Mit seiner Strafanzeige habe er gezeigt, dass er nicht erpressbar sei, behauptete Bundesrat Alain Berset am Mittwoch am Rande einer Medienkonferenz. Ganz so einfach ist die Sache nicht.
Das Statement steht im Zusammenhang mit einer Reihe von Medienberichten, die am Wochenende und anfangs Woche erschienen und berichteten, Berset sei von einer Frau um 100'000 Franken erpresst worden. Der Departementschef hatte Strafanzeige eingereicht, die Erpresserin wurde verurteilt. Was aber eben nicht heisst, dass sich damit die Sache mit der Erpressbarkeit schon erledigt hätte.
Aber der Reihe nach:
Das Ziel war klar und durchsichtig: Einen veritablen Sturm der Entrüstung wollte die Weltwoche wohl auslösen, als sie am letzten Wochenende die Meldung von der Erpressung Alain Bersets verbreitete. Unter der Affiche: «Berset: Erpressung und Vertuschung». Zusammengestrickt hatte das Stück der Medizinhistoriker und abgewählte Zürcher SVP-Nationalrat Christoph Mörgeli, der sich seit seiner Entlassung an der Universität in Journalismus versucht («Ich bin ein Newcomer»). Da ist für die geneigte Leserschaft dann erst einmal Vorsicht geboten. Der journalistische Zauberlehrling insinuierte in seinem Text allerlei Ungereimtheiten in dem Strafverfahren, das die Bundesanwaltschaft durchgeführt hatte und das am 14. September mit einem Strafbefehl abgeschlossen wurde. So lesen wir da bei Mörgeli, dass bei der Verhaftung fünf Datenträger sichergestellt worden seien, «nämlich ein Apple-MacBook, ein Tablet sowie drei Smartphones. Ein Spezialdienst der Bundeskriminalpolizei löschte sämtliche Daten und setzte alle Geräte auf die Werkseinstellung zurück.»
Und weiter unten: «Während die Unterlagen der Kontoeröffnung durch Scarlett Gehri (Pseudonym der Weltwoche für die Täterin, d. Red.) als Beweismittel bei den Akten belassen wurden, bemühte sich die Bundesanwaltschaft, sämtliches Material raschestmöglich zu vernichten. Eine forensische Untersuchung wurde schon gar nicht erwogen, weil die Echtheit offenbar nicht bezweifelt wurde und weil diese Beweismittel keinen Niederschlag in den Akten finden sollten.» Wenn man schon mal einen so heftigen Verdacht hegt, dann muss er natürlich möglichst breitgetreten werden. Weiter aus der Weltwoche: «Kommt der Einsatz der obersten Strafverfolgungsbehörde zur Bereinigung einer magistralen Privatangelegenheit einem Missbrauch gleich? Machten sich hier Staatsorgane gar zu Komplizen einer Vertuschung? Die Art und Weise, wie Bundesanwaltschaft und Bundeskriminalpolizei Beweismittel beiseiteschafften, befremdet. (…)» Im Fall Berset/Gehri wurde so eine spätere Untersuchung, beispielsweise der vorgesetzten parlamentarischen Aufsicht, von vornherein verunmöglicht. Würden unsere Strafverfolgungsorgane die Interessen eines erpressten Normalbürgers ebenso effizient und rigoros verteidigen wie jene von Bundesrat Berset?»
Nur: Diese Behauptung ist Blödsinn, und wie die Bundesanwaltschaft gegenüber dem Tages-Anzeiger aussagte, sind die Beweismittel sehr wohl bei den Akten, sie wurden einfach auf den «Tatwerkzeugen» der Erpresserin gelöscht. Mörgeli ruderte in einem neuerlichen Artikel allerdings arg zurück und rechtfertigt sich damit, dass davon im Strafbefehl nichts gestanden habe. – Ja, deshalb gibt es im Journalismus das Instrument der Recherche, bevor man einfach etwas behauptet.
