logo

Neuer Anlauf

Geburtshaus: Vielleicht dieses Mal?

Es gebe ein Bedürfnis, heisst es seit Jahren. Und dennoch schaffte es bisher kein Geburtshaus in der Ostschweiz, langfristig zu bestehen. Dieses Mal stehen die Chancen besser.

Stefan Millius am 24. Mai 2018

Als 1994 das Geburtshaus Artemis in Steinach (SG) eröffnet wurde, führten die Initianten die Medienschaffenden stolz durch die Räumlichkeiten und erklärten ihnen, warum die Ostschweiz ein solches Angebot unbedingt brauche. Es gebe viele Eltern, die ihre Kinder nicht in einem konventionellen Spital zur Welt bringen wollen, hiess es. Und mit den farbenfrohen, ganz und gar unklinisch anmutenden Räumen brachte man die Unterschiede auch aktiv zur Geltung. Hier sollte man die Geburt als Familie erleben können, abseits von gestresstem Krankenhauspersonal. Und abseits von Ärzten.

Bis 2011 war das Artemis in Betrieb, 1400 Kinder kamen dort zur Welt. Das ist ein Schnitt von rund 80 Geburten pro Jahr. Eine Zahl, die herkömmlichen Krankenhäusern kaum den Schweiss auf die Stirne treiben konnte. Und eine Zahl, die offenbar nicht reichte, um den Betrieb sicherzustellen. Denn auch wenn viel Herzblut in die Ausgestaltung der Details gesteckt wurde, schien es an einem zu fehlen: Einem klaren Businessplan.

Zu viele Unsicherheiten

Für werdende Eltern war die Entscheidung für ein Geburtshaus damals ein finanzieller Aufwand. Zwar waren die unmittelbaren Kosten für Geburt und Wochenbett durch die Grundversicherung gedeckt. Der eigentliche Aufenthalt und alle Nebenleistungen musste man aber selbst berappen, wenn man nicht über entsprechende Zusatzversicherungen verfügte. Und auch wenn damals bereits bekannt war, dass künftig auch Geburtshäuser auf die Auswahl der Spitalliste kommen würden und sich die finanzielle Frage für Eltern entspannen wird, hielten die Artemis-Betreiber die Unsicherheit für zu gross. Und – ein interessanter Punkt – es wurde betont, es sei als kleine Einrichtung generell schwierig, alle Auflagen rund um Betrieb, Sicherheit und Qualität zu erfüllen.

Das Ende führte andernorts zu neuen Begehrlichkeiten. Als bekannt wurde, dass das Spital Appenzell seine Geburtenabteilung schliesst, kam die Idee auf, dort stattdessen ein Geburtshaus einzurichten. Die Regierung beantragte das dem Parlament. Der Grosse Rat des Kantons hatte aber kein Gehör dafür. Man glaubte nicht daran, dass eine solche Institution erfolgreich sein könne, weil die werdenden Eltern in erster Linie eines wünschen: Eine sichere Geburt. Und dafür wollen sie, so der Tenor, einen Arzt in nächster Nähe haben. Aus der ehemaligen Geburtenabteilung wurde kein Geburtshaus, und auch an einem allfälligen anderen Standort wollte man davon nichts wissen.

Projekt übergeben

2014 gab es in St.Gallen einen erneuten – theoretischen – Vorstoss. Wieder thematisierten einige engagierte Hebammen, dass es ein Ostschweizer Geburtshaus brauche. Zur Begründung wurden kernige Begriffe wie «Geburtsmaschinerie» in den Krankenhäusern ins Feld geführt. Es gebe kaum mehr natürliche Geburten, überall dominiere die Medizin. Allerdings versandeten die erneuten Bemühungen bald wieder beziehungsweise verschwanden vom öffentlichen Radar. Die Projektverantwortlichen stoppten ihren Versuch und gaben ihre Vision in neue, allerdings noch unbekannte Hände, sie hofften, dass jemand anders den Faden aufnimmt. Und gleichzeitig bauten die Spitäler ihrerseits das Angebot rund um die Geburt weiter aus. Im Bett, im Wasser, in jeder möglichen Position: Sie kamen auf individuelle Bedürfnisse der werdenden Eltern zu.

