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Kinder und die Zuckerfallen

Gesundheitsparadox schliesst auch die Ostschweiz nicht aus: Weshalb Übergewicht bei Schülern trotz besserer Aufklärung ein Problem bleibt

Im Schuljahr 2022/23 gab es leicht weniger übergewichtige Schülerinnen und Schüler in der Basisstufe. Dennoch bleibe das Problem des Übergewichts bestehen, wie eine neue Studie aufzeigt. Aber weshalb?

Manuela Bruhin am 14. Juni 2024

16.7 Prozent der Schülerinnen und Schüler waren im vergangenen Schuljahr übergewichtig. Das stellt zwar einen leichten Rückgang um 0,8 Prozentpunkte dar – für eine Studie der Gesundheitsförderung Schweiz ist jedoch klar: Das Problem, dass immer noch zu viele Kinder und Jugendliche übergewichtig sind, bleibt bestehen.

Die Daten zeigen weiter, dass 4.3 Prozent der Schülerinnen und Schüler gar adipös, also stark übergewichtig, sind. Dieser Anteil ist in den letzten 20 Jahren nur leicht zurückgegangen. Bei Oberstufenschülerinnen und – schülern zeige sich sogar ein Anstieg.

In Zeiten, in denen es viele gesunde Lebensmittel gibt, und auch offen kommuniziert wird, was man beachten sollte – beispielsweise anhand des Nutri-Scores oder der Lebensmittelampel – stellt sich die Frage, weshalb die Zahlen übergewichtiger Schülerinnen und Schüler nicht zurückgeht. Salopp gesagt war es schliesslich noch nie so einfach, sich gesund zu ernähren. Doch dieser Ansatz greift zu kurz, wie Dr. Karin Faisst, kantonale Präventivmedizinerin und Leiterin des Amtes für Gesundheitsvorsorge in St.Gallen, im Interview ausführt.

Karin Faisst, der Anteil übergewichtiger Schülerinnen und Schülern in der Basisstufe ist leicht zurückgegangen. Wir dürfen uns eigentlich angesichts dieses kleinen Sieges freuen.

Natürlich, wir dürfen uns immer freuen, wenn ein Problem kleiner wird oder sich verbessert. Dass sich der Anteil übergewichtiger Schülerinnen und Schüler reduziert, macht Hoffnung. Es gibt aber weitere Punkte, die nicht so positiv sind.

Genau. Neue Daten zeigen, dass sich die Werte auf der Mittel- und Oberstufe kaum verändert haben. Woran hapert es Ihrer Meinung nach?

Kommen Kinder und Jugendliche in die Mittel- und Oberstufe, zeigt sich, dass sie nicht mehr nur das zu sich nehmen, was sie zu Hause serviert bekommen. Sie können sich einen Energy-Drink selber kaufen – oder essen statt eines Apfels lieber eine Packung Chips oder Schokolade.

Deutliche Unterschiede zwischen den Schulstufen und aufgrund der sozialen Herkunft verdeutlichen die Notwendigkeit von Gesundheitsförderungs- und Präventionsprogrammen – insbesondere für sozial benachteiligte Gruppen. Gleicht sich diese Feststellung mit Ihrer täglichen Wahrnehmung?

Es ist grundsätzlich ein anerkannter Fakt, dass der soziale Hintergrund einen grossen Einfluss auf den Gesundheitsstatus hat – das betrifft auch einen möglichen Tabak- oder Alkoholkonsum. Übergewicht bildet da keine Ausnahme.

Grundsätzlich: Fehlt es den Kindern an Bewegung oder ist eher falsche Ernährung die Ursache, dass es immer mehr übergewichtige Kinder gibt?

