Bruno Hug, der Gründer der «Obersee Nachrichten», wurde in erster Instanz verurteilt. Im Interview spricht er Klartext.
Bruno Hugs Abgang aus der Presselandschaft war laut. Er sei mit seinen «Obersee Nachrichten» eine Hetzkampagne gefahren, urteilte das Kreisgericht Werdenberg-Sarganserland, das für die Kollegen aus dem See-Gaster wegen Befangenheit einsprang. «Klatsche für die Klatschpresse» titelte tags darauf die «Südostschweiz». Geklagt und gewonnen hatten die Stadt Rapperswil-Jona und die KESB Linth. Insgesamt 40 Artikel schrieben die «Oberseee Nachrichten» zwischen 2014 bis Mitte 2016 über Menschen, die in den «Fängen der KESB» gelandet seien, wie er es sagt. In der Wochenzeitung wurde ihnen eine Plattform gegeben, abgedruckt, was die Menschen zu ihrem Fall zu sagen hatten und was die eigenen Recherchen zu Tage brachten.
«Mich interessiert der Mensch und sein Schicksal», sagt Hug, und meint damit, dass seine Berichterstattung Missstände aufgedeckt habe, über die vorher niemand sprach. Den journalistischen Grundsatz, dass die Gegenseite auch zu Wort kommen sollte, wurde und konnte nicht erfüllt werden, denn die Gegenseite darf keine Stellung nehmen, sie unterliegt der Schweigepflicht. Das gebrauchte Vokabular und die Berichterstattungen an sich konnten als tendenziös empfunden werden, doch Hug wurde gelesen und diskutiert. Entweder man mochte, was und wie er schrieb oder es gefiel einem überhaupt nicht. Und manch einer, dem nicht gefiel, was Hug schrieb, schwieg. Man fürchtete sich, selbst Opfer seiner spitzen Feder werden zu können.
Heute, einige Monate nach dem Urteil aus Mels, sagt Hug: «Natürlich, die KESB ist nicht grundsätzlich schlecht», vielmehr sei sie aber die «meist missverstandene Behörde» der Schweiz. Es stimme nur bedingt, dass die KESB Schutz und Hilfe biete. Er habe ganz anderes gesehen und darüber habe er berichtet, gibt Hug ohne jegliches Schuldbewusstsein zu Protokoll. Die KESB sei Untersuchungsbehörde und Gericht in einem und könne die Polizei nach eigenem Gutdünken einsetzen, das mache sie sehr potent, zu potent, findet Hug. Gleich nach der Urteilsverkündigung wurde er bei den «Obersee Nachrichten» per sofort freigestellt und schreibt jetzt ein Buch zur Macht der KESB.
Herr Hug, bereuen Sie im Nachhinein, dass Sie in dieser Art und Weise über die KESB berichtet haben?
Nein, das war eine gute und intensive Zeit. Journalisten haben eine Aufklärungspflicht und dieser bin ich gefolgt. Ich würde alle KESB-Artikel wieder schreiben, denn sie haben immer der Wahrheit entsprochen, was mittlerweile schon in zwei Gerichtsfällen bestätigt wurde.
Ihnen wurde vorgeworfen, Ihre Artikel seien polemisch und tendenziös gewesen. Was sagen Sie dazu?
Unsere Berichte waren beides nicht. In rund 500 Seiten Klageschrift konnten uns die Kläger keine falschen Artikel nachweisen. Wir haben immer über Fakten geschrieben, was natürlich für die KESB unbequem war. Lesen Sie unsere Artikel nach, und Sie werden keine polemischen oder tendenziösen Berichte finden.
Sie wurden nach dem Urteil per sofort freigestellt. Der Verwaltungsrat der Somedia hat das Urteil akzeptiert. Was sagen Sie dazu?
Es ist Sache von Somedia, ein Urteil zu akzeptieren oder nicht. Ich persönlich finde das Urteil äusserst fragwürdig. Es scheint mir mehr politisch als fachlich basiert zu sein. Mit höchster Wahrscheinlichkeit werde ich es an die nächste Instanz weiterziehen. Ich bin auch bereit, allenfalls noch weitere Gerichtsstufen anzugehen, denn hier geht es um nichts weniger als die Meinungs- und die Medienfreiheit. Momentan werden in der EU fundamentale Gespräche zur Meinungsfreiheit im Internet geführt. Dabei stellt die EU klar: Sie will im Web keine Zensur. Derweil das Melser Kreisgericht genau das von mir verlangt hat, nämlich Zensur von Drittmeinungen auf Facebook vorzunehmen.
Hat Sie der Verwaltungsrat, dem Sie ja selbst bis kurz vor Gerichtsgang angehörten, fallengelassen?
Ich bin noch bei der ON AG angestellt und möchte dazu nichts sagen.
Hug ist einer, so scheint es, dem wird alles zu Gold, was er in die Hände kriegt. Geboren wurde er 1954 in Maugwil bei Bronschhofen, das heute zu Wil gehört. Schon in den 1980er-Jahren ist er in die Region Rapperswil gezogen und wohnt heute mit Frau und seinem Sohn in Bollingen am Oberen Zürichsee. Der studierte Tiefbauingenieur ist jung Unternehmer geworden: Er gründete mit 25 Jahren die «Uster Nachrichten» und 1981 die «Obersee Nachrichten», leitete 24 Jahre lang die Geschicke des SC Rapperswil-Jona und besass zusammen mit einem Geschäftspartner die Denon-Gruppe, die 2008 von der PubliGroupe gekauft wurde . 1993 gründete er zusammen mit Rocco Delli Colli das Gastrounternehmens «Dieci», das heute an 39 Standorten mit 300 Mitarbeitern einen Umsatz von 60 Millionen Franken erwirtschaftet.