Nun soll ein konkretes neues Projekt 2019 realisiert werden. Wieder geht der Vorstoss direkt von Hebammen aus. Dass es von der Schliessung des Artemis bis heute dauerte, bis neue Pläne in Angriff genommen wurden, erklärt Mirjam Kelemen, eine von ihnen, so: «Um ein solches Projekt auf die Beine zu stellen, braucht es einen passenden Moment, das richtige Team, reichlich Zeit und Energie.» Nun sei das alles gegeben.

Fehler von früher will man nicht wiederholen. Man habe das Bedürfnis nach einem Geburtshaus in der Region in den letzten Monaten analysiert, die Einnahmen und die Kosten budgetiert und Ideen für Zusatzeinnahmen erarbeitet. «Nach all diesen Recherchen sind wir überzeugter denn je, dass das Geburtshaus St.Gallen sicheren Fuss fassen und nachhaltig bestehen kann.»

Unterstützung geholt

Dass es funktionieren kann, leiten die Initiantinnen unter anderem davon ab, dass es in der gesamten Ostschweiz kein vergleichbares Angebot mit stationärem Wochenbett gibt. Das nächstgelegene Geburtshaus liegt in Bäretswil im Zürcher Oberland. Eine solche Einrichtung in der Ostschweiz sei aber ein Bedürfnis der Paare, so Mirjam Kelemen, «das hören wir aus vielen verschiedenen Quellen und Schichten, und wir werden auch selbst oft darauf angesprochen.» Weil guter Wille allein nicht reicht, habe man sich für die Erarbeitung des Businessplans und die Umsetzung «Unterstützung von erfahrenen Unternehmensberatern geholt.»

Im August startet ein Crowdfunding. Zusammen mit dem Einsatz von Investoren sollen so die finanziellen Mittel aufgetrieben werden, die nötig sind für den Start. «Da sind wir aber auch auf die Unterstützung der Bevölkerung angewiesen.»

Was sich bei einem neuen Versuch positiv auswirken könnte, ist der vorgesehene Standort. Der wird zwar noch nicht konkret offengelegt, aber er soll in der Stadt St.Gallen und dort in der Nähe des Kantonsspitals liegen. Das ist zum einen eine zentrale Lage für die meisten Teile der Ostschweiz, zum anderen kann damit vielleicht das Element der Verunsicherung ausgemerzt werden, das heute noch viele werdende Eltern von einem Geburtshaus abhält. Denn der Arzt ist nach wie vor nicht vor Ort – aber in nächster Nähe.

Einige Highlights

Uzwilerin mit begrenzter Lebenserwartung

Das Schicksal von Beatrice Weiss: «Ohne Selbstschutz kann die Menschheit richtig grässlich sein»

am 11. Mär 2024
Im Gespräch mit Martina Hingis

«…und das als Frau. Und man verdient auch noch Geld damit»

am 19. Jun 2022
Das grosse Gespräch

Bauernpräsident Ritter: «Es gibt sicher auch schöne Journalisten»

am 15. Jun 2024
Eine Analyse zur aktuellen Lage

Die Schweiz am Abgrund? Wie steigende Fixkosten das Haushaltbudget durcheinanderwirbeln

am 04. Apr 2024
DG: DG: Politik

«Die» Wirtschaft gibt es nicht

am 03. Sep 2024
Gastkommentar

Kein Asyl- und Bleiberecht für Kriminelle: Null-Toleranz-Strategie zur Sicherheit der Schweiz

am 18. Jul 2024
Gastkommentar

Falsche Berechnungen zu den AHV-Finanzen: Soll die Abstimmung zum Frauenrentenalter wiederholt werden?

am 15. Aug 2024
Gastkommentar

Grenze schützen – illegale Migration verhindern

am 17. Jul 2024
Sensibilisierung ja, aber…

Nach Entführungsversuchen in der Ostschweiz: Wie Facebook und Eltern die Polizeiarbeit erschweren können

am 05. Jul 2024
Pitbull vs. Malteser

Nach dem tödlichen Übergriff auf einen Pitbull in St.Gallen: Welche Folgen hat die Selbstjustiz?

