SRF macht den Bock zum Gärtner: Um den angeblichen Linksdrall des Senders kritisch zu reflektieren, arbeitet er ausgerechnet mit dem bekennenden Sozialisten Marko Ković zusammen.
Immerhin - und für einen Sozialisten eigentlich unüblich - zeigt Ković Zeichen von Selbstironie: So definiert er sich selber als "Marko Kovic: Versucht über Wichtiges nachzudenken, meist erfolglos" und auf seinem LinkedIn-Profil findet man das Zitat "Kovic ist ein Schwurbler, das ist schon lange bekannt." Geradezu erleichtert möchte man hier anmerken: Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung.
Er kann aber auch weniger entspannt, geradezu dünnhäutig. Letztes Jahr erschien ein Interview mit ihm auf srf.ch, dem Medienportal, das ihn oft und gerne als "Experten" befragt. Darin fand sich auch ein Link auf einen Artikel von ihm, der einige Tage zuvor in der WOZ erschienen war.
Offenbar wurde dieser Link vom SRF-Redaktor jedoch erst nach dem Interview eingefügt - was für das Publikum natürlich nicht ersichtlich war. Auf die eigentlich harmlose Bemerkung in einem Artikel des Autors dieses Beitrags, dass der WOZ-Artikel ihm (Ković) ein Interview mit SRF "eingebracht" habe, reagierte er daraufhin mit "Fake News!"-Tiraden. Zur Erinnerung: Fake News sind manipulativ verbreitete, vorgetäuschte Nachrichten. Wenn schon handelte es sie hier um eine simple Fehlinformation oder - wie es der Presserat formulieren würde - "eine journalistische Ungenauigkeit".
Ganz anders hingegen, als ihn die Pendlerzeitung "20 Minuten" letzte Woche als "Doktoranden" bezeichnete, obwohl er bereits seit mehr als sieben Jahren Doktor der Philosophie ist. Diese Fehlinformation könnte seine Reputation bei der Leserschaft durchaus negativ beeinflussen. Doch in diesem Fall befand er: Das störe ihn nicht, sei vermutlich bloss salopp formuliert und "dürfte nicht irgendwie absichtliche Fake News sein."
Über die Gründe dafür kann man nur spekulieren: "20 Minuten" berichtete über seine Zusammenarbeit mit SRF - tendenziell positiv für einen Freiberufler, wenn so etwas in den Medien erscheint - während ihm im anderen Artikel vorgeworfen wurde, Korrelation mit Kausalität zu verwechseln, was er wohl als Angriff auf seine Reputation wahrnahm.
Ković nimmt für sich selber in Anspruch, sich strikt an die Wissenschaft zu halten: "Ich kann versichern, dass ich mich dann und nur dann äussere, wenn ich mich in Sachfragen auf empirische Evidenz oder bei moralischen Fragen auf rationale moralphilosophische Argument stützen kann."
Entsprechend ist er nur zu gerne bereit, jeweils innert kürzester Frist die Quellen für seine Behauptungen zu benennen. Ković ist schnell, (fast) immer erreichbar - und unbestrittenermassen belesen. Kein Wunder, ist er als Experte gefragt und beliebt.
Zwar würde sich in der Regel wohl meist ein noch besser qualifizierter Experte finden lassen. Aber das Mediengeschäft ist hektisch und bis ein Journalist einem ordentlichen Professor verständlich gemacht hat, wie er sich zu äussern hat, damit es auch medial verwertet werden kann, ist meist schon Redaktionsschluss. Da greift man doch lieber auf Ković zurück.
Im erwähnten WOZ-Artikel mit dem Titel "Aus Putins Mund ins rechte Ohr" vertrat Ković die These, "die antidemokratische Kreml-Propaganda der letzten zehn Jahre" sei "erfolgreich" gewesen. Putin hätte das Narrativ des "dekadenten, verweichlichten Westens" gestreut, welches nun in rechtskonservativen westeuropäischen Kreisen wiedergegeben werde. Diese machten sich dadurch zu "nützlichen Idiot:innen" Moskaus. Daraus schliesst Ković: "Propaganda wirkt."
