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Krankenkassenprämien: «Blamage für die Politik»

Erneuter Prämienschock: Was werden Ostschweizer Parlamentarier dagegen unternehmen?

Die Schweiz kämpft mit ausufernden Gesundheitskosten. Und das schon seit Jahren. Ostschweizer Parlamentarierinnen und Parlamentarier sagen, wie man das Problem in den Griff bekommen kann. Für einen Mitte-Politiker ist zudem klar: «Bundesrat Berset hat die Digitalisierung komplett verschlafen.»

Marcel Baumgartner am 27. September 2023

Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) hat am Dienstag die neuen Krankenkassenprämien veröffentlicht. Auf die Prämienzahlenden kommen im Jahr 2024 markant höhere Kosten für die obligatorische Krankenpflegeversicherung zu.

Gefordert ist die Politik, namentlich die National- und Ständeräte. Ein Appell an die Bürger, mehr Eigenverantwortung zu übernehmen, genügt bei Weitem nicht mehr. Die Vergangenheit zeigt, dass ein solcher die stetig steigenden Kosten nicht bremst.

Wo also muss der Hebel angesetzt werden? «Die Ostschweiz» hat die aktuellen Parlamentarierinnen und Parlamentarier der Region gefragt, wo sie in der nächsten Legislatur konkret handeln werden, um das immer grösser werdende Problem zumindest ansatzweise zu lösen.

Markus Ritter

Markus Ritter

Mitte-Nationalrat Markus Ritter (SG): «Die Kosten im Gesundheitswesen steigen massiv und führen für die Bevölkerung zu einem Prämienschock. Das heutige System ist mit diversen Fehlanreizen verbunden. Es muss bei den Kosten angesetzt werden. Die Kostenbremse-Initiative der 'Mitte' ist dazu das richtige Mittel und nimmt die Verantwortlichen in die Pflicht.»

Kurt Egger

Kurt Egger

Grüne-Nationalrat Kurt Egger (TG): «Das System mit dem Prämienverbilligungssystem für tiefe Einkommen kommt längst an den Anschlag. Hier muss eine grundlegende Änderung erfolgen. Ich setze mich für einkommensabhängige Krankenkassenprämien ein. Die Kopplung der Prämien an den Lohn würde eine deutlich gerechtere Verteilung der Gesundheitskosten nach wirtschaftlicher Stärke ermöglichen.»

Marcel Dobler

Marcel Dobler

FDP-Nationalrat Marcel Dobler (SG): «Am Donnerstag stimmen wir im Parlament über die Frage von mehrjährigen OKP-Verträgen ab. Dies ist die Grundlage für das Budget-Versicherungsmodell der FDP, das ein hohes Einsparungspotenzial bietet. Die Möglichkeit des jährlichen Wechselns verursacht hohe zusätzliche Kosten. Das jährliche Kündigungsrecht soll bewusst gewählt werden können. Es braucht mehr Möglichkeiten bei den alternativen Versicherungsmodellen, wodurch die Prämienzahlenden ohne Leistungseinbussen sparen können. Es braucht im Gesundheitssystem mehr Qualitäts- und Preiswettbewerb und nicht noch mehr Regulierungen, die zum Gegenteil führen. Die Initiativen der SP und der Mitte lösen die Probleme nicht und haben keinen Einfluss auf das Wachstum der Gesundheitskosten.»

Benedikt Würth

Benedikt Würth

Mitte-Ständerat Beni Würth (SG): «Dass die Gesundheitskosten nicht unter Kontrolle sind, ist eine Blamage für die Gesundheitsbranche und die Politik. Unter dem Druck von zahlreichen Lobbys ist es bisher nicht gelungen, Mehrheiten für ein wirksames Kostendämpfungspaket zu finden. Selbst mein Kompromissantrag beim 'Schicksalsartikel Art. 47c Krankenversicherungsgesetz' - es ging hier um eine bessere Kostenkontrolle im ambulanten Bereich - wurde leider ganz knapp abgelehnt. Die Machtteilung in der Schweiz führt hier dazu, dass sich um jedes Partikularinteresse eine schlagkräftige Lobby gruppiert. So ergeben sich keine Lösungen. Vom neuen Gesundheitsminister erwarte ich, dass er oder sie mit neuer Energie eine breite Koalition der Willigen schmiedet, welche die Blockierer und Verweigerer zu überstimmen vermag. Mit der Kostenbremse-Initiative der Mitte haben wir auch ein wirksames Instrument zur Hand, um diese Blockade zu überwinden.»

David Zuberbühler

David Zuberbühler

SVP-Nationalrat David Zuberbühler (AR): «Ich setze auf Selbstverantwortung. Unsere Bevölkerung macht es vor: Die Appenzellerinnen und Appenzeller gehen viel seltener zum Arzt als beispielsweise die Westschweizer. Zudem ist der Leistungskatalog in der Grundversicherung zu umfangreich. Nur medizinisch Notwendiges sollte bezahlt werden, alles andere muss über Zusatzversicherungen abgedeckt werden. Ich bin sofort bereit, den Leistungskatalog zusammenzustreichen, nur ist dieser Wille dazu in Bern nicht wirklich vorhanden. Die Mehrheitsverhältnisse im Parlament müssten sich wesentlich ändern, um diesbezüglich überhaupt einen Erfolg zu erzielen.»

