Dr. med. Anita Niederer-Loher, Kinderärztin und Infektiologin, Oberärztin mbF Infektiologie/Spitalhygiene am Ostschweizer Kinderspital.
Forscher auf der ganzen Welt suchen nach einem Impfstoff gegen das Coronavirus. Doch weshalb dauert es so lange, bis ein Impfstoff gefunden wird? Interview mit Dr. med. Anita Niederer-Loher, Kinderärztin und Infektiologin, Oberärztin mbF Infektiologie/Spitalhygiene am Ostschweizer Kinderspital.
Jeden Tag warten wir auf die Neuigkeit, dass ein passender Impfstoff gefunden wird. Denn erst dann wird ein «normales» Leben wieder möglich sein, so die Einschätzungen. Was denken Sie, wie lange geht es noch, bis ein Impfstoff gefunden wird?
Das ist schwierig vorauszusagen. Es wird sicherlich noch einige Zeit dauern, da die Impfstoffentwicklung ein sehr komplexer Vorgang ist. Ich denke, dass wir nicht vor nächstem Jahr mit einem Corona-Impfstoff rechnen können. Das Virus heisst übrigens korrekt SARS-CoV2.
Warum dauert es so lange, bis ein Impfstoff gefunden wird?
Da gibt es ganz viele Hürden, die zum Teil schon genommen wurden, aber noch mehr, die den Forschenden noch bevorstehen. Es muss zuerst herausgefunden werden, welche Teile des Virus sich gut für eine Impfung eignen. Diese Teile müssen dann so in einem Impfstoff verarbeitet sein, dass unser Immunsystem mit Hilfe der Impfung einen Schutz aufbauen kann. Ziel ist, dass wir bei einem Kontakt mit dem Virus sofort eine Abwehrreaktion zur Verfügung haben. Das Virus muss rasch unschädlich gemacht werden, ohne dass es weiter in den Körper eindringen und uns krank machen kann. Gleichzeitig muss der Impfstoff auch sicher sein und es dürfen keine gefährlichen oder riskanten Wirkungen ausgelöst werden.
Wird an Tieren getestet?
Ja, bis man genau weiss, ob ein Impfstoff wirksam und auch sicher ist, braucht es Tests in künstlichen Flüssigkeiten oder in Blut. Zusätzlich sind aber auch Tests an Tieren, vor allem an Mäusen, nötig. So kann besser überprüft werden, wie sich die Impfung in Wirklichkeit verhält.
Was passiert im Körper, wenn ich mich impfen lasse?
Die Grundidee ist bei allen Impfungen die Gleiche: Wir möchten, dass unser Immunsystem lernt, einen Krankheitserreger zu erkennen und abzuwehren, ohne, dass wir dabei krank werden müssen. Man kann das mit einem Vorbereitungstest für eine wichtige Prüfung vergleichen. Beim Vorbereitungstest kann man nicht durchfallen. Die Erfahrung, wie sich die Prüfungssituation anfühlt und welche Art Fragen zu erwarten sind, geben uns aber Sicherheit. So lernen wir, dass wir die echte Prüfung schlussendlich erfolgreich bestehen können. Genauso ist es mit den Impfungen. Im Impfstoff ist der abgetötete oder abgeschwächte Krankheitserreger oder manchmal auch nur Teile davon enthalten, die unser Immunsystem gut erkennen kann. Wir «zeigen» also mit der Impfung dem Immunsystem, wie der Krankheitserreger aussieht.
Diese Informationen werden von unseren Immunsystemzellen verarbeitet und sie produzieren Abwehrstoffe, sogenannte Antikörper. So sind wir vorbereitet und im Falle eines Kontaktes mit dem «echten» Krankheitserreger kann unser Immunsystem sehr schnell reagieren und die Viren unschädlich machen. Dank der Impfung sind wir geschützt, also immun, und müssen die Krankheit mit all ihren gefährlichen Risiken nicht durchmachen, auch dann nicht, wenn wir mit einer ansteckenden Person oder mit dem Krankheitserreger selbst in Kontakt kommen.
Ist mit Nebenwirkungen zu rechnen?
Bei allen Impfungen ist es möglich, dass Nebenwirkungen auftreten. Wir spüren dabei die «Arbeit», die das Immunsystem machen muss, um den Erreger im Impfstoff zu erkennen und den Schutz aufzubauen. Die Immunzellen müssen Signalstoffe produzieren, damit der ganze Ablauf richtig gut funktioniert. Diese Signalstoffe wiederum können eine leichte Entzündung an der Impfstelle auslösen, die sich mit Schmerzen oder einer Schwellung äussert. Auch eine Gesamtreaktion mit Müdigkeit, Gliederschmerzen oder seltener Fieber kann vorkommen. Dies ist auch ein Zeichen dafür, dass die Immunreaktion im Körper funktioniert und der Schutz aufgebaut wird. Diese Reaktionen können zwar unangenehm sein, aber sie sind vorübergehend und nicht gefährlich.
Dank der Impfung sind wir aber gegen eine gefährliche Krankheit geschützt, die grossen Schaden anrichten und im schlimmsten Fall sogar zum Tod führen könnte. Es ist aber auch wichtig, gerade bei neuen Impfstoffen, die man noch nicht so lange kennt, dass ganz genau beobachtet und überprüft wird, welche Reaktionen nach der Impfung auftreten. So kann rasch erkannt werden, wenn etwas nicht Vorhergesehenes auftreten sollte und man kann dann entsprechend reagieren.
Wäre es sinnvoll, dass sich auch Kinder und Jugendliche impfen lassen?
Für wen es empfohlen wird, hängt von verschiedenen Faktoren ab, die wir jetzt noch nicht alle ganz genau kennen. Nicht jede Impfung kann bei allen Personen gleich gut und mit der gleichen Wirksamkeit eingesetzt werden. Deshalb gibt es auch für andere Impfungen unterschiedliche Empfehlungen, je nach Alter und Zusatzinformationen. Sobald klar ist, welcher Impfstoff zur Verfügung steht, werden die Experten eine Empfehlung abgeben.
Weitere Informationen zum Impfen allgemein und auch zu den einzelnen Impfungen und Empfehlungen sind hier nachzulesen.
Dr. med. Anita Niederer-Loher, Kinderärztin und Infektiologin, Oberärztin mbF Infektiologie/Spitalhygiene am Ostschweizer Kinderspital.
Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».
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