Auch der zweite Vorwurf, bei einem anderen Bürger wären die Strafverfolgungsbehörden niemals derart eingeschritten, lässt sich aus unserer Erfahrung kaum bestätigen. Wir erleben zwar in der Tat immer wieder Fälle, wo Staatsanwaltschaften und andere Untersuchungsbehörden kolossal versagen, das ist so. Es gibt in unserer Beratungspraxis aber durchaus auch andere Beispiele, wo gerade bei Erpressungen oder auch Verleumdungen die Staatsgewalt rasch handelte und mutmasslichen Tätern früh am Morgen einen Hausdurchsuchungsbefehl unter die Nase hielt und kurzum den Haushalt auf den Kopf stellte.
Fazit aus dem Weltwoche-Artikel soweit: schlecht recherchiert, mit heisser Nadel gestrickt und offensichtlich vor allem von der Motivation getrieben, dem politischen Erzfeind eine reinzubrettern. Nicht dass dies heute im Journalismus eine grosse Ausnahme ist. Wir beobachten diese Tendenz genauso bei sogenannten Qualitätsblättern oder öffentlich-rechtlichen Medienunternehmen.
Zurück zum Mörgeli-Artikel. Der grosse Sturm blieb in der Folge aus. Zwar kolportieren viele Medien von links bis rechts die Geschichte und vermeldeten stolz, auch sie seien im Besitz des (in mehreren Punkten geschwärzten) Strafbefehls. Die Luft aus der Geschichte war allerdings schnell draussen, als die eine oder andere Redaktion die Weltwoche-Geschichte doch noch nachrecherchierte und auf die unsauberen Fakten stiess. Und als dann Berset am Mittwoch doch noch kurz Stellung nahm und darauf pochte, es gehe hier um eine private Angelegenheit und er habe bewiesen, nicht erpressbar zu sein, war die Sache für alle bis auf die Weltwoche gegessen.
Was allerdings genauso zu kurz greift. Denn einen Punkt hat Mörgeli schon.
Dabei geht es nicht so sehr um die immer noch bestehenden und nicht aufgelösten Widersprüchlichkeiten, denn auch die erscheinen im Weltwoche-Artikel grösser, als sie sind. Gemäss Weltwoche soll es im Strafbefehl wörtlich heissen: «Bei beide Beteiligten sind gewichtige Geheimhaltungsinteressen sowohl in persönlich-familiärer als auch in beruflicher Hinsicht ausgewiesen». Und weiter soll die Bundesanwaltschaft der Weltwoche geschrieben haben, es bestehe «ein besonderes Bedürfnis auf Schutz der Persönlichkeit und Privatsphäre». Mörgeli interpretiert das dann um in: «Nach Einschätzung der Bundesanwaltschaft könnte also Alain Berset seinen Beruf als Bundesrat nicht mehr oder nur noch eingeschränkt ausüben, sollte das belastende, mittlerweile gelöschte Material publik werden.» Eine, sagen wir einmal, waghalsige Interpretation der Zitate der Bundesanwaltschaft.
Der Punkt ist aber ein ganz anderer
Sie ahnen es, es geht um die «Erpressbarkeit». Wann ist jemand erpressbar? Wir sagen: sobald eine Person durch ihr Verhalten einen Sachverhalt setzt, der mit einem erheblichen Schadenspotential gegen sie verwendet werden kann. Ob Berset so etwas getan hat? Wir wissen es nicht. Die Sonntagszeitung schreibt in einem Artikel vom letzten Wochenende, der Strafbefehl lasse, trotz der geschwärzten Stellen, kaum einen anderen Schluss zu als den, dass Berset sich eine Affäre geleistet hatte. Berset seinerseits beruft sich auf den Schutz der Privatsphäre und argumentiert – mit verschiedenen anderen –, dass es um einen rein privaten Vorgang gehe. Eine Affäre, so die weitverbreitete Fehleinschätzung, sei eine Privatsache und gehe die Öffentlichkeit nichts an. Das greift allerdings definitiv zu kurz und ist zu undifferenziert. Es kommt auf die Umstände an.
Wäre ein Magistrat beispielsweise verheiratet, lebt aber im Konsens mit seiner Frau eine offene Beziehung, so würde auch eine aussereheliche Liebschaft tatsächlich kaum eine Erpressbarkeit begründen. Der Grund liegt auf der Hand: Der Magistrat hätte ja von niemandem etwas zu befürchten, wenn die Angelegenheit ans Licht käme – auch nicht von seiner Frau – immer vorausgesetzt, dass Konsens herrscht in Bezug auf die Offenheit der Aussenbeziehungen.