Natürlich lässt sich zu dieser These ganz rasch eine Gegenthese formulieren: Anstatt blosses Propaganda-Opfer zu sein, fällt die Rhetorik Putins in rechtskonservativen Kreisen deswegen auf fruchtbaren Boden, weil diese Kreise von sich aus bereits einem ähnlichen Weltbild anhängen. Also blosse Korrelation anstatt Kausalität. Selbst der zuständige WOZ-Redaktor räumte diese Möglichkeit umgehend ein.
Für einen Wissenschaftler ist der Vorwurf, Kausalität mit Korrelation zu verwechseln etwa ähnlich vernichtend, wie einem Politiker vorzuwerfen, ein Faschist oder Nazi zu sein. Entsprechend verwahrte sich Ković: "Das, worüber ich im WOZ-Artikel schreibe, ist umfassend dokumentiert und nicht einfach Korrelation."
Daran schloss sich eine Liste mit sechs Publikationen an, wovon drei in wissenschaftlichen Journals, eine in einer semi-wissenschaftlichen Publikation und zwei Artikel in der Zeitschrift The Atlantic. Gänzlich ohne Zugangsschranken lesbar: Eine einzige dieser insgesamt sechs Publikationen.
Obwohl derart nutzerunfreundlich zugestellt, beschwerte sich Ković noch: Man würde seine Quellen "ignorieren" und er sei darob ein wenig "enttäuscht".
Auf das Argument, dass man als Journalist nicht die Zeit habe, Dutzende Seiten von Journal-Papers zu lesen, meinte er bloss: "Es ist irrational, auf inhaltliche Argumente nicht einzugehen. Genauer: Es ist epistemisch irrational. Instrumentell ("ökonomisch") rational ist dein Verhalten dann, wenn das Ziel, das du erreichen willst, das Verhindern eines Updates deiner Prior Beliefs ist."
Dabei übersieht er: Es ist nicht dasselbe, wenn einer solche Journal-Papers liest und daraus Artikel und Honorare generiert - und ein anderer all dies ohne jeglichen direkten Nutzen tun soll.
Dennoch: Was steht in jene Quellen, welche Marko Ković für seine These anführte? Die beiden Zeitschriften-Artikel schenken wir uns: Journalisten sind schliesslich keine Wissenschaftler, auch wenn einer der Verfasser ein "adjunct assistant professor" ist, d.h. mutmasslich ein nebenamtlich tätiger Assistenzprofessor - also irgendwo auf der vierthöchsten (=tiefsten) Stufe der universitären Hierarchie.
Keiner der zitierten Wissenschaftler lehrt in höherer Funktion an einer einigermassen prestigeträchtigen Universität. Die meisten arbeiten für sogenannte Think-Tanks, also Denkfabriken.
Eine der Studienautorinnen, Dr. Alina Polyakova, wird als "langjährige politische Aktivistin" und Gastautorin auf den Meinungsseiten der Washington Post bezeichnet. Die These ihres Aufsatzes: Es bestehe ein ideelles Überschneiden ("ideational overlap") und eine ideologische Übereinstimmung ("ideological congruence") zwischen rechten Parteien verschiedener europäischer Länder und dem Putinismus, der Euroskeptizismus "verschmelze" mit der antiwestlichen Tendenz des Kremls.
Nichts da von "Aus Putins Mund ins rechte Ohr", keine Kausalität - sondern vielmehr Gleichgesinnte, die sich treffen. Zwar weist sie auf die finanzielle Unterstützung zum Beispiel des Front National in Frankreich durch eine russisch kontrollierte Bank und generell russlandfreundliche Äusserungen von Exponenten solcher Parteien hin. Aber dass das ganze Weltbild jener Parteien von Moskau beeinflusst sei: Keine Spur davon in ihrem Aufsatz. Vielmehr schliesst sie mit der Befürchtung, dass - der Aufsatz wurde 2015 in den USA geschrieben - nicht bloss ein paar rechte Splitterparteien, sondern ganz Europa zu einer einzigen grossen pro-russischen Kraft würde, gekauft von billigem russischem Gas.
