten Durchtritt von ungesunden Stoffen aus dem Darm ins Körperinnere und durch eine Antigenüberlastung letztendlich zur Überforderung des Immunsystems.
Die vielgestaltigen Ursachen für chronische Entzündungen machen daher ein individuelles und breit gefächertes diagnostisches Vorgehen sinnvoll. Neben der in der Schulmedizin üblichen Bestimmung von Entzündungsfaktoren sollten unbedingt auch folgende Parameter überprüft werden:
› Belastung mit toxischen Metallen
› Störungen des Darmmikrobioms
› Mängel der Spurenelemente, gemessen im Vollblut
› Messung des Verhältnisses der Omega-3-Fettsäuren zu den anderen Fettsäuren
Weiter ist es wichtig, nach sogenannten Störherden zu suchen. Diese können die chronische Entzündungsreaktion nachhaltig fördern und ohne deren Beseitigung ist eine Abheilung oft nicht möglich.
Störherde sind sehr häufig im Bereich der Mundhöhle zu finden (Granulome im Bereich der Zahnwurzel, Wurzelfüllungen etc.). Auch Narben am Körper oder Fremdkörper wie die Spirale können als Störherd wirken. Daher ist fester Bestandteil der Behandlung chronischer Entzündungen die Suche und Beseitigung von solchen Störherden.
Nur durch Integration verschiedener Therapieoptionen ist eine wirklich tiefgreifende Behandlung chronischer Entzündungsprozesse möglich.
Die herkömmliche schulmedizinische Behandlungsmethode bei Autoimmunerkrankungen und chronischen Entzündungen ist die Gabe von entzündungshemmendem Cortison oder von Immunsuppressiva. Es handelt sich dabei um Medikamente, welche die Immunsystem-Aktivität dämpfen.
Leider ist die Liste der Nebenwirkungen bei- der Medikamente lang und bei längerfristiger Einnahme können die Folgen für den Körper gravierend sein. Ist jedoch eine Medikamenteneinnahme nicht zu umgehen, muss das Ziel sein, diese möglichst nur kurzzeitig einzusetzen und parallel dazu ganzheitliche Massnahmen umzusetzen.
Das Ziel ist, dem Immunsystem auf natürliche Weise zu helfen, wieder das richtige Mass zu fin- den.
Wichtige therapeutische Massnahmen sind dabei:
›Mikrobiologische Therapie zur Regulation der Darmflora
› Orthomolekulare Medizin
› Einsatz von Heilpilzen zur Immunregulation
› Phytotherapie
› Homöopathie
Eine grosse Rolle spielt, wie be- reits vorangehend beschrieben, die Behandlung der Darmflora. Zur Stimulation des darmständigen Immunsystems sollten physiologische Darmbakterien verabreicht werden. Ziel ist es die häufig überwiegende Fäulnisflora durch lebende Keime wieder auf das normale Mass zu reduzieren . Verwendet werden hierzu vor allem Lactobakterien- und Bifiduskeime.
In besonders schweren oder auch therapierefraktären Fällen ist der Einsatz sogenannter Autovaccine sinnvoll. Hier wird aus den Coli-Keimen aus einer Stuhlprobe des Patienten ein individuelles Immunopräparat in Tropfenform hergestellt.
Sehr gute Ergebnisse zeigen auch Eigenblutbehandlungen, insbesondere in Form der Ozon- Eigen-Bluttherapie, die zu einer starken regulativen Wirkung in Bezug auf das Immunsystem führen.
Aus der orthomolekularen Medizin ist vor allem der Einsatz von Selen, Vitamin E und der Omega-3-Fettsäuren sowie Vitamin D wissenschaftlich sehr gut untersucht und zeigt hervorragende antientzündliche Eigenschaften.
In der Phytotherapie spielen Weihrauchextrakte, Teufelskralle und Weidenrinde eine sehr bedeutsame Rolle. Teufelskralle und Weidenrinde haben ihren Schwerpunkteinsatz im Bereich von Entzündungen und Schmerzen im Gelenkbereich wohingegen Weihrauch vor allem bei allgemeinen chronischen Entzündungsreaktionen eingesetzt wird. Ein besonderer Indikationsbereich von Weihrauch sind Entzündungsreaktionen im zentralen Nervensystem wie beispielsweise die Multiple Sklerose.