Wenn aber eine solche offene Beziehung nicht vorliegt, ist eine Erpressbarkeit sehr wohl gegeben. Denn es besteht tatsächlich die Problematik, dass ein Erpressungsopfer grosse Nachteile befürchten könnte, für den Fall, dass sein Verhalten publik wird: Eine teure Scheidung, der Verlust der Kinder oder was sonst noch drohen kann, wenn eine Ehe auseinanderbricht. Ob dann mit Geld bezahlt wird oder mit politischen Gefälligkeiten in eine vom Erpresser gewünschte Richtung, ist am Ende nicht wesentlich für die Grundfrage der Erpressbarkeit.
Und dann kommts möglicherweise auch noch ein ganz klein wenig auf die Liebschaft an. Wäre die Gespielin beispielsweise eine Magistratin oder ein Magistrat eines anderen Landes, mit dem grad Verhandlungen in einem heiklen Dossier anstehen, wäre das private schnell hochpolitisch. Weil dann im Raum stehen würde, dass die Verhandlungen nicht mehr im besten Landes-, sondern vielmehr im besten Liebesinteresse geführt würden. Ähnliche Probleme schaffen Affären in hierarchischen Unterstellungsverhältnissen – wenn die Divisionsleiterin sich mit dem unterstellten Abteilungsleiter vergnügt. Oder der Bundesrat mit der Amtschefin.
Ähnliches gilt es über die politische Position zu sagen. Würde ein Politiker eine konservativ-katholische Politik verfolgen mit schwulenfeindlichen Positionen, dann aber selbst mit einem Mann erwischt werden, wäre er genauso erpressbar. Schlicht, weil es um die politische Karriere wohl geschehen wäre, wenn die Sache auskommt. Erste Klammer: In solchen Fällen wäre sogar die Publikation über die sexuellen Vorlieben vom medienethischen Standpunkt aus erlaubt, würde sie doch einen Widerspruch zwischen der Politik und dem eigenen Verhalten des Politikers aufzeigen, was zu erfahren im öffentlichen Interesse liegen würde. Zweite Klammer: Gerade die USA kennen einige schöne solche Beispiele.
Fazit: Ob Berset also erpressbar ist oder nicht, lässt sich nicht beantworten, weil die Umstände zu wenig bekannt sind. Die einzige Aussage, die sich machen lässt: Das Beispiel zeigt, dass sich Berset nicht hat erpressen lassen. Das spricht für ihn, zumindest ein Stück weit.
Damit aber weg vom Beispiel Berset. Wie geht man generell kommunikativ mit Erpressungen um? Zunächst gilt wieder einmal, dass Prävention die beste Krisenvorsorge darstellt: Mann oder Frau sollte man sich im Sinne des oben Gesagten nicht erpressbar machen. Was allerdings mehr eine Charaktersache ist als eine des kommunikativen Handwerks.
Zum Zweiten: Einer Erpressung nie nachgeben. Das gilt zumindest im Grundsatz. Warum? Weil es meist keine vernünftige Botschaft gibt, wenn die Erpressung rauskommt. Sie haben eben bewiesen, dass sie erpressbar sind. – Was wollen/können Sie darauf noch sagen? Doch, eine Antwort gibt es. Sie heisst: Aus diesem Grund trete ich mit sofortiger Wirkung von meinen Ämtern zurück.
Damit zu den Ausnahmen:
Ein häufiger Fall von Erpressungen sind verbunden mit der Entführung und Geiselnahme von Personen. Beispielsweise von Mitarbeiter/innen der Hilfswerke. Das sind oft genug sehr dramatische Situationen, es geht möglicherweise um Leben und Tod, und die Verantwortlichen lassen sich lieber auf eine Erpressung ein, als am Ende die Verantwortung für den Tod einer Geisel übernehmen zu müssen. Das ist menschlich nachvollziehbar. In solchen Fällen betonen die Verantwortlichen nach einer Freilassung dann regelmässig, es sei kein Lösegeld geflossen. Was in den meisten Fällen zwar nicht stimmt, aber niemand will das Signal senden: Wir sind bereit, für Geiseln ein Lösegeld zu bezahlen. Das müsste von der Schar der Kriminellen nachgerade als Einladung verstanden werden. Gleichzeitig lautet das erste Gebot der Krisenkommunikation: Sag’ immer die Wahrheit.
