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Huber & Senn

Gesinnungsterroristen und Empörungsbewirtschafter – und wie man mit ihnen medial umgeht

Eine neue Industrie hat sich entwickelt. Mit der Hilfe des Internets ist sie auf dem Vormarsch. Und die Medien spielen brav mit. Wenn es um die Bewirtschaftung von Gesinnung und Empörung geht, sollten sich Unternehmen aber zurückhalten, einfach zu kuschen.

Huber & Senn am 04. August 2020

«Konzerne können es sich wirtschaftlich nicht mehr erlauben, gesellschaftlich im Abseits zu stehen.» So lautete diese Woche die Affiche zu einem Artikel über gesellschaftliche Verantwortung. Die (unbelegte) These einer Journalistin: Firmen könnten es sich heute schlicht nicht mehr leisten, dass ihre Werbung beispielsweise neben rassistischen oder verunglimpfenden Kommentaren auf Internet-Plattformen wie Facebook und Co stehen, weil sie dann von Kunden abgestraft werden, die dann «kein Coca-Cola mehr trinken oder keinen VW kaufen». Wirklich?

Tatsächlich haben wir es heute oft mit einer Art von Krise zu tun, welche nicht primär auf ein reales Fehlverhalten eines Unternehmens zurückzuführen ist, sondern auf eine «falsche» Gesinnung. Das Phänomen ist nicht gänzlich neu, und dahinter steckt – natürlich – eine Industrie. Wir nennen sie die Empörungsbewirtschafter. Dank des Internets haben diese, von einigen auch als Gesinnungsterroristen betitelt, vielfältigste Strategien entwickelt, auch mit geringem Mitteleinsatz grosse Wirkung zu erzielen und sogar globale Unternehmen in die Knie zu zwingen. Oft genug allerdings auch nur, weil diese Unternehmen (oder ihre Social Media-Abteilung – denn die wenigsten CEO wissen etwas darüber) das zulassen.

Der Mohrenkopf-Bann

Ein aktuelles Beispiel ist die Migros mit ihrem Dubler-Mohrenkopf-Bann. Im Zug der «Black Lives Matter»-Bewegung erschien es dem Detailhändler nicht mehr opportun, das Produkt zu listen. Auslöser war der Tweet einer Kundin, die empört fand, die Bezeichnung entspreche «nicht der Political Correctness.» Die Migros Granden folgten der Aufforderung aus dem einen Tweet Gewehr bei Fuss.

Unserer Meinung nach ein klarer Fehler. Warum? Nun, es geht uns nicht um die Frage, ob die Bezeichnung «Mohrenkopf» jetzt besonders geschickt und noch zeitgemäss ist. Es geht um das Signal. Die Migros hat sich vor der Angst um eine mögliche Auseinandersetzung – von Krise mögen wir in diesem Zusammenhang gar nicht sprechen – von einer kleinen, aber aggressiven Pressure-Group schlicht erpressen lassen. Zur Verdeutlichung: eine Online-Umfrage der Aargauer Zeitung ergab, dass 84% aller abgegeben Stimmen der Argumentation der Migros nicht folgen und in den Mohrenköpfen nichts Rassistisches sehen. Und eine Online-Petition in der Sache, die auf der Plattform «change.ch» (das Portal der Empörungsbewirtschafter) vor drei Jahren aufgeschaltet worden war, hatte innerhalb von 36 Monaten nicht einmal 1500 Unterschriften zusammengebracht. Gad ase!!!

Aber: Die Empörungsindustrie hatte nun übernommen und rasch den M-Riesen zu einem Zwerg demontiert. Mit zum Teil abstrusesten Argumenten, wie etwa dem einer Genderforscherin der Universität Basel, die sich gemäss einem Zitat der Aargauer Zeitung vom Juni 2020 nicht zu blöd ist, eine direkte Verbindung zwischen dem Flüchtlingselend auf dem Mittelmeer und den Dubler-Produkten herzustellen: «Wenn wir nicht bereit sind, Sprache zu dekolonisieren, werden auch weiterhin Geflüchtete ertrinken.» Aha!

