Die Autos sind weg, aber nun kommen die Massen zu Fuss: Die neuen Sitzbänke beim Marktplatz sind der Besuchermagnet schlechthin.
Mit der Aufhebung der Parkplätze auf der Verlängerung des Marktplatzes Richtung Blumenbergplatz in der Stadt St.Gallen sollte der Platz von lästigen Blechlawinen befreit und so die Lebensqualität der flanierenden Menschen erhöht werden.
Damit hat nun aber niemand gerechnet. Denn jetzt gibt es auch ohne Autos kaum ein Durchkommen an dieser Stelle. Die Einheimischen und Besucher der Stadt haben offenbar so verzweifelt auf diese Attraktivitätssteigerung gewartet, dass sie nun nicht mehr zu halten sind. Bereits wenige Tage nach dem Verschwinden der Parkplätze haben sie den Platz in Beschlag genommen, dass man meinen könnte, das St.Galler Fest sei im Gang.
Bester Beweis dafür sind die in originellen Formen angelegten Sitzbänke. Sie sind so gut wie ständig voll besetzt, wie unser Bild zeigt. Die Stadtbehörden denken bereits über eine zeitliche Begrenzung für Leute, die sich dort hinsetzen, nach. Selbst eine Sitzgebühr, gekoppelt an einen Ticketautomaten, der angelehnt an die Preise der Cityparking AG für Tiefgaragenplätze sein soll, ist ein Thema.
Der Blick aufs Bild zeigt: Massnahmen sind nötig, ja unumgänglich. Dass es so schnell geht mit der Belebung des Marktplatzes, hat vermutlich selbst der Stadtrat nicht gedacht. Und auch bürgerliche Kreise, die eigentlich gegen den Abbau von Parkplätzen waren, zeigen sich geläutert. «Der schlagartige Gewinn von Lebensqualität für so viele Menschen und die sichtbare Belebung unseres Zentrums zeigen, dass wir falsch lagen», so ein FDP-Stadtparlamentarier, der aus Scham seinen Namen nicht nennen will.
Selbst die Stilllegung des einen oder anderen Parkhauses wird nun wohl zum Thema. Denn angesichts des erstaunlichen Effekts auf dem Marktplatz scheint es nicht unmöglich, dass sogar unter der Erde und ohne Tageslicht Sitzbänke schnell begehrte Ware werden - solange sie originell geformt sind natürlich.
Die einzigen kritischen Stimmen kommen - wie üblich - von den Detaillisten. Zwar müssen auch sie anerkennen, dass der St.Galler Marktplatz nun endlich lebt. Leider schlage sich das aber nicht auf die Verkäufe aus. «Die Leute sind so begeistert von der wunderschönen autofreien Umgebung, dass sie vermutlich selbst bei Regen lieber einfach auf den Bänken sitzen, statt in einen Laden zu kommen», meint einer von ihnen.
Er und andere wollen nun versuchen, mit einer Art «fliegendem Händler» auf die Kunden draussen zuzugehen. Es dürfte allerdings schwierig werden, dafür eine Bewilligung zu erhalten. Die Gewerbepolizei hat bereits durchblicken lassen, man werde es nicht erlauben, dass die absolute Idylle der Menschenmassen auf dem Marktplatz durch kommerzielle Angebote gestört werde.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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