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Esther Federspiel

«Es braucht kreative und analytische Köpfe»

Dürfen Mitarbeitende Fehler machen? Wie kommt es an, wenn sie experimentieren ohne Aussicht auf ein brauchbares Resultat? Hat das Team eine gemeinsame Vision? Und wie ist es zusammengesetzt? Das und vieles mehr bestimmt die Innovationskultur eines Unternehmens.

Die Ostschweiz am 10. August 2022

Vor über 1000 Jahren fuhren der Wikinger Erik «der Rote» und seine Mannschaft über’s eisige Meer von Island nach Grönland. Getrieben von der Idee, dort eine neue Kolonie aufzubauen – was letztlich auch gelang. Doch die Reise war riskant. Von den 25 Schiffen, die loszogen, kamen nur 14 an. Die restlichen blieben auf rauer See verschollen. Wie hatte es Erik «der Rote» geschafft, so viele Leute ins Boot zu holen, die sich der Todesgefahr aussetzten? Ein Grund mochte seine Fähigkeit gewesen sein, in den Menschen eine gemeinsame Vision zu nähren, die jeden einzelnen motivierte, mitzumachen. Eine Fähigkeit, die bis heute nichts an Bedeutung verloren hat und auch in der Unternehmenswelt zentral ist.

Mit Visionen Entwicklungen nähren

«Es braucht Führungskräfte, die in den Mitarbeitenden den Hunger nach Weiterentwicklung wecken und dazu beitragen, dass alle in die gleiche Richtung rudern», sagt Esther Federspiel. Sie ist Dozentin und Projektleiterin am IDEE Institut für Innovation Design und Engineering der OST – Ostschweizer Fachhochschule. Neben ihrem Engagement für Lehre und Weiterbildung, unter anderem als Leiterin des CAS Innovationsmanagement, berät die ausgebildete Psychologin Unternehmen in den Bereichen Innovationsentwicklung und -management. Eines ihrer Schwerpunktthemen ist die Innovationskultur. Von dieser hängt ab, wie die einzelnen Mitarbeitenden ihre Ideen einbringen können und im kreativen und innovativen Denken gefördert werden.

Eine gemeinsame Vision, die alle im Team inspiriere und ihren Hunger nach Weiterentwicklung wecke, sei ein Eckpfeiler einer erfolgreichen Innovationskultur, sagt Esther Federspiel. Eine bekannte Führungsperson, die darauf setzte, war der ehemalige Apple-CEO Steve Jobs. Sein Zitat «Stay hungry, stay foolish» wurde zum geflügelten Wort.

Kombinierte Intelligenzen: Es braucht kreative und analytische Köpfe

Eine weitere wichtige Voraussetzung sieht Esther Federspiel in der Kombination verschiedener Intelligenzen. Es wirke sich positiv auf die Innovationskultur aus, wenn Teammitglieder über unterschiedliche Hintergründe und Kompetenzen verfügten. «Erfolgreiche Gründerteams bestehen meist aus kreativen Schaffern und analytischen Gegenparts», sagt sie. «Wer hingegen nur aus einer Disziplin heraus entwickelt, läuft Gefahr, etwas zu übersehen, denn es fehlen die unterschiedlichen Perspektiven auf einen Problemzustand.» Passiert ist dies etwa im Fall der Datenbrille Google Glass. Zwar sah es zuerst so aus, als könne der Grosskonzern damit einen grossen Durchbruch landen. Dazu kam es aber nie. Probleme mit dem Datenschutz, die man nicht bedacht hatte, verhinderten, dass sich das Produkt am Markt behauptete.