2013 wechselte Hug bei den Obersee Nachrichten, die er 1999 an die Mediengruppe Somedia in Chur verkaufte, aber weiterhin führte, von der Verleger- auf die Redaktionsseite. «Das war eine sehr interessante und aufreibende Zeit», sagt Hug. Denn er hatte sich nichts Geringeres vorgenommen, als aus den «Obersee Nachrichten» eine bestimmende und wegweisende Zeitung zu machen. Das war sie auch: Lange vor der KESB-Geschichte prägte die Zeitung immer wieder die politische Diskussion in der Region. So zum Beispiel als es 2010 darum ging, das Rapperswiler Schloss während 20 Jahren fix an Polen zu vermieten oder als er bei den letzten Stadtratswahlen in Rapperswil-Jona gleich selbst als Kandidat für das Stadtpräsidium antrat, um Erich Zollers Wiederwahl zu verhindern - was ihm mit dem besten Wahlresultat auch gelang. Das Stadthaus erobern wollte er allerdings nicht mehr und schlug Martin Stöckling zur Wahl vor, der dann auch gewählt wurde. Auch für die Fusion von Rapperswil und Jona, die 2007 erfolgreich vollzogen wurde, kämpfte Bruno Hug an vorderster Front.
Sie sind erfolgsverwöhnt und Knall auf Fall wurden sie arbeitslos. Ein Schock?
Ein derartiges Ende nach 18 Jahren erfolgreicher Zusammenarbeit mit dem Mutterhaus der «Obersee Nachrichten» löst keinen Freudentaumel aus. Aber deswegen bin ich nicht arbeitslos. Ich habe die Führung der Zeitung immer teilzeitlich gemacht, so stand es auch in meinem Vertrag. Ich beschäftige mich ja auch mit anderem. Meine Artikel musste ich deshalb oft morgens um 4 Uhr und an vielen Wochenenden schreiben. Nun kann ich mir auch wieder etwas mehr Schlaf- und Freizeit leisten.
Nochmals zum «grossen» Gerichtsfall, bei dem Sie erstinstanzlich verurteilt wurden, eine «Hetzkampagne» gegen die KESB gefahren zu sein. Waren Sie über das ausbleibende Medienecho enttäuscht?
Es gab ja sogar ein schweizweites Echo. Aber ich war mit der Art des Echos wenig zufrieden. Keine einzige Zeitung hat sich mit dem Urteil tiefgründig beschäftigt. Es ist für die Medien bedenklich. In erster Linie wurde mir ja vorgeworfen, wir hätten gegen die KESB eine Kampagne gefahren. Das ist aus meiner Sicht Mumpitz. Dazu ein Beispiel: Die «Weltwoche» schreibt schon etliche Jahre gegen unsere Bundesrätin Simonetta Sommaruga und ihre Flüchtlingspolitik an. Gemäss dem Melser Urteil könnte Frau Sommaruga nun gegen die Weltwoche klagen und ausführen, sie werde in ihrer Ehre verletzt, die Artikel seien eine Kampagne, womit ein Gericht der Weltwoche verbieten müsste, weiter über Sommarugas Flüchtlingspolitik zu schreiben. Ich wurde nicht verurteilt, weil meine Artikel nicht wahrheitsgemäss waren, sondern weil wir viel über die KESB Linth geschrieben haben. Wenn es viele KESB-Linth-Fälle zu beschreiben gab, ist das nicht das Problem der Zeitung, sondern der KESB Linth.
… es ging auch um die Kommentare auf der Facebook-Seite…
… genau. Dass ich für die Kommentare von Dritten auf der Facebook-Seite der «Obersee Nachrichten» verantwortlich sein soll, ist ein unbegreiflicher Vorwurf. Ich bin weder Meinungsmanipulator noch Zensor. Und das ohnehin nicht in einem fremden Medium. Für Facebook-Einträge sind jene verantwortlich, die die Kommentare schreiben, oder Facebook selber. Der Bundesrat hat dies übrigens schon 2013 und nochmals im Mai 2017 fixiert.
Was ist denn Ihrer Meinung nach genau die Aufgabe einer Lokalzeitung?
Eine Lokalzeitung hat keine andere Aufgabe als ein nationales oder internationales Blatt. Es geht darum, Missstände aufzudecken und die Leser zu unterhalten. Zudem haben alle Medien eine staatskontrollierende Aufgabe, weshalb es auch die Medienfreiheit gibt. Ohne kritische Zeitungen kann es keinen freiheitlichen Staat geben. Freie Medien sind die Grundvoraussetzung für eine funktionierende Demokratie. Darum müssen Journalisten frei sein, und dürfen sich von keiner Interessenseite «kaufen lassen» - auch aus politischer Sicht nicht. Und vor allem interessiert mich immer der einzelne Mensch. Es gilt, ihn vor Ungerechtigkeit und Manipulation zu schützen.
Michel Bossart ist Redaktor bei «Die Ostschweiz». Nach dem Studium der Philosophie und Geschichte hat er für diverse Medien geschrieben. Er lebt in Benken (SG).
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