Konrad Hummler
Er war wie jeder Unternehmer von der Coronakrise betroffen: Der St.Galler Banker Konrad Hummler. Im Gespräch über die Bewältigung der Pandemie, fehlende Persönlichkeiten in der Politik und den «Flickenteppich Schweiz».
Bei diesem Beitrag handelt es sich um eine ergänzende Information zu einem im Printmagazin «Die Ostschweiz» publizierten Artikel. Infos zu den Abo-Möglichkeiten finden Sie hier.
Konrad Hummler, wir haben verrückte Monate hinter uns. Was früher galt, gilt heute nicht mehr. Welche Erkenntnis aus der Coronakrise ist für Sie die prägendste?
In einem Wort: Der Kollektivismus. Wir sprechen ja von einem Virus, der sich verbreitet, und die Verbreitung von Krankheiten findet grundsätzlich zwischen zwei Individuen statt. Deshalb müsste das Problem auch auf der individuellen Ebene gelöst werden. Aber als die Zahlen anstiegen und bedrohlich wurden, hat der Bund sehr schnell zu ziemlich drastischen kollektiven Massnahmen gegriffen. Bei uns in der Ostschweiz hat diese Seuche ja nie wirklich grassiert, deshalb betrifft uns dieser Kollektivismus besonders stark.
In welcher Form?
Es gab einen Lockdown, der hatte Folgen – und wir tragen diese für den Rest der Schweiz mit. Inzwischen hat sich die Bedrohungslage relativiert, wir kennen das Virus besser. Irgendwann stellt sich deshalb die Frage: Wann kommt die Rückkehr zum Individuum? Wie kann man vom Machtzuwachs, den das Kollektiv in dieser Zeit errungen hat, wieder wegkommen? Wir müssen als Region sehr gut aufpassen, dass wir nicht einfach weiterhin über einen Kamm geschert werden mit der Westschweiz und ihren viel höheren Infektionsraten. Bei aller Solidarität, hier ist eine grössere Differenzierung nötig. Ich bin nicht sicher, ob unsere Politiker bereits gemerkt haben, dass wir hier sehr wachsam sein müssen.
Die Politik ist das eine, die Allgemeinheit das andere. Das Volk scheint die Ausnahmesituation ziemlich widerstandslos akzeptiert zu haben.
Wenn man nicht genau weiss, was Sache ist – und das war ja lange der Fall -, dann ist es schwierig. Wir hatten zu Beginn viele offene Fragen: Wie gefährlich ist das Virus, wie schnell, wen betrifft es, wen nicht. Da muss man auch Verständnis haben für brachiale Methoden. Die Frage ist nur, wie man aus diesem Ausnahmezustand wieder hinaus findet. Die Bürokratie gewöhnt sich schnell an Machtzuwachs und gibt ihn nicht gerne wieder her. Sie haben von Akzeptanz gesprochen, ich denke, wir erleben diese eher als Faust im Sack, die viele machen. Man kann nichts verändern, also trägt man es mit. Da entsteht ein grosses verstecktes Frustrationspotenzial, das nicht gesund ist.
Das heisst, in der aktuellen Phase stellen Sie Bundesrat und Parlament kein gutes Zeugnis aus?
Nicht nur jetzt, auch für die erste Phase nicht. Die Pandemievorbereitung war katastrophal: Keine Schutzmasken, keine Beatmungsgeräte, laufende Desinformation, das alles war nicht die gekonnte Führung, die man den Exponenten immer wieder andichtet. Entscheidend ist für mich jetzt aber die föderalistische Frage. Es gibt Regionen, die weniger betroffen sind als andere, und das muss man auch wahrnehmen.
Damit sind die Kantone angesprochen, die Verantwortung übernehmen müssten. Die haben aber in den letzten Monaten im Zweifelsfall auch gern mal diese Verantwortung wieder zurück nach Bern geschoben.
