Die St.Gallische Kulturstiftung verleiht am Montag, 2. Dezember 2019, in der Lokremise St.Gallen dem Tänzer und Choreografen Martin Schläpfer den grossen Kulturpreis für seine hohen künstlerischen Leistungen im klassischen, modernen und zeitgenössischen Ballett.
Er gilt als einer der bedeutendsten Ballettchoreografen der Gegenwart, ein Erneuerer mit Bodenhaftung, radikal, kompromisslos und dennoch nah am Menschen. Anstelle der luftigen apollinischen Danceuse lässt er die Tänzerinnen Spitzenschuhe in den Boden rammen, als wären es Werkzeuge, um den Boden zu beackern, um unter die Oberfläche zu gelangen. Tanz, wie er ihn vorantreibt, ist eine Sprache, die den heutigen Herausforderungen entgegentritt, sie annimmt, nicht wegschaut.
Tanz als Energie und Weltverbundenheit
«Der klassische Tänzer von heute muss wissen, was in der Welt geschieht», sagt Martin Schläpfer, und er verlangt von seiner Kompanie, was er auch von sich selber fordert: Passion, Neugierde, das Bedürfnis, Grenzen zu erweitern. Und dabei sich selber zu bleiben. Nur so könne der Tanz überleben. Tanz, der nicht als linearer Ablauf zu verstehen ist, sondern energetisch.
Einzelne seiner Tänzerinnen und Tänzer sind seit über 20 Jahre mit ihm unterwegs. Reife und Selbstbestimmung, auch Zögern, Verunsicherung, Zerrissenheit sind ein wesentlicher Teil seiner und ihrer Sprache auf der Bühne. In den letzten Jahren ist er verschiedentlich auch selber als Tänzer auf die Bühne zurückgekehrt.
Ein Start als Star wie im Märchen
Es tönt wie im Märchen, wenn Martin Schläpfer erzählt, wie er zum Tanz gekommen ist. Er war Sekundarschüler in St.Gallen, «weder glücklich noch gut noch an Tanz interessiert», als Marianne Fuchs, die Ballettlehrerin aus St.Gallen, ihn auf dem Eis im Lerchenfeld bei einem Schaulaufen beobachtete und ihn zu sich holte. Für ihn sei sofort klar gewesen: «Das will ich - nicht wegen des Tanzes selber, sondern wegen der Möglichkeit auszubrechen, von den vorbestimmten, am Bürgertum orientierten Wegen wegzukommen.»
Zuvor lockte ihn das Leben als Bauer, wie er es am Hof seines Grossvaters in Rehetobel kennengelernt hat. Am 26. Dezember 1959 in Altstätten geboren und vorerst dort aufgewachsen, beginnt er also als 15-Jähriger die Ballettausbildung in St.Gallen. 1977 gewinnt er beim Prix de Lausanne ein Stipendium, das ihm ein Ballettstudium an der Royal Ballet School in London ermöglicht. 1978 bis 1983 ist er Solotänzer am Stadttheater Basel bei Heinz Spoerli, 1983/84 erster Solotänzer am Royal Winnipeg Ballet in Kanada, danach erneut bis 1989 am Stadttheater Basel.
Erfolg und Zweifel
Es kommen Ermüdung, Zweifeln - und wieder die Lust, als Biobauer zurück in die Ostschweiz zu ziehen. Dann wechselt er vom Tänzer zum Choreografen, gründet 1990 die eigene Ballettschule «Dance Place» in Basel, die er bis 1994 leitet. Er wird für fünf Jahre Ballettdirektor am Stadttheater Bern. 1999 bis 2009 leitet er das Staatstheater Mainz. Ab Spielsaison 2009/10 ist er Ballettdirektor und Chefchoreograf an der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf und Duisburg. Die rund 50 Tänzerinnen und Tänzer aus über 20 Nationen umfassende Kompanie wird unter Martin Schläpfer, wie auch er selber, wiederholt ausgezeichnet. 2018 verlängert er den Vertrag in Düsseldorf Duisburg als Hauschoreograf, ab Saison 2020/21 wird er neuer Direktor und Chefchoreograf des Wiener Staatsballetts und seiner Ballettakademie.
Endlich in St. Gallen
Die öffentliche Preisverleihung findet am Montag, 2. Dezember 2019, 19 Uhr in der Lokremise St.Gallen statt, eine Anmeldung ist erwünscht, da die Platzzahl beschränkt ist. Zum feierlichen Anlass wird ein lang gehegter Wunsch sowohl des Preisträgers selber wie auch des zugeneigten Publikums erfüllt - zumindest für insgesamt gute 20 Minuten: Marlúcia do Amaral (Ballett am Rhein Düsseldorf Duisburg) tanzt «Ramifications» von György Ligeti, eine filigrane Erforschung des Körpers im Raum zwischen gegensätzlichen Polen, ein Ausdruck der Sehnsucht nach anderen Zuständen, kreiert von Martin Schläpfer (10 Minuten). Yuko Kato & Marcos Menha (Ballett am Rhein Düsseldorf Duisburg) tanzen einen Walzer für Violine und Gitarre, arrangiert aus den 36 Originaltänzen op. 9 D 365 von Franz Schubert, das Älterwerden eines Paares, zärtlich feinsinnig und voller Humor (12 Minuten).
St.Gallische Kulturstiftung
Die St.Gallische Kulturstiftung zeichnet mit der Vergabe von Förder-, Anerkennungs- und Kulturpreisen besondere Leistungen aus. Dabei legt der Stiftungsrat Wert auf die Berücksichtigung verschiedener Regionen und Themen. Das Spektrum reicht vom Brauchtum bis zur Wissenschaft, von der bildenden Kunst bis zum Naturschutz. Neben diesen Preisen wird auch alle drei Jahre der «Grosse Kulturpreis der St.Gallischen Kulturstiftung» verliehen.
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