Ihre eigenen Tattoos zeigen, was sie im Leben bewegt hat. Dazu dürfte auch der Schritt in die Selbständigkeit gehören. Diesen wagte Jenny Bösch (*1988) vor drei Jahren. Ein Gespräch über Konkurrenzdenken, «verrückte» Kunden und verlängerte Ferien.
Jenny Bösch, es ist nun etwas mehr als drei Jahre her, seit Sie in der Wiler Altstadt Ihr eigenes Tattoo-Studio mit dem Namen «Oh Yes Tattoo Atelier» eröffnet haben…
Du darfst mich gerne duzen, ich mag es locker und persönlich und gehöre ja zu den Jungunternehmerinnen…
Gerne. Hast Du den Schritt in die Selbständigkeit in dieser Zeit schon einmal bereut?
Im Januar konnte ich auf drei Jahre in meinem eigenen Atelier zurückblicken – und ich bereue keine Sekunde. Es war für mich die beste Entscheidung und ich könnte es mir auch gar nicht mehr anders vorstellen.
Was gab für Dich damals den Ausschlag, ein eigenes Atelier zu gründen?
Tätowiererin bin ich nun bereits seit elf Jahren. Ich war acht Jahre lang dem Tattoo-Studio loyal, in dem ich das Handwerk erlernen durfte. Eine lange Zeit für einen Tattoo-Künstler am gleichen Ort… Es war an der Zeit, das Nest zu verlassen und die Flügel auszuspannen. Dass ich mich selbständig mache und ein eigenes Atelier gründe, war nicht von Anfang an der Plan. Als ich jedoch gesehen habe, dass in der Wiler Altstadt ein kleiner Laden frei ist, habe ich mich sofort verliebt. Man soll bekanntlich auf sein Herz hören, und das hat mir laut gesagt: «Tu es! Wenn nicht jetzt, wann dann?»
Es gibt ja gerade in dieser Region einige Anbieterinnen und Anbieter in diesem Bereich. Ist der Markt wirklich gross genug für alle?
Ja, der Markt ist gross genug. Mit vielen Künstlern, die ebenfalls ihre eigenen Tattoo-Studios führen, habe ich früher zusammengearbeitet. Es ist schön, Freunde zu haben, die der gleichen Passion nachgehen. Das ist für mich persönlich eine grosse Bereicherung. Da ich manchmal auch Anfragen für Tattoowünsche erhalte, die nicht in meinem Stil entsprechen, leite ich die Kunden an den jeweiligen Künstlerkollegen weiter. Die Kunden sind dabei sehr dankbar, da sie manchmal selbst nicht wissen, wo sie mit ihrer Idee am besten aufgehoben sind.
Ist der Trend, sich tätowieren zu lassen, nach wie vor ungebrochen oder flacht die Kurve ab?
Meiner Ansicht nach hat der Wunsch, sich zu tätowieren, eher zugenommen. Die vergangenen zehn Jahre hat sich viel verändert. Unter anderem können sich Künstler mit den Social-Media-Plattformen besser präsentieren und auch zeigen, was überhaupt alles möglich ist.
Mit welcher Art der Dienstleistung kann man sich ein möglichst grosses Stück vom Kuchen abschneiden? Wodurch kann man sich von der Konkurrenz abheben?
Diese Frage zu beantworten ist nicht leicht, da ich kein Konkurrenzdenken habe. Für mich sind die Tätowierer in meiner Umgebung Kollegen – und dabei ist auch jeder Tätowierer in seinen Stil individuell. Ich bin meinen Kunden gegenüber immer so, wie ich selbst auch gerne behandelt werden möchte: höflich, offen und locker, aber auch ehrlich, wenn eine Idee meiner Meinung nach nicht in dieser Form zur Körperstelle passen würde. Vor allem Frauen vertrauen da sehr auf mein ästhetisches Auge. In erster Linie möchte ich mit meinen Tattoos begeistern, nicht mit irgendwelchen Rabatt- oder Sonderangeboten. So etwas gehört für mich nicht in diesen Künstlerberuf.
Welche Bedeutung haben für Dich Deine eigenen Tattoos?
Sie erzählen, was mein Leben bewegt, was mir Freude macht und was mich zu dem gemacht hat, was ich heute bin.
Gib es keines, auf das Du inzwischen lieber verzichten würdest?
Tattoos sind für immer – und das bleiben sie bei mir auch. Ich habe es mir immer vorher gut überlegt, nicht erst im Nachhinein.
Was war bisher das verrückteste Tattoo, das Du einer Kundin oder einem Kunden gestochen hast?
Phu…, da gibt es in den elf Jahren schon ein paar. Aber da waren nicht immer die Tattoos verrückt, sondern auf eine gute Art und Weise auch die Menschen dahinter. Das liebe ich so an meinem Job, die verschiedenen Persönlichkeiten mit den Geschichten, die ich schon erlebt habe – da könnte man ein Buch darüber schreiben.
Die vergangenen Monate dürften auch Dein Business hart getroffen haben. Konntest Du überhaupt noch Aufträge ausführen?
Hart getroffen hat es mich zum Glück nicht. Im Vergleich zu anderen Branchen hatte ich einfach etwas «längere Ferien». Ich habe nach den Lockerungen etwas mehr gearbeitet als sonst, da um so mehr Anfragen auf mich zukamen. Die verlorene Zeit konnte ich daher gut kompensieren, wofür ich sehr dankbar bin.
Hoffst Du auch jetzt wieder auf einen «Grossandrang»?
Ich freue mich darüber, dass ich schon bald bis Ende Jahr ausgebucht bin. Den Grossandrang wünsche ich allen anderen, die ihre Geschäfte schliessen mussten und während Monaten nicht arbeiten durften.
Marcel Baumgartner (*1979) ist Chefredaktor von «Die Ostschweiz».
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