Corona macht uns zu besseren Menschen. Das Virus treibt uns in die Küche. Und an den Werkzeugkasten. Und an den längst vergessenen Schrank mit den Brettspielen. Und zum Jogging. Die Liste der Dinge, die ich dank der Pandemie wieder neu entdeckt habe.
1. Die Küche
Um es klarzustellen: Ich finde auch diese tiefgefrorene Lasagne, diesen angeblichen «Convenience Food», gar nicht so einfach, wie immer behauptet wird. Deshalb gibt es ja auch eine Anleitung auf der Verpackung dazu. Dass ich die Folie drüber vorher entfernen muss, habe ich übrigens im vierten Anlauf gemerkt. Aber wieso bitte können wir zum Mond fliegen, haben aber Backöfen, die nicht einfach aufhören zu heizen, wenn es dann mal gut ist? Und warum sieht alles gleich aus, nachdem ich es aus dem Ofen nehme? Und schmeckt gleich? In Coronazeiten habe ich jedenfalls in der Not gelernt, zu kochen. Sprich: Ich bin jetzt in der Lage, die Reste der Lieferung des Thai-Restaurants meines Vertrauens am Tag danach in einer Pfanne zuzubereiten. In einer Pfanne! Auf dem Herd! Selbst! Essen kann man es natürlich nicht. Aber wie es schön brutzelt!
2. Die Möbel
Die Ikea-Lieferung (die IBAN zur Überweisung des Werbehonorars an den schwedischen Konzern geht per E-Mail raus) war vor dem Lockdown bestellt. Sie kam auch. Aber mit dem freundlichen Hinweis: «Unsere Partnerfirmen führen keine Montagen mehr aus.» Ach so. Ja, easy. Wenn ich eine Tastatur bedienen kann, dann bin ich sicher auch in der Lage, ein ganzes BETT zu montieren. Und ein ARBEITSPULT! Und einen KLEIDERSCHRANK! Und wozu braucht das Kind eigentlich einen Bürostuhl am Pult? Wie wärs mal mit ein bisschen stehen? Jedenfalls steht das Zeug inzwischen. Und ich liege die ganze Nacht wach und warte auf das Geräusch in sich zusammenfallender Möbel.
3. Die Spiele
An Tag 11 der schulfreien Zeit war es so weit: Meine Kinder hatten Netflix durch. Das ganze Netflix. Es gab nichts mehr, was sie dort nicht gesehen hatten. Horrorfilme ab 18 inklusive. Was soll man da tun? Naja, zum Beispiel Sky und Amazon Prime und Apple TV dazu abonnieren. Pädagogisch nicht sinnvoll? Gut, dann machen wir eben Brettspiele. Wir sehen doch immer diese glücklichen Familien in der TV-Werbung, die total selig lächelnd miteinander spielen. Wie machen die das eigentlich? Vielleicht haben die andere Kinder als ich. Zum Beispiel solche, die NICHT die Spielanleitung irgendwo in ihrem Saupuff verloren haben. Ich verrate Ihnen ein Geheimnis: Sie können jedes Brettspiel ohne Anleitung spielen. Einfach alle Figuren aufs Startfeld, würfeln, und wer zuerst am Ziel ist, hat gewonnen. Den ganzen Regelmist dazwischen einfach ausblenden. Und Kartenspiele? Ach. Wer zuerst abgelegt hat, hat gewonnen. Und man darf IMMER ablegen. Problem gelöst.
4. Jogging
Ich hatte mich gerade nach 30 Jahren Abstinenz zu etwas Bewegung aufgerafft, als es hiess: Fitnesszentren bleiben zu. Dann bleibt ja nur die freie Natur. Ab ins Sport-Outfit und auf die malerische Strecke vor dem Haus. Jogging ist angesagt! Und als ich nach 4,5 Minuten und 250 Metern wieder zuhause angekommen bin, wartet dort die Zeitung im Briefkasten, die mir sagt, dass Jogger ein Ansteckungsherd sind. Weil sie keuchen und pfeifen und so das Virus verbreiten. Was für ein Unsinn! Ich keuche und pfeife doch nicht. Ich wäre ja schon froh, wenn ich irgendein Geräusch von mir geben könnte, während mich die Nachbarn in den dritten Stock tragen!
5. Aufmerksamkeit
Ich bin dank Corona ein viel bewussterer Mensch geworden. Endlich nehme ich meine Umgebung richtig wahr. Und zwar immer dann, wenn ich abends um Sieben mit dem Feldstecher am Küchenfenster stehe, um herauszufinden, ob meine Nachbarin wieder eine ihrer total illegalen Gartenpartys veranstaltet. In der anderen Hand habe ich das Smartphone, um die Polizei zu verständigen. Nein, ich bin kein böswilliger Mensch, aber Verzeihung,: Es kann ja nicht sein, dass ich zwischen angebrannten Thai-Resten, einer abgebrochenen Partie Monopoly und in der Jogginghose da stehe und diese Frau hat es lustig? Aber wissen Sie was? Dort, wo ich wohne, sind vermutlich auch die Polizisten Gäste am Apéro.
Mein Fazit: Ich werde nach der Coronakrise vermehrt Brettspiele in den Backofen schieben, mit Ikea-Möbelteilen ums Haus rennen und meine Nachbarn verpfeifen. Das Virus hat mir wirklich neue Perspektiven eröffnet.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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