Was also tun? Hier sind dann die Finessen gefragt: Vielleicht erfolgt eine Lösegeldzahlung über eine andere Stelle. Eine Stiftung beispielsweise. Und das zuständige Regierungsmitglied, solange es nicht im Stiftungsrat ist, kann dann unbeschwert aussagen: «Die Regierung hat kein Lösegeld bezahlt, wir lassen uns nicht erpressen.»
Das ist die Wahrheit. Nicht die volle Wahrheit zwar, aber die ist auch nicht verlangt. Zumindest nicht, solange nicht explizit danach gefragt wird. Das ist notabene auch der Grund, warum in solchen Situationen den politisch Verantwortlichen oft gar nicht alles gesagt wird. Die Bundesrätin kann dann nämlich wahrheitsgetreu sagen: «Die Regierung hat kein Lösegeld bezahlt und mir ist niemand bekannt, der Lösegeld bezahlt hätte.» Das geht aber natürlich nur, wenn zwischen Magistraten und seinem Team ein Vertrauensverhältnis herrscht und die Integrität derjenigen, die am Ende handeln, vollumfänglich gegeben ist. (Kleine Anmerkung zum Fall Crypto. Auch hier wurde der Bundesrat von seinem Geheimdienst wegen der geknackten Verschlüsselungsgeräte möglicherweise ganz bewusst und zu seinem Schutz im Unklaren gelassen.) Natürlich ist dann die Integrität derjenigen, die anstelle der Verantwortlichen handeln, von allergrösster Bedeutung.
Business-Erpressungen mittels IT
Etwas weniger dramatisch, dafür recht häufig, sind Erpressungen im Geschäftsleben. Stichwort: Ransomware-Attacken (das sind diese Hacker-Angriffe, bei denen die Angreifer Daten verschlüsseln und erst wieder freischalten, wenn sie eine bestimmte Summe Bitcoins überwiesen erhalten haben). In der Schweiz traf es unter anderem die Schaffhauser Garmin, die Haustechnikfirma Meier Tobler, Swisswindows oder den Zugbauer Stadler. In Zahlen: Schweizweit waren 23'000 KMU von Erpressungen aus dem Cyberspace betroffen und 109'000 Unternehmen von Malware wie Trojanern und Viren.
Viele CEOs machen hier eine Schadensabwägung: Was kommt teurer: die Summe zu bezahlen oder der Betriebsausfall, wenn man es draufankommen lässt. Oft kommt es günstiger, das Geld zu überweisen, und uns sind auch grosse nationale Institutionen bekannt, die schon so gehandelt haben. Aber auch hier gilt, dass das Eingeständnis, man habe sich erpressen lassen, kommunikativ ganz schwierig zu vermitteln ist. Deshalb schweigen auch die meisten. Die einzige brauchbare Botschaft wäre, die erpresste Summe als Lehrgeld darzustellen, das bezahlt wurde, um jetzt die Sicherheitslücken, die durch die Erpressung offenbar geworden sind, zu schliessen. Das ist allerdings äusserst dünnes Eis. Zumindest empfehlen wir, eine solche Vorgehensweise bis zum Ende der Befehlskette abzusprechen. Und juristische Abklärungen zu machen im Hinblick auf allfällige Geldwäscherei-Vorwürfe nach Art. 305bis StGB, die rasch einmal im Raum stehen können, wenn man bezahlt. Wir empfehlen übrigens dringend, gerade dieses letzte Szenario schon einmal in Gedanken durchzuspielen, wenn Sie es nicht schon gemacht haben. Wie sagte uns doch kürzlich ein Experte: «Es gibt drei verschiedene Typen von Unternehmen: Die, die schon gehackt wurden, die, die noch gehackt werden und die, die es nicht merken.»
Roger Huber (1964) und Patrick Senn (1969) sind ehemalige Ostschweizer Journalisten, die lange Jahre bei nationalen Medientiteln gearbeitet haben. Heute unterstützen Sie Organisationen und Führungskräfte in der Krisenkommunikation und sind Gründungsmitglieder des Verbandes für Krisenkommunikation vkk.
Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.