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Gastkommentar

Geschrei wegen «Enteignung» – Wo bleibt die Marktwirtschaft?

Kaum hatte der Bundesrat die CS per Notrecht mit der UBS zwangsverheiratet, ging ein Zetern und Schimpfen los. Die Regierung habe die CS-Aktionäre enteignet, die UBS profitiere, weil sie die CS zu einem Spottpreis habe übernehmen können: so und ähnlich tönte es allenthalben.

Thomas Baumann am 04. April 2023

Zur Erinnerung: Nachdem die Schweizerische Nationalbank der Credit Suisse am Mittwoch 15. März nach Börsenschluss eine Finanzspritze von 50 Milliarden Franken offerierte, stieg der Börsenkurs über Nacht um 55 Rappen. An diesem Extragewinn störte sich kein Aktionär.

Als vier Tage später Bundesrat und Nationalbank nochmals in den Markt eingriffen, verloren die Aktionäre (wobei die Aktie wohl auch sonst abgeschmiert wäre) 1.10 Franken pro Aktie - und die Empörung war gross.

Das Ganze erinnert an eine Geschichte von Nasreddin Hoca, dem Protagonisten witziger Geschichten, welche im gesamten türkisch-islamischen Raum, von der Türkei bis zu den Turkvölkern Westchinas, verbreitet sind.

Nasreddin Hoca also ging zu einem Nachbarn und borgte sich einen grossen Kochtopf. Einige Tage später brachte er ihn zurück, zusammen mit einem kleinen Topf, den er in den grossen Topf legte. Der Nachbar wunderte sich, was das zu bedeuten habe, worauf ihm der Hoca antwortete: "Der Topf hat ein Kind geboren." Der Nachbar war über diese Mitteilung sehr erfreut und nahm beide Töpfe an sich.

Einige Zeit später ging Nasreddin Hoca nochmals zu seinem Nachbarn und borgte sich den grossen Topf erneut. Als er ihn auch nach einem Monat noch nicht zurückgebracht hatte, wunderte sich der Nachbar, ging zu Nasreddin Hoca und erkundigte sich nach dem Verbleib des Topfs.

"Dein Kochtopf ist gestorben", antwortete ihm der Hoca. "Gestorben? Wie kann ein Kochtopf sterben?", fragte der Nachbar ungläubig. "Warum nicht?", erwiderte der Hoca. "Wenn du glaubst, dass der Kochtopf gebären kann, dann musst du auch glauben, dass er gestorben ist."

Oder anders gesagt: Mitgegangen, mitgehangen.

Spätestens am Donnerstagmorgen 16. März wusste man, dass die Entwicklung des Aktienkurses der Credit Suisse nicht mehr alleine von den Marktkräften abhängt.

Wem das nicht passte, hätte am 16. März verkaufen können. Dass dies nicht flächendeckend geschah, zeigt das gegenüber dem Vortag deutlich geringere - wenn auch immer noch hohe - Handelsvolumen.

Ebenso erfreut, wie der Nachbar Nasreddin Hocas das "Kind" des Kochtopfs an sich nahm, nahmen auch die CS-Aktionäre gerne die zusätzlichen 55 Rappen pro Aktie, die ihnen die Intervention der Nationalbank bescherte - und wunderten sich später gleichfalls über das Ableben der CS.

Dabei ist eigentlich glasklar: Wer Aktien eines Unternehmens hält, das am Tropf des Staates hängt, braucht sich nicht zu wundern, wenn staatliches Handeln den Aktienkurs beeinflusst. Alles andere ist naiv.

Auch das oft kolportierte Argument, dass die UBS auf Kosten der CS-Aktionäre von diesem Geschäft profitiere, steht gleich in mehrfacher Hinsicht auf mehr als wackligen Füssen.

Wäre dem wirklich so, dann hätte die UBS-Aktie die rosigen Zukunftsaussichten ja gleich bei der Eröffnung der Börsen am Montagmorgen mit einem (Freuden-)Sprung quittieren müssen. Nichts dergleichen geschah: Die Aktie öffnete 8.5% unter dem Schlusskurs vom Freitagabend und verlor in der Spitze fast 16%.

Umso günstiger die Gelegenheit für all die selbsternannten Börsenorakel, die glasklar erkannten, dass die UBS profitiert. Sie hätten ihr "Wissen" sogar zu tieferen Kursen (oder noch besser mittels Hebelprodukten!) in bares Geld ummünzen können, denn der breite Markt war offenbar "zu dumm", das zu realisieren.

Noch in einem anderen Punkt irren sie: Profitiert wirklich die UBS von der angeblich "zu günstigen" Übernahme, dann partizipieren ja auch die alten CS-Aktionäre daran, deren CS-Aktien in UBS-Aktien umgetauscht werden - und gleichen damit mindestens einen Teil der Verluste wieder aus, welche sie am Montag 20. März auf ihren CS-Aktienbeständen erlitten haben. Dies, wohlgemerkt, noch ganz ohne die spekulativen Extragewinne, welche diese Börsengenies ja sowieso eingefahren hätten. Fragt sich nur, warum sie nicht auch gleich den Zusammenbruch der CS vorausgesehen haben...

Die vier Milliarden, welche die CS-Aktionäre am 20. März abschreiben mussten, entsprechen einem halben Prozent des BIP der Schweiz. Die volkswirtschaftlichen Verwerfungen wären um einiges grösser ausgefallen, wäre die CS Konkurs gegangen und die Türen der Filialen geschlossen geblieben: Geschäfte hätten ihre Lieferanten nicht bezahlen können, Mieter ihre Miete nicht, etc.

Es ist letztlich naiv zu glauben, das Geschehen an den Börsen würde nicht von staatlichem Handeln beeinflusst. Die meisten derjenigen, welche jetzt mit CS-Aktien Geld verloren haben, profitierten in den letzten fünfzehn Jahren von dem mit billigem Geld befeuerten Börsenboom. Dieses billige Geld regnete auch nicht einfach so vom Himmel herab, sondern wurde von den Notenbanken und Regierungen geschaffen.

Und als die SNB Mitte Januar 2015 den Euro-Mindestkurs aufhob, tauchten die einheimischen Aktien auch durch's Band um 10-20%. Wer gar Call-Optionen auf solche Aktien hielt, konnte diese zum grössten Teil gleich ganz wegwerfen. Damit muss halt rechnen, wer an den Börsen investiert ist. Es gibt schliesslich kein Anrecht auf Beibehaltung des Euro-Mindestkurses, bis man als Anleger seine Schäfchen ins Trockene gebracht hat.

Oder wie Bertolt Brecht sagte: "Wie man sich bettet, so liegt man, es deckt einen da keiner zu." Es sollte eben ein gewisses Mass an Resilienz und Frustrationstoleranz besitzen, wer an den Börsen investiert sein will.

Es steht wahrlich schlecht um die Marktwirtschaft, wenn selbst Aktionäre glauben, sie hätten ein Anrecht auf staatliche Rettung. Denn von der staatlichen Rettung zur staatlichen Bevormundung ist jeweils nur ein kleiner Schritt - im Falle der CS dauerte es bloss vier Tage.

Dass es einmal mehr den Staat brauchte, um die Finanzmärkte zu stabilisieren, die zu entgleisen drohten, ist die wirklich traurige und erschütternde Nachricht in dieser ganzen Sache: Eine schwarze Stunde für die Marktwirtschaft.

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Autor/in
Thomas Baumann

Thomas Baumann ist freier Autor und Ökonom. Als ehemaliger Bundesstatistiker ist er (nicht nur) bei Zahlen ziemlich pingelig.

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