Eine Reise hilft, um wieder mal über den eigenen Tellerrand zu blicken. Während Senn sich über den in der Ostschweiz hereingebrochenen Spätherbst enerviert, erlebt Huber im Süden Italiens zwar auch heftige Winde und Schauer, aber eben auch andere Lebenssichtweisen.
Natürlich ist hier das Masken-Regime ebenfalls im Alltag integriert, aber irgendwie wird es nicht ganz so verbissen durchgesetzt. Die C-Zahlen sind hier deutlich niedriger als in der Ostschweiz. Und ohne den Medienterror rund um COVID lassen sich auch mal wieder andere Themen verfolgen. Wie der Wahlkampf in der Heimat.
Wenn wir hier über Krisenkommunikation schreiben, dann meist über Fälle, die eskaliert sind: Die Krise ist schon eingetreten. Oft genug auch deshalb oder zumindest dadurch verstärkt, dass die Kommunikation vor der Krise schon nicht optimal war. Eigentlich eine simple Feststellung. Aber trotzdem häufig im Krisen-Alltag. Eine der besten Krisenpräventionsmassnahmen ist es deshalb immer, schon in ruhigen Zeiten eine professionelle Kommunikationskultur zu pflegen. Und die Kommunikation strategisch zu führen.
Von der Theorie in die Praxis. Am Beispiel der Stadtsanktgaller CVP, die sich mit einer Kandidatin (von total acht) Kandidatinnen und Kandidaten bei den Stadtratswahlen in St. Gallen beteiligt hatte. Ja noch mehr: Man wolle den zuletzt verloren gegangenen Sitz zurückerobern, hiess es da.
Da würde man erwarten, dass die Kommunikationsspezialisten frühzeitig den Gedanken durchspielen, wie die Partei und auch die Kandidatin reagieren wollten, falls – nicht ganz unwahrscheinlich – ein zweiter Wahlgang nötig würde. Nun, haben sie allem Anschein nach nicht.
Schlecht geplant?
Dabei hatte die Kandidatin (trotz Wahlplakaten, die manch einen zur Frage trieben, welches Zeugs wohl der Grafiker geraucht hatte) mit knapp 10'000 Stimmen ein sehr gutes Resultat erzielt - nur 1’000 Stimmen weniger als der immer noch kaum fassbare FDP-Lehrer, der gleich aufs Präsidium spienzelt. Aber die städtische CVP-Leitung denkt auch eine Woche später immer im stillen Kämmerlein darüber nach, was sie denn nun auch machen möge. Hatte die Rennleitung im Wahlkampf nicht versprochen, den verlorenen CVP-Sitz zurückzuerobern?
Und das Kopfschütteln reicht weit herum. Huber wurde noch im fernen Gallipoli von der christlichdemokratischen Kommunikationsschwäche eingeholt und musste feststellen, dass man sich im Bel Paese das Maul darüber zerreisst, was denn da los sein möge und musste, obwohl der CVP durchaus nicht abgeneigt, den Frust, nein nicht mit Schügga oder Locher, sondern mit lokalem Rose herunterspülen.
Wie sollte es denn gehen?
Das Instrument des vorbehaltenen Entschlusses kennt ein jeder, der oder die irgendwann in ihrem Leben je einmal etwas über Stabsarbeit gehört hat. Auch eine strategische Kommunikationsführung, die diesen Namen verdient, arbeitet damit. Vorbehaltene Entschlüsse zu fassen heisst, mögliche künftige Ereignisoptionen zu antizipieren und rechtzeitig zu überlegen, was zu geschehen hätte, sollte ein solches Szenario dann tatsächlich eintreffen. Oder in einfachen Worten: man sollte vorbereitet sein und sich von den Ereignissen nicht überraschen lassen.
Was die Konkurrenz im städtischen Wahlkampf notabene auch begriffen hat. Der männliche Konkurrent hat sich ja medial bereits schön vor die Linse der Medien geworfen und seinen Anspruch aufs Amt unmissverständlich durchgegeben. Die ehemalige FDP-Postille «St. Galler Tagblatt» unterstützt ihn dabei tatkräftig.
Wo aber steckt die CVP-Kandidatin? Da ist nichts, ausser ein paar Fötelis mit Corona-Masken und ein paar nichtssagenden Facebook Posts. Zusammengefasst, viel niente. Man habe ja Zeit bis zum 15. Oktober, heisst es. Mamma mia, würde man hier in Lecce sagen. Geht gar nicht. Man überlässt doch die Bühne nicht kampflos dem Konkurrenten und lässt sogar zu, dass andere Parteien das Vakuum füllen und damit drohen, dann halt vielleicht selbst noch einmal anzutreten.
Erschwerend kommt hinzu: mit diesem saft- und kraftlosen Lavieren dürften einige der 10'000 bisherigen Wählerinnen und Wähler vor den Kopf gestossen sein. Mit dem Risiko, dass sie abspringen und sich nicht mehr mobilisieren lassen. Nach dem Motto: «Die wött jo glob’ gar nöd so recht.»
Ganz zu schweigen von den anderen Stakeholdern, die jetzt adressiert sein wollten. Etwa die rund 7’000 SVP-Wähler, die 4’000 Anhänger des Leiters der Rathausdienste. Oder dann die 1'700 Stimmen, die im ersten Wahlgang an «Verschiedene» gingen. Zusammen fast 13'000 Stimmen, die man vielleicht noch mit einem kraftvollen, sympathischen und wirkungsvollen Auftritt holen könnte. Aber ohne Kommunikation? Eroberer sehen anders aus, Sieger ebenfalls.
Roger Huber (1964) und Patrick Senn (1969) sind ehemalige Ostschweizer Journalisten, die lange Jahre bei nationalen Medientiteln gearbeitet haben. Heute unterstützen Sie Organisationen und Führungskräfte in der Krisenkommunikation und sind Gründungsmitglieder des Verbandes für Krisenkommunikation vkk.
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