am 26. Jun 2024
Politik mit Tarnkappe

Sie wollen die angebliche Unterwanderung der Gesellschaft in der Ostschweiz verhindern

am 24. Jun 2024
Paralympische Spiele in Paris Ende August

Para-Rollstuhlfahrerin Catherine Debrunner sagt: «Für ein reiches Land hinkt die Schweiz in vielen Bereichen noch weit hinterher»

am 24. Jun 2024
Politik extrem

Paradox: Mit Gewaltrhetorik für eine humanere Gesellschaft

am 10. Jun 2024
Das grosse Bundesratsinterview zur Schuldenbremse

«Rechtswidrig und teuer»: Bundesrätin Karin Keller-Sutter warnt Parlament vor Verfassungsbruch

am 27. Mai 2024
Eindrucksvolle Ausbildung

Der Gossauer Nicola Damann würde als Gardist für den Papst sein Leben riskieren: «Unser Heiliger Vater schätzt unsere Arbeit sehr»

am 24. Mai 2024
Zahlen am Beispiel Thurgau

Asylchaos im Durchschnittskanton

am 29. Apr 2024
Interview mit dem St.Galler SP-Regierungsrat

Fredy Fässler: «Ja, ich trage einige Geheimnisse mit mir herum»

am 01. Mai 2024
Nach frühem Rücktritt: Wird man zur «lame duck»?

Exklusivinterview mit Regierungsrat Kölliker: «Der Krebs hat mir aufgezeigt, dass die Situation nicht gesund ist»

am 29. Feb 2024
Die Säntis-Vermarktung

Jakob Gülünay: Weshalb die Ostschweiz mehr zusammenarbeiten sollte und ob dereinst Massen von Chinesen auf dem Säntis sind

am 20. Apr 2024
Neues Buch «Nichts gegen eine Million»

Die Ostschweizerin ist einem perfiden Online-Betrug zum Opfer gefallen – und verlor dabei fast eine Million Franken

am 08. Apr 2024
Gastkommentar

Weltweite Zunahme der Christenverfolgung

am 29. Mär 2024
Aktionswoche bis 17. März

Michel Sutter war abhängig und kriminell: «Ich wollte ein netter Einbrecher sein und klaute nie aus Privathäusern»

am 12. Mär 2024
Teuerung und Armut

Familienvater in Geldnot: «Wir können einige Tage fasten, doch die Angst vor offenen Rechnungen ist am schlimmsten»

am 24. Feb 2024
Naomi Eigenmann

Sexueller Missbrauch: Wie diese Rheintalerin ihr Erlebtes verarbeitet und anderen Opfern helfen will

am 02. Dez 2023
Best of 2023 | Meine Person des Jahres

Die heilige Franziska?

am 26. Dez 2023
Treffen mit Publizist Konrad Hummler

«Das Verschwinden des ‘Nebelspalters’ wäre für einige Journalisten das Schönste, was passieren könnte»

am 14. Sep 2023
Neurofeedback-Therapeutin Anja Hussong

«Eine Hirnhälfte in den Händen zu halten, ist ein sehr besonderes Gefühl»

am 03. Nov 2023
Die 20-jährige Alina Granwehr

Die Spitze im Visier - Wird diese Tennisspielerin dereinst so erfolgreich wie Martina Hingis?

am 05. Okt 2023
Podcast mit Stephanie Stadelmann

«Es ging lange, bis ich das Lachen wieder gefunden habe»

am 22. Dez 2022
Playboy-Model Salomé Lüthy

«Mein Freund steht zu 100% hinter mir»

am 09. Nov 2022
Neue Formen des Zusammenlebens

Architektin Regula Geisser: «Der Mensch wäre eigentlich für Mehrfamilienhäuser geschaffen»

am 01. Jan 2024
Podcast mit Marco Schwinger

Der Kampf zurück ins Leben

am 14. Nov 2022
Hanspeter Krüsi im Podcast

«In meinem Beruf gibt es leider nicht viele freudige Ereignisse»

am 12. Okt 2022
Stölzle /  Brányik
Autor/in
Stefan Millius

Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.

Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.