Christian Lohr

Christian Lohr

Mitte-Nationalrat Christian Lohr (TG): «Wir haben ein Angebotsproblem, das wir dringend offen angehen müssen. Ich werde mir Gedanken über Ansätze und mögliche Vorstösse machen, mit denen wir vorwärtskommen. Am Spiel der Schuldzuweisungen beteilige ich mich nicht. Es braucht Reformen im Gesundheitswesen, damit dieses solidarisch und zahlbar bleiben kann.»

Esther Friedli

Esther Friedli

SVP-Ständerätin Esther Friedli (SG): «Wir müssen in der Gesundheitspolitik überparteilich neue Lösungen finden, damit wir die Kosten in den Griff bekommen. Dafür müssen alle Akteure (Kantone, Krankenkassen, Medikamentenhersteller, Versicherte) in die Pflicht genommen und neue Anreize geschaffen werden. Aus meiner Sicht braucht es zudem mehr Wettbewerb, eine Verkleinerung des Grundleistungskatalogs in der Grundversicherung, Massnahmen bei den Medikamenten sowie eine bessere überkantonale Spitalplanung.»

Barbara Gysi

Barbara Gysi

SP-Nationalrätin Barbara Gysi (SG): «Die explodierenden Krankenkassenprämien sind ein grosses Problem für Familien, Alleinstehende und Rentner-Haushalte und zwar bis in den Mittelstand hinein. Eine Familie zahlt bis zu 1000 Franken mehr. Nebst Miet- und Energiekostenerhöhungen ist das ein grosser Kaufkraftverlust. Wir müssen auf zwei Ebenen reagieren: Einerseits bei den Kosten ansetzen und unnötige Behandlungen und Untersuchungen vermeiden, die Fehlanreize bei den Tarifen ändern und gegen überhöhte Saläre angehen. Die Medikamentenpreise müssen sinken und zwingend mehr Generika eingesetzt werden. Andererseits braucht es rasch Verbesserungen für die Privathaushalte und eine bessere Entlastung durch höhere Prämienverbilligung. Die Deckelung der Prämienlast ist dringend. Das fordert die SP-Prämienentlastungsinitiative, welche fordert, dass maximal 10% des verfügbaren Einkommens für die Krankenkassenprämien ausgegeben werden müssen. Nächstes Jahr wird über diese Initiative an der Urne abgestimmt werden.»

Mike Egger

Mike Egger, SVP-Nationalrat seit 4. März 2019.

SVP-Nationalrat Mike Egger (SG): «Ich habe mich aktiv im Parlament für die SVP-Motion eingesetzt, welche einen steuerlichen Abzug der Grundversicherung eingefordert hatte. Leider wurde diese Idee von einer Mitte/Links-Mehrheit abgelehnt. Wir werden aber am Thema dran bleiben. Es ist wichtig, die Auswahl bei der Grundversicherung zu stärken. So sollen verschiedene Modelle angeboten werden. Es soll ein Budget-, ein Standard-, und ein Selection-Modell angeboten werden. Der Unterschied bei den Modellen liegt bei den Leistungen. So könnte in einem Budget-Modell die Franchise höher sein als die heutige maximale, oder aber es besteht eine Pflicht zu Generika. Im Gegenzug kann der Versicherte mehrjährige Verträge zu einem fixen Preis abschliessen. Ausserdem: Aktuell verteilen sich über 90 Mandate auf die Sitze in der Gesundheitskommission. Zu viele Interessenvertreter mischen in der Gesundheitspolitik mit. Schliesslich geht es um viel Geld. Die Kosten sind seit 2010 um über 24 Milliarden auf 86 Milliarden gestiegen. Und: Die medizinische Versorgung von Asylanten ist auf ein absolutes Minimum zu beschränken. Im letzten Jahr beliefen sich die hochgerechneten Kosten der Krankenkassenprämien im Asylwesen auf 288 Millionen Franken. Es kann nicht sein, dass die Schweizer Steuer- und Prämienzahler für das Asyl-Chaos aufkommen müssen.»

Susanne Vincenz

Susanne Vincenz-Stauffacher

FDP-Nationalrätin Susanne Vincenz-Stauffacher (SG): «Wir müssen Fehlanreize im System beheben, zum Beispiel mit der konsequenten Verlagerung von stationären Eingriffen in den ambulanten Bereich. Sodann werde ich mich für die Einführung einer Budget-Krankenkasse einsetzten, mit der jeder und jede einzelne für sich und die Gesundheitsleistungen, die er oder sie bezieht, Verantwortung übernimmt. Und schliesslich sollten wir konsequent digitalisieren, beispielsweise mit dem E-Patientendossier, das spart ebenfalls Kosten.»