Öffnung und Partnerschaften statt Geheimniskrämerei

Früher lautete das unternehmerische Credo, rund um Entwicklungsprozesse möglichst alles geheim zu halten. Diese Denkhaltung ändere sich allmählich, so Esther Federspiel. «Denn um eine Innovationskultur zu etablieren, muss man sich öffnen.» Auf Öffnung gebaut hat zum Beispiel LEGO. Der dänische Konzern liess die Kundschaft bei der Produktentwicklung mitreden und spielt im Spielzeugmarkt nun wieder ganz vorne mit. Ähnliche Wege geht auch Bühler in Uzwil. Die Firma lädt Kundinnen und Kunden, Partnerinnen und Partner sowie Start-ups ein, das globale Netzwerk der Applikationszentren von Bühler zur Inspiration und Innovation zu nutzen. So können sie ihre Prozesse validieren und verbessern, Schulungen zu den neuesten Technologien erhalten und gemeinsam mit Bühler neue Produkte kreieren.

Durch Experimente früh scheitern und lernen

Der Erfinder und Geschäftsmann Thomas Edison, geboren 1847, meldet Zeit seines Lebens viele Patente an. Unter anderem für die Glühbirne, die er zu dem Produkt weiterentwickelt hatte, das wir heute kennen. Nicht immer ging ihm das Licht gleich zu Beginn auf. Als Misserfolg sah er das aber keineswegs. So soll er einst gesagt haben: «Ich bin nicht 10’000 Mal gescheitert – ich habe erfolgreich 10’000 Wege gefunden, die nicht funktionieren werden.» Eine Sichtweise, die sich in unserem Kulturkreis noch wenig durchgesetzt hat. Führt ein Versuch nicht zum gewünschten Ziel, gilt dies als Versagen. «Und oft kommt es nicht gut an, wenn man mit einer Idee scheitert», sagt Esther Federspiel. Für eine erfolgreiche Innovationskultur sei es jedoch wichtig, dass die Mitarbeitenden sich trauten, zu experimentieren – ohne Druck, dass etwas Brauchbares dabei entsteht. Gerade dann, wenn es darum gehe, nicht nur inkrementell, sondern disruptiv/radikal zu innovieren (siehe Zusatztext unten). Im amerikanischen Kulturkreis ist der Umgang mit Fehlschlägen ein anderer. Davon zeugen etwa Anlässe, auf denen man Misserfolge feiert. Und mit Angstpartys, wie sie beispielsweise Google Ventures eingeführt hat, geht es der Furcht zu versagen an den Kragen.

Ohne Markt ist das beste Produkt nichts wert

Genauso zentral wie das Experimentieren ist auch das Testen. Es empfiehlt sich, ein neues Produkt oder eine neue Dienstleistung früh an den Mann oder an die Frau zu bringen. «Je früher man einen Test auf dem vorgesehenen Markt durchführt, desto rascher zeigt sich, ob ein Produkt einem Kundenbedürfnis entsprechen kann», sagt Esther Federspiel. «Entwickelt man aber etwas jahrelang im stillen Kämmerchen, kommen allfällige Schwierigkeiten möglicherweise zu spät zum Vorschein.»

Es braucht also nicht die scheinbar perfekte Lösung, um anzufangen. Ein gutes Beispiel dafür ist Zappos, ein Onlineshop für Schuhe. Dessen Gründer bastelte zu Beginn eine einfache Webseite und bestückte diese mit Fotos von Schuhen, die er zuvor im Laden gegenüber fotografiert hatte. Sobald jemand ein paar Schuhe bestellte, kaufte er diese im ebengenannten Geschäft ein und versandte sie. Was klein begann, entwickelte sich so zu einem erfolgreichen Unternehmen – entgegen allen schlechten Prophezeiungen, ein Online-Schuhhandel könne nicht funktionieren. Im Jahr 2009 wurde Zappos von Amazon für 850 Millionen Dollar übernommen. Für Esther Federspiel ist klar: Das Experimentieren und Testen fördert die Macherkultur als Teil der Innovationskultur.

