Beleidigungen, Beschimpfungen, Bedrohungen: Fussball lässt die Emotionen hochkochen. Und das nicht etwa nur in der Profiliga, sondern bereits bei den ganz Kleinen. Eltern gehen Trainer an, Fussballer den Schiedsrichter – ein Augenschein.
Die Sonne scheint, die Fussballer schwitzen, es wird um jedes Tor gekämpft. Die Temperaturen sind an diesem Sonntagmorgen in Flawil bereits hochsommerlich, und genau so hoch kochen auch die Emotionen. Gerade hat ein etwa siebenjähriger Fussballer seinen Mitstreiter gefoult. Der Trainer weist den besagten Spieler darauf hin, sagt, dass das nicht gestattet ist, lässt ihn jedoch weiter spielen. Sehr zum Missfallen des Vaters des gefoulten Spielers. «Nimm ihn aus dem Spiel!», fordert er den Trainer der gegnerischen Mannschaft auf. Als dies nicht passiert, wird die Stimmung von Minute zu Minute aggressiver.
Keine Ausnahme
Kaum ertönt der Pfiff zur Pause, stürmt der Vater zum Trainer, diskutiert wild, beruhigt sich nicht. Der Trainer erklärt ihm noch einmal, dass er seinen Spieler auf das Foul aufmerksam gemacht hat, und wendet sich schliesslich ab. Das Ende vom Lied: Die Trainer einer anderen Mannschaft geraten sich aufgrund verschiedener Ansichten in die Haare, einige Eltern diskutieren wild, weil das Ergebnis für sie nicht passt, die Stimmung ist alles andere als friedlich. Ein Schiedsrichter erklärt, dass dies keine Ausnahmesituation sei. Erst am Tag zuvor musste ein Spiel wegen genau solcher Ausschreitungen abgebrochen werden.
Solche Szenen spielen sich bereits bei den jüngsten Nachwuchsfussballern der unteren Ligen ab. Hier treffen übermotivierte Eltern, Besserwisser, emotionale Spieler, aggressive Menschen aufeinander. Schiedsrichter, die ihre Freizeit dafür opfern, werden angegangen, beschimpft und vielleicht sogar verprügelt. So passiert gerade erst in Zürich: Zwei Spieler gingen auf den Schiedsrichter los, die Polizei musste intervieren.
Schwieriger Überblick
Tiago Gambino ist in einer Fussballer-Familie gross geworden, und spielt selbst, seitdem er laufen gelernt hat. Er kennt solche Szenen nicht nur vom Hörensagen, sondern erlebt die manchmal aggressiven Szenen hautnah mit. «Am Anfang beginnt fast jedes Spiel harmlos», erklärt der Fünftligaspieler des FC Flawil im Gespräch. «Kaum fällt jedoch das erste Tor oder passiert ein Foul, gehen die Emotionen hoch.» Die gegnerische Mannschaft wird angepöbelt oder der Schiedsrichter angeblafft. Gerade für letzteren sei es schwierig, immer den Überblick zu behalten. «In der Amateurliga gibt es nur einen Schiedsrichter, und auf dem Platz sind 22 Spieler – da kann man nicht immer alles sehen», sagt Gambino.
Er habe schon von einigen Mannschaften gehört, bei denen sogar Fäuste geflogen seien. «Auch unsere Spieler haben schon Nackenklatscher oder Fluchwörter einstecken müssen.» Er selber berichtet von einem Fall, bei welchem nach dem Abpfiff ein gegnerischer Spieler auf ihn los sei und nachgetreten habe. Ein Vorgehen, welches Gambino überhaupt nicht verstehen kann. Er versuche jeweils zu schlichten, denn solche Emotionen bringe die Mannschaft nicht weiter – im Gegenteil. Eine Suspension als Strafe für tätliche Angriffe wolle schliesslich niemand. «Wir sind eigentlich alle aus demselben Grund auf dem Platz: Weil uns Fussball Spass macht.»
Nerviger Spielabbruch
Auch übermotivierte Eltern treffe man immer wieder an. Die teilweise übergriffigen Kommentare an den Schiedsrichter seien störend auf den Spielbetrieb. Wird ein Spiel dadurch unterbrochen, hätte man anschliessend Mühe, wieder ins Spiel zu finden, sagt Gambino.
Eltern, die die Spiele teilweise zu ernst nehmen und übers Ziel hinausschiessen, haben den Schweizerischen Fussballverband zur Kampagne «Erlebnis vor Ergebnis» gebracht. Fairness sollte demnach wieder mehr Gewicht erhalten, und zwar nicht nur auf, sondern auch neben dem Spielfeld.
Dies wünscht sich auch Georg Kunz vom FC Gossau. Seit 39 Jahren hat er als Schiedsrichter bereits unzählige Spiele gepfiffen. Die Respektlosigkeit hätte in den vergangenen Jahren zugenommen, erklärt er im Gespräch. «Leider ist es so, dass wir häufig als Freiwild wahrgenommen werden. Wir haben inzwischen Schwierigkeiten, neue Schiedsrichter rekrutieren zu können – genau aus solchen Gründen.» Man erbringe innerhalb des Vereins die Dienstleistung, stelle als Schiedsrichter seine freie Zeit zur Verfügung – und müsse sich verbal und manchmal auch sogar körperlich angreifen lassen.
Falsches Lenken
Aber was macht den Schiedsrichtern am meisten zu schaffen? Sind es übermotivierte Eltern? Zu engagierte Trainer? Oder hitzige Spieler? Es dürfte wohl eine Mischung aus allem sein, sagt Kunz. Denn: «Eigentlich sollte es ein sportliches Miteinander sein. Es fehlt rechts und links an Einfühlungsvermögen.» Trainer, die ihren Auftrag verfehlen. Eigentlich sollten sie ihre Spieler fussballerisch und mental weiterbringen – und sie nicht durch falsches Lenken daran hindern. Eltern sehen ihre Sprösslinge bereits in den grossen Stadien auflaufen, auch wenn es mit dem Talent nicht weit her ist. Spieler würden den Respekt vermissen lassen.
Auch Kunz hätte bereits einen Spielabbruch einleiten müssen, weil die Emotionen derart hochgingen. Der Vorfall liegt aber bereits einige Jahre zurück. «Die Erfahrung hat gezeigt, dass es wichtig ist, früh genug ins Geschehen einzugreifen. Emotionen gehören zwar zum Fussball. Ein zu hartes Einsteigen jedoch muss unterbunden werden.» Vieles werde den Kindern und Jugendlichen inzwischen von den Profi-Ligen im Fernsehen herangetragen.
Geschichten von früher
Weshalb ist Kunz seit über 39 Jahren mit Leidenschaft dabei? Auch wenn die Umstände nicht immer angenehm sind? Früher hätte er selber in der zweiten Liga gespielt, als dann die Familiengründung anstand, sei er zurückgetreten. Als Schiedsrichter unterwegs zu sein, sei in manchen Fällen wie ein Ausflug in die Vergangenheit. Wie in etwa dann, wenn er in anderen Regionen ein Spiel pfeife, wo er früher bereits als aktiver Fussballer auf dem Platz stand – und den einen oder anderen Fussballer von damals wieder treffe. Schöne Geschichten eben, die wohl nur der Fussball schreiben kann. Und die Einsicht des Gossauers, die er lachend zugibt: «Ich bin halt einfach angefressen.»
Bilder: Archiv/PD
Manuela Bruhin (*1984) aus Waldkirch ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».
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