Allerdings, und dann kam oft dieses dumme Argument: Wenn alle Kantone eigene Lösungen suchen, ist die Schweiz ein Flickenteppich. Natürlich ist sie das, das ist unser Wesen, das wollen wir sogar sein! Wenn es doch regionale Unterschiede gibt, und das ist der Fall, dann muss dieser Flickenteppich leben.
Konrad Hummler
Kommen wir zur Wirtschaft. Nach dem Ende des Lockdowns herrscht weitgehend wieder annähernd Normalität. Sind wir mit einem blauen Auge davongekommen?
Da wäre ich derzeit vorsichtig, wir wissen heute einfach noch zu wenig. Vor allem ist es schwer auseinanderzuhalten, was in der Wirtschaft coronabedingt ist und was nicht. Nehmen wir die deutsche Automobilindustrie, da hat sich die Flaute schon vor dem Virus abgezeichnet und dann einfach verschärft. Die Flugindustrie leitet klar unter Corona, da stellt sich die Frage, wann man zum früheren Status zurückkehren kann – wenn überhaupt. Denn viele Menschen haben Angst zu reisen. Oder unser Wintertourismus, da kommen die wichtigen Fragen ja erst noch. Wie bewältigen Skigebiete die Lage? Wie können sie einen möglichst hohen Komfort und zugleich Sicherheit anbieten? Wo muss der Einzelne auf etwas verzichten, wo braucht es grossflächige Massnahmen? Das ist für unser Land sehr entscheidend.
Sprechen wir über die Branche, die Sie am besten kennen, die Banken. Früher musste man um jeden kleinen Kredit kämpfen, während der Coronakrise haben sich dann die Schleusen geöffnet. Haben Sie diese Massnahme so erwartet?
Nicht nur erwartet, auch gefordert. Diese Krise war ja an sich eine staatlich verursachte, der Staat hat Tätigkeiten verboten. Da ist eine Überlebenshilfe mit Notkrediten schlicht nötig. Und es wurde ja nicht einfach Geld rausgeschossen, wir sprechen von Darlehen, die aber sehr informell und schnell gesprochen wurden. Das System Schweiz hat sich hier unglaublich bewährt. Dank unserer föderalen Struktur konnten wir das auf den vorhandenen Kanälen machen, ohne neue Vehikel zu schaffen. Das war sehr eindrücklich und hat uns auch viel Bewunderung aus dem Ausland eingetragen.
Wobei auch das nicht unumstritten war. Es gab Kritiker, die fanden, auf diese Weise gelangte auch viel Geld zu den falschen Unternehmen.
Die Frage, ob auch Geld zu Firmen geflossen ist, die strukturell sowieso am Ende gewesen wären, kann man natürlich stellen. Aber das ist immer so, wenn es schnell gehen muss. Wenn man Manna breitflächig verteilt, damit nicht alle verhungern, kriegt vielleicht auch einer etwas ab, der es nicht erhalten sollte. Das lässt sich gar nicht verhindern. Aber ich bin zuversichtlich, dass unsere Banken für diese Aufgabe die Richtigen waren, sie kennen die Menschen vor Ort.
Noch konkret zur Politik. Der Bundesrat hat in der Krise zumindest funktioniert, das Parlament wirkte eher wie ein Erfüllungsgehilfe, jedes Anliegen wurde durchgewinkt…
… und noch mit einem Zuschlag versehen. Aber bitte, wer hätte etwas anderes erwartet? Geld verteilen ist eben immer noch das Einfachste.
Hier wurde ein Teilabzug des Gesprächs mit Konrad Hummler veröffentlicht. Das vollständige Interview wurde in der 5. Print-Ausgabe von «Die Ostschweiz» publiziert. Sie kann via info@dieostschweiz.ch bestellt werden.
Konrad Hummler
Marcel Baumgartner (*1979) ist Chefredaktor von «Die Ostschweiz».
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