Es gebe ein Bedürfnis, heisst es seit Jahren. Und dennoch schaffte es bisher kein Geburtshaus in der Ostschweiz, langfristig zu bestehen. Dieses Mal stehen die Chancen besser.
Als 1994 das Geburtshaus Artemis in Steinach (SG) eröffnet wurde, führten die Initianten die Medienschaffenden stolz durch die Räumlichkeiten und erklärten ihnen, warum die Ostschweiz ein solches Angebot unbedingt brauche. Es gebe viele Eltern, die ihre Kinder nicht in einem konventionellen Spital zur Welt bringen wollen, hiess es. Und mit den farbenfrohen, ganz und gar unklinisch anmutenden Räumen brachte man die Unterschiede auch aktiv zur Geltung. Hier sollte man die Geburt als Familie erleben können, abseits von gestresstem Krankenhauspersonal. Und abseits von Ärzten.
Bis 2011 war das Artemis in Betrieb, 1400 Kinder kamen dort zur Welt. Das ist ein Schnitt von rund 80 Geburten pro Jahr. Eine Zahl, die herkömmlichen Krankenhäusern kaum den Schweiss auf die Stirne treiben konnte. Und eine Zahl, die offenbar nicht reichte, um den Betrieb sicherzustellen. Denn auch wenn viel Herzblut in die Ausgestaltung der Details gesteckt wurde, schien es an einem zu fehlen: Einem klaren Businessplan.
Zu viele Unsicherheiten
Für werdende Eltern war die Entscheidung für ein Geburtshaus damals ein finanzieller Aufwand. Zwar waren die unmittelbaren Kosten für Geburt und Wochenbett durch die Grundversicherung gedeckt. Der eigentliche Aufenthalt und alle Nebenleistungen musste man aber selbst berappen, wenn man nicht über entsprechende Zusatzversicherungen verfügte. Und auch wenn damals bereits bekannt war, dass künftig auch Geburtshäuser auf die Auswahl der Spitalliste kommen würden und sich die finanzielle Frage für Eltern entspannen wird, hielten die Artemis-Betreiber die Unsicherheit für zu gross. Und – ein interessanter Punkt – es wurde betont, es sei als kleine Einrichtung generell schwierig, alle Auflagen rund um Betrieb, Sicherheit und Qualität zu erfüllen.
Das Ende führte andernorts zu neuen Begehrlichkeiten. Als bekannt wurde, dass das Spital Appenzell seine Geburtenabteilung schliesst, kam die Idee auf, dort stattdessen ein Geburtshaus einzurichten. Die Regierung beantragte das dem Parlament. Der Grosse Rat des Kantons hatte aber kein Gehör dafür. Man glaubte nicht daran, dass eine solche Institution erfolgreich sein könne, weil die werdenden Eltern in erster Linie eines wünschen: Eine sichere Geburt. Und dafür wollen sie, so der Tenor, einen Arzt in nächster Nähe haben. Aus der ehemaligen Geburtenabteilung wurde kein Geburtshaus, und auch an einem allfälligen anderen Standort wollte man davon nichts wissen.
Projekt übergeben
2014 gab es in St.Gallen einen erneuten – theoretischen – Vorstoss. Wieder thematisierten einige engagierte Hebammen, dass es ein Ostschweizer Geburtshaus brauche. Zur Begründung wurden kernige Begriffe wie «Geburtsmaschinerie» in den Krankenhäusern ins Feld geführt. Es gebe kaum mehr natürliche Geburten, überall dominiere die Medizin. Allerdings versandeten die erneuten Bemühungen bald wieder beziehungsweise verschwanden vom öffentlichen Radar. Die Projektverantwortlichen stoppten ihren Versuch und gaben ihre Vision in neue, allerdings noch unbekannte Hände, sie hofften, dass jemand anders den Faden aufnimmt. Und gleichzeitig bauten die Spitäler ihrerseits das Angebot rund um die Geburt weiter aus. Im Bett, im Wasser, in jeder möglichen Position: Sie kamen auf individuelle Bedürfnisse der werdenden Eltern zu.
Nun soll ein konkretes neues Projekt 2019 realisiert werden. Wieder geht der Vorstoss direkt von Hebammen aus. Dass es von der Schliessung des Artemis bis heute dauerte, bis neue Pläne in Angriff genommen wurden, erklärt Mirjam Kelemen, eine von ihnen, so: «Um ein solches Projekt auf die Beine zu stellen, braucht es einen passenden Moment, das richtige Team, reichlich Zeit und Energie.» Nun sei das alles gegeben.
Fehler von früher will man nicht wiederholen. Man habe das Bedürfnis nach einem Geburtshaus in der Region in den letzten Monaten analysiert, die Einnahmen und die Kosten budgetiert und Ideen für Zusatzeinnahmen erarbeitet. «Nach all diesen Recherchen sind wir überzeugter denn je, dass das Geburtshaus St.Gallen sicheren Fuss fassen und nachhaltig bestehen kann.»
Unterstützung geholt
Dass es funktionieren kann, leiten die Initiantinnen unter anderem davon ab, dass es in der gesamten Ostschweiz kein vergleichbares Angebot mit stationärem Wochenbett gibt. Das nächstgelegene Geburtshaus liegt in Bäretswil im Zürcher Oberland. Eine solche Einrichtung in der Ostschweiz sei aber ein Bedürfnis der Paare, so Mirjam Kelemen, «das hören wir aus vielen verschiedenen Quellen und Schichten, und wir werden auch selbst oft darauf angesprochen.» Weil guter Wille allein nicht reicht, habe man sich für die Erarbeitung des Businessplans und die Umsetzung «Unterstützung von erfahrenen Unternehmensberatern geholt.»
Im August startet ein Crowdfunding. Zusammen mit dem Einsatz von Investoren sollen so die finanziellen Mittel aufgetrieben werden, die nötig sind für den Start. «Da sind wir aber auch auf die Unterstützung der Bevölkerung angewiesen.»
Was sich bei einem neuen Versuch positiv auswirken könnte, ist der vorgesehene Standort. Der wird zwar noch nicht konkret offengelegt, aber er soll in der Stadt St.Gallen und dort in der Nähe des Kantonsspitals liegen. Das ist zum einen eine zentrale Lage für die meisten Teile der Ostschweiz, zum anderen kann damit vielleicht das Element der Verunsicherung ausgemerzt werden, das heute noch viele werdende Eltern von einem Geburtshaus abhält. Denn der Arzt ist nach wie vor nicht vor Ort – aber in nächster Nähe.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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