Der Mohrenkopfpapagei und die rassistische Pizza Hawaii

Die NZZ stellte dazu gleich eine interessante Frage: Muss nun für den Mohrenkopfpapagei (Poicephalus senegalus) ein neuer Name gefunden werden? Und gehört der Roman «Die Mohrin» von Lukas Hartmann aus dem Verkehr gezogen? Linke Aktivisten forderten gleichzeitig, dass auch der Begriff «Pizza Hawaii» verschwinden muss, Sie argumentieren, dass in Zukunft eine Pizza mit Ananas bestellt werden soll, und nicht eine «Pizza Hawaii». Dies, weil der Begriff rassistisch sei, schliesslich hätten erst weisse Siedler die Ananas nach Hawaii gebracht. Soso!

Auch Glaces kommen unter das Mikroskop der Neo-Inquisitoren und Inquisitorinnen. Wegen der Rassismus-Diskussion prüft Frisco den Namen seiner berühmten Wasserglace Winnetou (jährlich 3 Mio. Mal verkauft). Emmi, der Luzerner Milchverarbeiter, der eine beinahe identische Glace mit dem Namen Sioux im Verkauf hat (mit Federschmuck auf der Verpackung), hingegen sieht keinen Handlungsbedarf. Cool down!

Je mehr Unternehmen dem Druck der Empörungsbewirtschafter nachgeben, umso angreifbarer werden sie. Heute sind es die Mohrenköpfe. Und morgen? Wird die Migros dann kein Fleisch mehr verkaufen, weil Fleischkonsum gemäss einer anderen Minderheitsposition politisch nicht mehr korrekt ist? Was ist mit der Migros-Tochter Hotelplan? Die verkaufen unter anderem Kreuzfahrten. KREUZFAHRTEN! Das sind diese Reisen auf Schiffen, die Unmengen an Schadstoffen aus ihren Kaminen blasen. Und in kolonialistischer Weise Horden von Touristen in entlegene Gegenden verfrachten und zum «Overtourismus» beitragen. Gar nicht politisch korrekt! Und dann die Flugreisen, die Hotelplan vertickt! Dabei sind doch auch Flugreisen per se alles andere als politisch korrekt. Genauso wenig wie Migrol-Tankstellen! Man darf doch keine fossilen Treibstoffe mehr verkaufen in Zeiten des Klimawandels! Drei Mal Pfui!

Politische Korrektheit

Wohlverstanden 1: Bei allen diesen Produkten geht es nicht nur etwa um einen politisch unkorrekten Namen, sondern um die Produkte selbst, die politisch unkorrekt sind. Die unterschiedliche Haltung der Migros dürfte darin begründet ein, dass es bei all’ diesen Produktkategorien dann wohl doch um mehr Umsatz geht als bei den Mohrenköpfen. Und der Detailhändler hier nicht so leicht einknicken dürfte. Der Vorwurf der Scheinheiligkeit ist allerdings argumentativ kaum mehr auszuräumen.

Wohlverstanden 2: Wir reden hier nicht von einem völlig entfesselten Kapitalismus ohne jegliche soziale Verantwortung. Es geht um die Frage der Abgrenzung: Gerät ein Unternehmen in eine Krise, weil es selbst (oder dessen Zulieferer) gegen gesetzliche Vorgaben verstossen, ist das keine Frage: Kritik in solchen Fällen ist berechtigt, und das Krisenmanagement hat auf Fehler eine Antwort zu finden und für Ausgleich zu sorgen. Das Brent Spar-Unglück oder die VW-Abgastricksereien sind gute Beispiele dafür.