In einem anderen Aufsatz wiederum findet sich nur eine einzige Passage zum Verhältnis von Putin und rechten europäischen Parteien: Diese seien aufmerksam ("attentive" - also nicht etwa "empfänglich") für Putins Konservativismus. Zu wenig, um als Beweis für irgendetwas zu dienen.
Noch besser im letzten Aufsatz: Da weisen die Verfasser gleich zu Beginn darauf hin, dass sie von der vorherrschenden wissenschaftlichen Mehrheitsmeinung abweichen. Dies alleine schon ein Grund, warum man sich nicht vorbehaltlos auf sie berufen kann. Aber selbst in diesem Aufsatz geht es vor allem um die explizite Unterstützung Putins und der russischen Politik durch Exponenten europäischer Rechtsparteien und nicht darum, aus welchen Quellen sich das Weltbild letzterer generell speist.
Mit der Begründung, sich in seinen Aussagen auf empirische Evidenz zu stützen, beglückt Ković Personen, die kritisch nachfragen, gerne mit einer ganzen Phalanx von Studien. Einerseits verleiht ihm diese rasche Reaktion ganz offensichtlich Glaubwürdigkeit - andererseits ist ebenso klar, dass wohl kaum ein Journalist Zeit dafür hat, jene in der Regel eher umfangreichen Quellen wirklich durchzulesen. Tut man es dennoch - wie in diesem Fall geschehen - stellt sich schon einmal heraus, dass die Quellen nicht das halten, was sie versprechen.
Noch weniger mit Wissenschaft hat nur noch sein Bekenntnis zum Sozialismus zu tun. In einem Gespräch mit der Zeitschrift Schweizer Monat erklärt er sich: "Ich bin ganz klar gegen realweltlichen Leninismus, Marxismus, Marxismus-Leninismus." Spricht er sich hier auch gegen den Marxismus aus - oder meinte er bloss den Marxismus-Leninismus? Ob es der Linken passt oder nicht - Fakt ist: Linke Theorien gehen letztlich auf Marx zurück.
Im Zentrum einer jeden linken Theorie steht die "Ausbeutung": Die Einen leben auf Kosten der Anderen. Entsprechend lautet der Slogan der SP: "Für alle statt für wenige". (Selbstverständlich schafft auch die SP durch ihre Politik letztlich neue privilegierte Gruppen: zum Beispiel Personen, die das Privileg haben, in einer billigen Genossenschaftswohnung wohnen zu dürfen.)
Natürlich sind "Reiche", d.h. Kapitalbesitzer, nicht einfach böse - und die Armen allesamt gut. Das wäre zu einfach gedacht. Was ist also der Bösewicht? Marx nennt es die "Selbstverwertung des Kapitals". Das Kapital akkumuliert gemäss Marx um der Akkumulation willen. Bis das Ganze dann eines Tages mit angeblich historischer Notwendigkeit zusammenbricht.
Im zweiten Band seines Hauptwerks Das Kapital vertrat Marx die These, dass der Kapitalismus Krisen nur dadurch zu lösen vermag, indem er gleichzeitig die Basis für noch grössere zukünftige Krisen schafft. Welch wortgewaltige, interessante These! Können wir das denn nicht gerade jetzt beobachten? Nur ist dies eben keine wissenschaftliche, d.h. überprüfbare, Hypothese. Denn eine solche Hypothese würde sich ja erst dann wirklich empirisch überprüfen lassen, wenn die Geschichte an ihr Ende gekommen ist.
Marx hat als Journalist begonnen - und ist zeitlebens im Grunde nie etwas anderes gewesen, auch wenn er sich als Philosoph und Ökonom ausgab. Vielleicht mit ein Grund, warum die meisten Journalisten links sind - und warum sie mit Vorliebe von Krisen phantasieren, die angeblich immer grösser und unüberwindbarer werden. Der Ökonom und Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Anthony Samuelson hat Marx einmal als "minor Ricardian" bezeichnet, also als eher unbedeutenden Vertreter einer auf den Ökonomen David Ricardo zurückgehenden ökonomischen Strömung. Dies ist ungefähr soviel ökonomischer Sachverstand, wie man Marx maximal zubilligen kann.