Es ist wohl immer eine Kombination aus beiden Faktoren. Es ist so, dass es einen Markt von Unternehmen gibt, die ihre Produkte verkaufen wollen. Damit das gelingt, wird der Geschmack so ausgerichtet, dass er möglichst viele Konsumenten findet. Und das passiert häufig mit dem Zuckergehalt. Zum Beispiel enthalten Süssgetränke sehr viel Zucker, und sie sind häufig das grundlegende Problem bei Übergewicht, was jedoch von vielen gar nicht so bewusst wahrgenommen wird. Zudem ist unsere Gesellschaft relativ bewegungsfaul geworden – was verschiedene Ursachen hat. Wir können vermehrt auf Technik zurückgreifen, sitzen also oftmals bei unseren Tätigkeiten, müssen nicht mehr häufig körperliche Arbeiten verrichten. Auch in der Schule sitzen die Schüler und Jugendlichen viel. Gerade, wenn Kinder älter werden, sind Vereine, wie beispielweise die Jugi, nicht mehr so spannend. Oder sie verzichten zugunsten des Lernens darauf, weil der Schulstoff anspruchsvoller wird.

Müssten allenfalls in der Schule mehr Turnunterricht oder Bewegungsprogramme eingebaut werden?

Das ist immer eine schwierige Diskussion. Die Schulen müssen ja ganz vieles abfangen. Es ist schnell gesagt, wenn es zu viele übergewichtige Kinder gibt, dass mehr Turnunterrichtstunden stattfinden müssten. Oder wenn die Schüler schlecht lesen können, sollte mehr Deutsch gelernt werden. Gleichzeitig wird kritisiert, dass zu viel Lernstoff vermittelt wird. Es geht jedoch nicht immer alles, die Suche nach der eierlegenden Wollmilchsau wird auch hier nicht funktionieren. Natürlich gibt es die Möglichkeit von einem bewegten Unterricht. Doch es muss uns allen gelingen, mehr Bewegung in unseren Alltag einzubauen: Die Treppe statt des Lifts zu benutzen, das Fahrrad statt des Autos zu nehmen.

Kinder, deren Eltern keinen nachobligatorischen Abschluss haben, sind häufiger übergewichtig oder adipös. Weshalb ist das so? Es gibt schliesslich viele Hilfsmittel, die inzwischen Einzug gehalten haben: Ampelsysteme, Nutri-Score, Aufklärung in der Schule.

Die Industrie setzt vieles daran, dass wir mehr Zucker konsumieren. Wir befinden uns nicht in einem luftleeren Raum. Viele Produkte werden zuckerreicher, und nicht immer ist das auf den ersten Blick ersichtlich: beispielsweise bei vermeintlich «gesunden» Lebensmitteln wie Müsli. Damit Menschen gesundheitskompetente Entscheidungen treffen können, setzt voraus, dass sie entsprechende Informationen verarbeiten können. Das ist aber nicht immer der Fall. Vielleicht sind sie der Landessprache nicht mächtig, haben nicht die finanziellen Mittel – oder es fehlt an Wissen. Wir sind nicht alle gleich, und haben auch nicht alle die gleichen Möglichkeiten.

Was können Eltern tun, wenn das Essen zum täglichen Kampf wird?

Das Thema ist umfassend, und es betrifft nicht nur das Übergewicht. Auch Untergewicht kann gefährlich sein. Grundsätzlich ist es so, dass Essen ein Ritual werden soll, bei welchem man miteinander redet – und nicht alle in ihr Handy schauen. Wenn man feststellt, dass es Probleme gibt, sollte man sich frühzeitig Hilfe und Unterstützung holen. Essen ist ein sehr komplexes Thema, in welchem ganz viele Faktoren eine Rolle spielen.

Die Studie besagt, dass es keine grosse Rolle spielt, ob es Mädchen oder Jungs sind, die schneller übergewichtig werden – der soziale Hintergrund ist viel entscheidender. Wie können Präventionsprogramme besser an die kulturellen und sozialen Kontexte der betroffenen Kinder angepasst werden?

Der Kanton St.Gallen hat verschiedene Projekte und Präventionsprogramme, die hier greifen – beispielsweise der Purzelbaum. Das Projekt zielt auf mehr Bewegung und eine gesunde Ernährung im Kindergarten, in der Kindertagesstätte und der Spielgruppe ab. Zudem gibt es Veranstaltungen für Eltern, die sich darüber informieren können, was beispielsweise in die Znünibox gehören sollte – und was eher nicht. Wenn es uns gelingt, damit grundlegend ein besseres Bewusstsein zu schaffen, haben wir schon vieles erreicht.

(Bild: Depositphotos/pd)

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Autor/in
Manuela Bruhin

Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».

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