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Gastbeitrag zur Präventivhaft (PMT)

Frontalangriff auf freiheitlichen Rechtsstaat

Unter dem Vorwand des «Kampfs gegen den Terrorismus» könnten ab dem 13. Juni 2021 viele Bürgerfreiheiten stark eingeschränkt werden. Die Liste möglicher Massnahmen ist ebenso gefährlich wie die Definition der «terroristischen Aktivität».

Artur Terekhov am 16. Mai 2021

Melde- und Gesprächsteilnahmepflicht, Kontaktverbot, Eingrenzung auf einem Gebiet, Rayonverbot bzw. Ausgrenzung, Ausreiseverbot, Eingrenzung auf eine konkrete Liegenschaft (eigentliche «Präventivhaft») und elektronische Überwachung (einschliesslich Mobilfunklokalisierung/Handyortung). Das ist die lange Liste der möglichen Massnahmen, über welche wir am 13. Juni 2021 abstimmen. 

Unstreitig greifen diese Massnahmen hochgradig in die Freiheit des Individuums ein. Dennoch müsste bloss die eigentliche Präventivhaft, bei welcher eine Person auf eine konkrete Liegenschaft eingegrenzt wird sowie diese nicht verlassen darf (oft der eigene Wohnsitz), überhaupt von einem Gericht, dem Zwangsmassnahmengericht des Kantons Bern, genehmigt werden. Die restlichen Massnahmen dürfte das Bundesamt für Polizei (fedpol) selber anordnen und müssten die Betroffenen selbständig Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht erheben, wobei jene Beschwerde nicht einmal aufschiebende Wirkung hätte (neu-Art. 24g BWIS). Das heisst, die einschneidende Massnahme bliebe trotz des hängigen Beschwerdeverfahrens in Kraft; der oder die Betroffene müsste sich vorerst der amtlichen Anordnung fügen.

Dies für sich allein stehend ist schon alles andere als harmlos. Doch es geht noch weiter, wenn man sich die Legaldefinition der sog. terroristischen Aktivität ansieht, zu deren Verhütung künftig die vorgenannten Massnahmen möglich wären. Denn nArt. 23e Abs. 2 BWIS lautet folgendermassen: «Als terroristische Aktivität gelten Bestrebungen zur Beeinflussung oder Veränderung der staatlichen Ordnung, die durch die Begehung oder Androhung von schweren Straftaten oder mit der Verbreitung von Furcht und Schrecken verwirklicht oder begünstigt werden sollen.»

Ein Jurist muss ob dieser Formulierung alarmiert sein. Abgesehen davon, dass diverse Begriffe in jener Norm äusserst weit formuliert sind (genau genommen beeinflusst jede Person, die sich politisch engagiert, die staatliche Ordnung), fällt die häufige Verwendung des Wörtchens «oder» auf. Wobei «oder» nun einmal nicht dasselbe wie «und» ist. Dies bedeutet nichts anderes, als dass für die Annahme terroristischer Aktivitäten die gesetzlichen Kriterien nicht kumulativ, sondern bloss alternativ zu erfüllen sind.

Mit anderen Worten reicht die Erfüllung eines der Kriterien, um jemandem eine terroristische Aktivität zu unterstellen. Noch deutlicher: Ein terroristischer Gefährder muss die staatliche Ordnung nicht verändern; es reicht, dass er diese beeinflusst. Ebensowenig muss er seine terroristische Aktivität verwirklichen; es reicht, dass diese begünstigt wird. Damit ist die Norm derart unbestimmt, dass an sich alles Mögliche darunter fallen kann. Besagte Formulierung ist nicht nur für Laien, sondern auch Juristen, zu deren täglichem Brot trockene Rechtstexte gehören, weder klar noch leicht verständlich. Die Gesetzesvorlage schafft also maximale Rechtsunsicherheit und kann ergo mit guten Gründen als Willkürparagraf bezeichnet werden.

Weil der parlamentarischen Schlussabstimmung über den Gesetzestext, über den wir am 13.06.2021 abstimmen dürfen, eine reichhaltige Debatte vorausging, kann man auch nicht leichthin annehmen, dass einige unklare Formulierungen bloss unabsichtlich entstanden sind. Denn dass ein starker Staat und eine totale-Sicherheit-Gesellschaft dem Ideal vieler staatsgläubiger Kräfte entsprechen, zeigt die aktuelle Covid-Notrechtszeit exemplarisch.

Tatsächlich mussten wir uns von Jonas Weber, Berner Rechtsprofessor und SP-Mitglied, anhören, dass die Polizei selbstverständlich in ein Einfamilienhaus eindringen dürfe, um eine Privatparty mit zu vielen Gästen aufzulösen – obwohl es sich bei jenen Verstössen um Ordnungsbussendelikte handelt und weder ein Strafregistereintrag geschweige denn eine Freiheitsstrafe zur Diskussion stehen. Es entspricht also offenbar in gewissen Kreisen dem guten Ton, die staatlichen Eingriffsrechte immer weiter vorzuverlagern.

Die «Freunde der Verfassung», der parteiunabhängige, tendenziell bürgerliche Referendumsverein gegen das Covid-19-Gesetz hat richtigerweise erkannt, dass die neuen Vorschriften dereinst gegen behördenkritische Demonstrierende missbraucht werden könnten. Dieselbe Vermutung hat auch der grüne Zürcher Anwalt Viktor Györffy in der WOZ geäussert; er befürchtet, dass künftig jene weitreichenden Machtinstrumente auch gegen Klimademonstrierende eingesetzt werden könnten. Bedenklich und hochgradig beschämend ist, dass in der – vordergründig freiheitlichen – SVP-Nationalratsfraktion einzig Pirmin Schwander den Kompetenzausbau für den angeblichen Kampf gegen den Terrorismus abgelehnt hat.

Erinnert sei daran, dass Pirmin Schwander auch der nahezu einzige SVP-Bundesparlamentarier war, der sich gegen das neue, per 2013 in Kraft getretene ZGB-Personenrecht stellte, da er eine zu bürokratische und machtgierige KESB fürchtete – heute gibt ihm seine Partei weitgehend recht. Es gilt nun einmal, dass Freiheit weit schneller verloren geht als dass sie erkämpft wird. Vor diesem Hintergrund gilt es – ganz im Sinne von Montesquieu – kein Gesetz zu machen, wenn dieses nicht zwingend erforderlich ist.

Dies hat die Linke im aktuellen Abstimmungskampf bestens erkannt. Zu wünschen ist nur noch, dass sie auch einer Liberalisierung des Waffenrechts zustimmt, denn bewaffnete Bürger sind und bleiben nun einmal die beste Terrorismusprävention; denn dass sich echte Kriminelle ans Waffenrecht halten würden, ist illusorisch. Bis sich diese Einsicht durchsetzt, ist es vorerst wichtig, dass am 13.06.2021 der Neuausbau der Staatsmacht klar abgelehnt wird.

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Nach Kommentar von Stefan Schmid

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Autor/in
Artur Terekhov

MLaw Artur Terekhov ist selbstständiger Rechtsvertreter in Oberengstringen ZH.

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