Ein Kapital, das sich "selbst verwerten" will, wissenschaftlich nicht überprüfbare Hypothesen - das ist schon einmal allerhand Hokuspokus. So richtig sophistisch wird Marx aber in seiner Mehrwertlehre. Als Ausgangspunkt nimmt er die damals vorherrschende Arbeitswertlehre: Alle Güter tauschen im Verhältnis der in ihnen enthaltenen Arbeit, wobei das in der Produktion verwendete Kapital in den Worten von Marx "geronnene Arbeit" ist.
Auch der Arbeiter "kostet" wie alle anderen Güter nur soviel, wie zu seiner "Reproduktion" (Essen, Unterkunft) notwendig ist. Er selber vermag aber viel länger zu arbeiten - und dieser Mehrwert an geleisteten Arbeitsstunden fällt nun dem Kapital zu, das auf diese Weise "akkumuliert."
Etwas moderner würde man wohl von Zins sprechen - aber auch die moderne Linke würde kaum bestreiten, dass dieser erst dadurch entsteht, dass der Arbeiter nicht den ganzen Wert seiner Produktion erhält, er also "ausgebeutet" wird.
Der ökonomische Ökonom Eugen von Böhm-Bawerk hat bereits vor 140 Jahren im dogmengeschichtlichen Teil seines Werks nachgewiesen, dass sich der Zins nicht durch die "Ausbeutung" erklären lässt. Wenn zum Beispiel ein Fuss guten Weins während zehn Jahren gelagert wird und so an Wert gewinnt, so ist schlichtweg nicht ersichtlich, dass hier irgendjemand ausgebeutet würde. Bloss: Die linke Theorie steht und fällt mit der Ausbeutung. Keine Ausbeutung, keine linke Theorie.
Marko Ković wäre der erste, der sagen würde, dass die Existenz des Klimawandels oder des Coronavirus keine Frage des Glaubens, sondern der positiven Wissenschaft ist. Anders gesagt: Entweder gibt es den Klimawandel - oder es gibt ihn nicht.
Dasselbe mit der "Ausbeutung": Entweder gibt es Ausbeutung - oder es gibt sie nicht. Die Existenz von "Ausbeutung" ist genauso wenig eine Frage des Glaubens wie der Klimawandel.
Nur lässt sich Sozialismus ohne Ausbeutung nicht einmal denken. Da Sozialismus die Aufhebung der Ausbeutung ist, ist er schlichtweg ein Nichts, falls diese Ausbeutung in der Realität nicht existieren sollte.
Ob sie jedoch existiert, ist eine Frage der positiven Wissenschaft, der Ökonomik. Und diese hat relativ klar gezeigt: Der Zins lässt sich nicht durch die "Ausbeutung" der arbeitenden Bevölkerung erklären. Wie kann also jemand, der von sich behauptet, sich nur zu äussern, wenn er sich auf empirische Evidenz stützen kann, ausgerechnet Sozialist sein? Sozialismus und Wissenschaft - das geht definitiv nicht zusammen.
Marko Ković hing einst selber Verschwörungstheorien an, bevor sich davon lossagte und zum gerne gesehenen "Experten" für Verschwörungstheorien mutierte. Damit wird er zwar nicht reich, aber er kann davon leben und erhält obendrein noch jede Menge Aufmerksamkeit. Es ist also durchaus eine Art "Geschäftsmodell".
Als selbstproklamierter Sozialist hängt er nun ganz offensichtlich weiterhin einer Weltanschauung an, welche über weite Strecken eine wilde Mischung aus Verschwörungstheorie und Geschwurbel ist. Nicht auszuschliessen, dass ein intelligenter Kopf wie Marko Ković eines Tages auch den Fallstricken dieser Weltanschauung auf die Schliche kommt. So könnte er sich als Experte für "sozialistische Verschwörungstheorien" neu erfinden und sein "Geschäftsmodell" erfolgreich auch auf diesen Bereich ausweiten.
Thomas Baumann ist freier Autor und Ökonom. Als ehemaliger Bundesstatistiker ist er (nicht nur) bei Zahlen ziemlich pingelig.
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