Antientzündliche Ernährung
Die aktuelle Forschung beschäftigt sich unter anderen mit den Zusammenhängen zwischen Ernährung, Immunsystem und Ent- zündungsreaktionen. Sie zeigt uns Wege auf, wie wir Autoimmunerkrankungen durch unser Ernährungsverhalten selbst mit- beeinflussen können: Grundsätzlich sollte unsere Nahrung ausreichende Mengen an lebenswichtigen Nähr- und Vitalstoffen enthalten, damit sie antientzündlich wirken kann. Also vielfältig, bunt und möglichst oft selbst zubereitet! Idealerweise in Bioqualität.
Besonders im Fokus: Bestimmte Fette, genauer das Verhältnis von Omega-6- zu Omega- 3-Fettsäuren welches optimal 4 zu 1 betragen sollte. Bei gewöhnlicher westlicher Ernährung heute beträgt dieses Verhältnis aber 10 bis 20 zu 1.
Es empfiehlt sich somit Nahrungsmittel wählen, die reich an Omega-3 sind, wie Meeresfisch, und jene einzuschränken, die viel Omega-6 beinhalten, z.B. Fleisch aus industrieller Tierhaltung. Denn aus Omega-3-Fettsäuren werden überwiegend entzündungshemmende Signalstoffe gebildet, aus Omega-6 hingegen entzündungsfördernde.
Ein Praxisbeispiel soll dieses integrative Vorgehen verdeutlichen:
Eine junge Patientin (28 Jahre) stellte sich mit akut aufgetretenen massiven Rückenschmerzen vor. Anhand von Labor und Röntgen konnte als Diagnose die Erstmanifestation eines Morbus Bechterew gestellt werden.
Nach ausführlicher Anamnese erfolgte eine Laborabklärung und Störfeldsuche.
Es konnte eine Belastung mit toxischen Metallen nachgewiesen werden (Aluminium, Silber und Blei), eine deutliche Dysbalance im Bereich der Stuhlflora und Mängel im Bereich der Spurenelemente (vor allem Selen deutlich zu tief).
Eine zahnärztliche Untersuchung konnte eine Beherdung im Sinne eines Granuloms an einem wurzelgefüllten Zahn am rech- ten Oberkiefer nachweisen. Der Therapieplan bestand aus zahnärztlicher Sanierung, Gabe von Natrium-Selenit und Ausleitung der toxischen Metalle. Begleitet wurde zur akuten Entzündungshemmung Weihrauch und zur Schmerztherapie ein Weidenrindenextrakt in Tablettenform eingesetzt.
Dies allein brachte innerhalb von 3 Wochen eine massive Besserung der Beschwerden. Zur grundlegenden Behandlung des überreaktiven Immunsystemes erfolgte angepasst an die Stuhlflora-Analyse eine mikrobiologische Behandlung der Darmflora.
Unter dieser Therapie gelang es die Schmerzen innert kurzer Zeit zu reduzieren, insbesondere nach der Zahnsanierung trat eine massive Besserung ein.
Um eine nachhaltige Besserung des gestörten Immunsystems zu erreichen musste eine längerfristige Behandlung erfolgen, die dann aber zu einer kompletten Beschwerdefreiheit und einer vollständigen Normalisierung
der Laborwerte führte. Zusammenfassend stellen chronische Entzündungskrankheiten eine zunehmende Herausforderung für den therapeutischen Alltag dar.
Durch die multifaktoriellen Ursachen sind diese Erkrankungen Paradebeispiele für die Notwendigkeit einer ganzheitlichen Behandlung. Eine individuelle Therapie, die auf die jeweiligen Schwachstellen eingeht, hat die Chance nachhaltig die Entzündungsreaktion zu stoppen.
HEILKUNDE ist das vierteljährlich erscheinende naturheilkundliche Magazin, welches vom Verlag für Wissenschaft & Medizin GmbH, St. Gallen herausgegeben wird.
Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.