Thomas Rechsteiner

Thomas Rechsteiner

Mitte-Nationalrat Thomas Rechsteiner (AI): «Gäbe es ein Patentrezept, hätte ich das bereits in den letzten vier Jahren eingebracht … Ich werde mich – vorbehältlich meiner Wiederwahl – in der nächsten Legislatur konkret einsetzen, dass bei den Medikamenten mehr Generika eingesetzt werden müssen und das Anreizsystem für unnötige stationäre Eingriffe eliminiert wird. Und ich werde Druck auf den Bundesrat ausüben, dass die Franchise erhöht wird, was aufgrund der Teuerung und der langen Zeit der Festsetzung auf beispielsweise 300 Franken angezeigt ist – das wirkt prämiensenkend und wird die Gesamtkosten verringern.»

Nicolo Paganini

Nicolo Paganini

Mitte-Nationalrat Nicolo Paganini (SG): «Die Politik muss auf jeden Fall bei den Kosten ansetzen. Da sich jede Lobby gegen Einsparungen wehrt, wird nur ein Ansatz wie die Gesundheitskostenbremse-Initiative der Mitte-Partei Erfolg bringen. Wie beim Schulden machen muss die Politik auch in der Gesundheitspolitik zu Massnahmen gezwungen werden, wenn die Gesundheitskosten (wie aktuell) übermässig steigen. Wir können ohne Qualitätsverlust mindestens 6 Milliarden Franken Gesundheitskosten sparen. Bundesrat Berset hat die Digitalisierung komplett verschlafen. Wir brauchen das elektronische Patientendossier, damit nicht länger mehrere Ärzte die genau gleichen Untersuchungen durchführen. Und ich würde mich im Fall meiner Wiederwahl auch weiterhin für die einheitliche Finanzierung von ambulanten und stationären Behandlungen einsetzen. Das birgt ein sehr grosses Einsparpotenzial.»

Claudia Friedl

Claudia Friedl

SP-Nationalrätin Claudia Friedl (SG): «Es wird Zeit, dass die Bürgerlichen endlich mithelfen, die Fehlanreize im Gesundheitssystem auszumerzen. Bei den Medikamenten müssen die Preise auf europäisches Niveau gedrückt werden und es braucht eine konsequente Anwendung von Generika. Auch die Überversorgung durch Doppeluntersuchungen und zu viele Spezialistinnen und Spezialisten muss abgebaut und stattdessen die Grundversorgung gestärkt werden.»

Andrea Caroni

Andrea Caroni

FDP-Ständerat Andrea Caroni (AR): «Es gäbe unzählige Rezepte, um die Kosten (und damit die Prämien) zu senken, man muss die Pillen nur auch schlucken wollen. Weniger Kleinstspitäler, weniger unnötige Untersuche und Operationen, mehr Rabatt bei Hausarztmodellen etc., mehr preiswerte Generika, elektronisches Patientendossier, einheitliche Finanzierung von Stationär und Ambulant, angepasste Arzttarife, Vertragsfreiheit u.v.m.»

Michael Götte

Michael Götte

SVP-Nationalrat Michael Götte (SG): «Unser Gesundheitswesen hat sich zu einem echten Bürokratie-Monster entwickelt. Formulare sind wichtiger als Patienten. Corona hat zudem gezeigt, wie sehr die Gesundheitspolitik die Chancen der Digitalisierung verschlafen hat. Hier ist Bundesbern in der Verantwortung. Als Nationalrat engagiere ich mich für den Abbau unnötiger Vorschriften und Bürokratien. Zudem werde ich mich für zukunftsorientierte digitale Lösungen einsetzen.»

Daniel Fässler

Daniel Fässler

Mitte-Ständerat Daniel Fässler (AI): «Die massiven Prämienerhöhungen sind leider keine Überraschung. Solange auf Angebotsseite keine Beschränkungen bestehen, wird sich daran in Zukunft auch nichts ändern. Die Überalterung der Gesellschaft sowie die sich von den Städten in die ländlichen Gebiete ausbreitende Anspruchshaltung wird zu noch höheren Gesundheitskosten und damit zu noch höheren Prämien führen. Gefragt sind Lösungen, welche die Eigenverantwortung stärken.»

Diana Gutjahr

Diana Gutjahr

SVP-Nationalrätin Diana Gutjahr (TG): «Mit Pflästerlipolitik kommen wir nicht weiter. Wir müssen das Problem an der Wurzel packen und uns fragen: Wo und weshalb entstehen Kosten und wie kann man diese reduzieren. So wie es ein Betrieb macht, wenn die Kosten aus dem Ruder laufen. Einfach Geld via Steuereinnahmen als Prämienverbilligung ins System buttern bekämpft nur das Symptom, jedoch nicht die Ursache. Ein Leistungsabbau, so schmerzhaft es auch tönt, wird unumgänglich sein.»

Stölzle /  Brányik
Autor/in
Marcel Baumgartner

Marcel Baumgartner (*1979) ist Co-Chefredaktor von «Die Ostschweiz».

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