Wenn es aber um die sogenannte «Politische Korrektheit» geht, raten wir zu grösster Vorsicht. Was politisch korrekt ist und was nicht gründet selten auf einer demokratischen Ausmarchung. Sondern auf Pressure-Groups, die geschickt Kampagnen lancieren, um ideologischen Anliegen, die niemals mehrheitsfähig wären, zum Durchbruch zu verhelfen. Natürlich lässt sich das Einknicken medial als «Wahrnehmung der gesellschaftlichen Verantwortung» etikettieren und die Journaille mag sogar Beifall klatschen. Aber was ist mit der wichtigsten Anspruchsgruppe des Unternehmens, den Kundinnen und Kunden?

Ökonomisch sind solche Kniefälle praktisch nie nötig. Unsere Praxiserfahrung zeigt, dass die angedrohten Kundenboykotte und Shitstorms kaum bis gar keine negativen Auswirkungen auf die Umsätze zeitigten. Im Gegenteil. Zum einen, weil die Boykotteure eben Aktivisten sind und keine Kunden des Unternehmens, das sie attackieren. Zum anderen, weil die Sympathien den Standhaften zufliegen. Wie dem Aargauer Mohrenkopfproduzenten, der von den Kundinnen und Kunden seit der Kontroverse regelrecht überrannt wird.

Kann man sich gegen solche Gesinnungsübergriffe vorbereiten?

Was bei einer Immobilie wichtig ist: «Lage, Lage und nochmals Lage» ist bei der Krisenkommunikation die «Vorbereitung, Vorbereitung und nochmals die Vorbereitung». (Ja, das sagen wir jedes Mal, weil es wichtig ist)

Den Empörungstrend beobachten wir schon seit einigen Jahren, und er stammt aus den USA. Dort lässt sich beobachten, dass die Toleranz, sich mit abweichenden Meinungen auseinanderzusetzen, stark geschwunden ist (Gab es schon vor Trump). Im deutschsprachigen Raum sind ähnliche Tendenzen zu beobachten. Vor allem auf Twitter werden immer häufiger Kampagnen gestartet, die ideologische Forderungen stellen. Die Kopftuchdebatte war eines der frühen Themen. Das führte zu einem Fundamentalstreit zwischen Rassisten auf der einen Seite und Fundamentalisten auf der anderen, eine vernünftige Diskussion kann aber nie zustande. Und das gilt für immer mehr Themen.

Was wir aber gelernt haben: jede Empörungswelle, egal wie hoch sie auch daherkommt, flacht wieder ab. Shitstorms sind ein Phänomen temporärer Entrüstung. Wir raten im Ernstfall vor allem zu Gelassenheit und Ruhe bewahren! Gefährlich sind übereilte Kommentare aus einer hohen Emotionalität heraus, solange der Mob tobt. Besser fährt, wer mögliche Empörungsthemen rechtzeitig antizipiert und sich auf die Empörungsbewirtschafter vorbereitet. Warum? Viele Nutzer kommentieren im Affekt: spontan, impulsiv und meist emotional überladen. Genauso darf eine Marke oder Unternehmen nicht reagieren.

Dann muss man herausfinden, wer hinter dem Angriff steht. Frustrierte Trolle (die ihre Hasspredigten oder Ideologien verteilen), organisierte Feinde (die Fake News verbreiten), darunter vielleicht Mitbewerber?, organisierte Pressuregroups (mit politischen Ambitionen) - oder frustrierte Kunden des Unternehmens? Erst mit diesem Wissen kann man dann zeitnah reagieren: je nach Ausgangslage mit zielorientierem Nichtstun, einer Erklärung, einer Entschuldigung oder indem man die Debatte mit inhaltlichen Argumenten aufnimmt.

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Autor/in
Huber & Senn

Roger Huber (1964) und Patrick Senn (1969) sind ehemalige Ostschweizer Journalisten, die lange Jahre bei nationalen Medientiteln gearbeitet haben. Heute unterstützen Sie Organisationen und Führungskräfte in der Krisenkommunikation und sind Gründungsmitglieder des Verbandes für Krisenkommunikation vkk.

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