Entspannte Atmosphäre zahlt sich aus

Was braucht es, um auf gute Ideen zu kommen? Ein wirksames Mittel ist die Entspannung. Vielen ist bekannt, dass es unter einer heissen Dusche plötzlich auch im Kopf sprudelt. Dafür gibt es eine nüchterne Erklärung: Vor dem Auftreten von Geistesblitzen (Gamma-Wellen) tauchen immer zuerst Alpha-Wellen auf, die aus einer wachen Entspannung resultieren. In einigen Unternehmen dürfen Mitarbeitende deshalb 15 bis 20 Prozent ihrer Arbeitszeit einer Tätigkeit widmen, die nichts mit ihrem Job zu tun hat. Ein Informatiker kann die Zeit beispielsweise nutzen, um Tische zu schreinern. Solche Freiräume sind nicht nur eine Massnahme, um Fachkräfte zu gewinnen. Der Gedanke dahinter ist auch, dass die Mitarbeitenden in einen relaxten Zustand finden und so eher auf kreative Ideen kommen, die wiederum das Potenzial haben, sich zu einer Innovation zu entwickeln.

Inkrementelle und radikale Innovation

Die Schweiz bewegt sich gemäss Global Innovation Index in den vorderen Rängen. Dies betreffe vor allem die inkrementelle Innovation, sagt Esther Federspiel vom IDEE Institut für Innovation Design und Engineering der OST – Ostschweizer Fachhochschule. Konkret bedeutet das, dass Schweizer Unternehmen gut darin sind, bestehende Produkte, Dienstleistungen oder Prozesse laufend zu verbessern. Um langfristig wettbewerbsfähig zu sein, brauche es aber auch die disruptive bzw. radikale Innovation. Darunter versteht man etwas Neuartiges, noch nie Dagewesenes, das in der Lage ist, den Markt zu revolutionieren. Radikal zu innovieren sei in der globalisierten, digitalisierten und krisengeschüttelten Welt überlebenswichtig, so Esther Federspiel. «Denn der Druck der Märkte wächst. Chinesische Firmen kopieren schnell, produzieren günstig und qualitativ immer bessern.» Darüber hinaus seien Unternehmen mit Problemen wie beispielsweise Lieferengpässen konfrontiert, was die gewohnte Produktion behindern könne. «Das radikale Innovieren ermöglicht ihnen, zu agieren, statt zu reagieren», sagt sie. Nichtsdestotrotz brauche es aber beides: die inkrementelle und die radikale Innovation.

Inkrementelle und radikale Innovation

Die Schweiz bewegt sich gemäss Global Innovation Index in den vorderen Rängen. Dies betreffe vor allem die inkrementelle Innovation, sagt Esther Federspiel vom IDEE Institut für Innovation Design und Engineering der OST – Ostschweizer Fachhochschule. Konkret bedeutet das, dass Schweizer Unternehmen gut darin sind, bestehende Produkte, Dienstleistungen oder Prozesse laufend zu verbessern. Um langfristig wettbewerbsfähig zu sein, brauche es aber auch die disruptive bzw. radikale Innovation. Darunter versteht man etwas Neuartiges, noch nie Dagewesenes, das in der Lage ist, den Markt zu revolutionieren. Radikal zu innovieren sei in der globalisierten, digitalisierten und krisengeschüttelten Welt überlebenswichtig, so Esther Federspiel. «Denn der Druck der Märkte wächst. Chinesische Firmen kopieren schnell, produzieren günstig und qualitativ immer bessern.» Darüber hinaus seien Unternehmen mit Problemen wie beispielsweise Lieferengpässen konfrontiert, was die gewohnte Produktion behindern könne. «Das radikale Innovieren ermöglicht ihnen, zu agieren, statt zu reagieren», sagt sie. Nichtsdestotrotz brauche es aber beides: die inkrementelle und die radikale Innovation.

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«Die Ostschweiz» ist die grösste unabhängige Meinungsplattform der Kantone SG, TG, AR und AI mit monatlich rund 300'000 Leserinnen und Lesern. Die Publikation ging im April 2018 online und ist im Besitz der Ostschweizer Medien AG, ein Tochterunternehmen der Galledia Regionalmedien.

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