Die Rezessionspropheten haben Hochkonjunktur. Die Zinskurven sind in den meisten Industrieländern invers, zum Teil sehr deutlich. Die Renditen für Obligationen mit einer Laufzeit von 10 Jahren sind tiefer als die Zinsen für kurzfristige Gelder.
In der Schweiz ist die Zinskurve zumindest flach. Die Zinsen sind hierzulande unabhängig von ihrer Laufzeit praktisch identisch. Diese Konstellation hat den Ruf, ein sicheres Vorzeichen für eine bevor- stehende Rezession zu sein. Auf die Rezession müssen die Notenbanken mit der Senkung ihrer Leitzinsen reagieren, so die Erklärung für die inverse Zinskurve. So einfach ist die Welt der Finanzmärkte aber nicht.
Dennoch wird von der Fed noch in diesem Jahr eine deutliche Senkung der Leit- zinsen erwartet. Der Startschuss soll dabei im Sommer erfolgen. Neben den stark gestiegenen Zinsen wird ein «Credit Crunch» als Folge des Zusammenbruchs von drei US-Regionalbanken als Grund aufgeführt. In Analogie zur Finanzkrise 2008 muss ein solcher zu einer tiefen Rezession führen. Ob und wie stark der fehlende Zugang zu Krediten für die Unternehmen und Haushalte effektiv ein- treten wird, hängt von vielen Faktoren ab. Wichtig ist vor allem, ob die bisherigen Fälle bei den Banken Einzelereignisse sind oder ob das Bankensystem als Ganzes in Schwierigkeiten steckt.
Wie beeinflusst die Kreditvergabe der Banken die Zinsentwicklung?
Niemand kann ausschliessen, dass noch weitere Regionalbanken ihre Zinsrisiken nicht im Griff haben. Für eine breite Welle von Bankkonkursen gibt es aber keine Anzeichen. Zudem sind die grossen, systemrelevanten US-Banken im Unter- schied zur Finanzkrise solide aufgestellt. Die Banken sind somit in der Lage, weiter Kredite zu vergeben. Die nächste Frage ist, wie sie die Bonität möglicher Kreditnehmer einschätzen. Solange die Konjunktur läuft, die Unternehmen gut verdienen und die Leute einen Job und damit ein regelmässiges Einkommen haben, wird das kein starker Hinderungsgrund sein. Der dritte Faktor ist, ob überhaupt Kredite nachgefragt werden und ob investiert wird. Hier ist die Ein- schätzung der wirtschaftlichen Zukunft ebenfalls das zentrale Element. Die Stimmungsumfragen zeigen keine Euphorie, aber auch keine Untergangssze- narien. Dass die Kreditvergabe in den USA zurückgehen wird, ist angesichts der konjunkturellen Abschwächung, die im Gange ist, anzunehmen. Wie stark und anhaltend sie ausfallen wird, ist jedoch ungewiss.
Ein Rückgang in der Kreditvergabe hat auf die Wirtschaft die gleiche Wirkung wie eine Zinserhöhung der Fed. Daher müsse die Fed mit Zinssenkungen diesen Effekt kompensieren. Dabei machen Schätzungen die Runde, dass das Banken- problem einer Zinserhöhung von bis zu 1.50% entspricht. Das ist wohl weit über- trieben. 0.25% oder 0.50% kommen der Realität näher. Damit kann die Fed gut leben. In der Schweiz stellt sich die Frage des negativen Einflusses einer zurück- gehenden Kreditvergabe trotz der Übernahme der Credit Suisse durch die UBS nicht. Wer einen Kredit will und die dafür nötigen Kriterien erfüllt, bekommt ihn.
Noch ein weitere Zinsschritt nach oben
Die Konjunktur schwächt sich ab, sowohl in den USA als auch in der Schweiz. Die Zinserhöhungen wirken sich mit der üblichen Verzögerung bremsend auf die wirtschaftliche Tätigkeit aus. Das ist so gewünscht. Damit die Inflation unter Kontrolle gebracht wird, muss die Nachfrage nach Produkten und Dienst- leistungen vermindert werden. Ob die Bremswirkung zu stark ist und es zu einer Rezession kommt oder nicht, ist ein schmaler Grat. Die Diskussion um eine neuerliche Finanzkrise und einen «Credit Crunch» ist ein Faktor, der den Anpas- sungspfad zusätzlich komplexer gestaltet. Es ist richtig, dass die Zentralbanken in diesem Umfeld vorsichtiger werden. Insbesondere in den USA rückt das Ende der Zinserhöhungen in Sichtweite. Ich gehe davon aus, dass die Fed nach einem weiteren Schritt von 0.25% fertig ist. Damit sollte es gelingen, die Inflation mit der Zeit absinken zu lassen, ohne die Wirtschaft abzuwürgen. Notfallmässige Zins- senkungen sind daher kein Thema. Die SNB wird im Juni die Zinsen noch einmal um 0.50% anheben und dann abwarten, was passiert.
Dr. Thomas Stucki ist CIO der St.Galler Kantonalbank. Er hat einen Abschluss mit Doktorat in Volkswirtschaft von der Universität Bern und ist CFA Charterholder. Stucki führt bei der St.Galler Kantonalbank das Investment Center mit rund 35 Mitarbeitenden und ist verantwortlich für die Verwaltung von Kundenmandaten und Anlagefonds im Umfang von 7,5 Milliarden Franken. Zuvor war er als Leiter Asset Management der Schweizerischen Nationalbank verantwortlich für die Verwaltung der Devisenreserven.
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