Nicht alles lässt sich vom Bürotisch aus lösen. Das Handwerk muss in unserer Gesellschaft wieder den Stellenwert erhalten, den es auch verdient.
Nach den Sommerferien begann mit dem Lehrbeginn für viele junge Leute der Einstieg ins Berufsleben und damit verbunden ein neuer Lebensabschnitt. Gerne erinnere ich mich an meine Lehrzeit zurück. Endlich, die von mir nur wenig geliebte Volksschulzeit hinter mir gelassen, war ich stolz darauf, mit einer Lehre als Metallbauschlosser starten zu können. Damals herrschte noch akuter Lehrstellenmangel und es buhlten mehrere Interessenten um eine Lehrstelle. Für heutige Jugendliche sind solche Zustände unvorstellbar. Entsprechend gross war der Druck, eine der begehrten Lehrstellen erhaschen zu können. Umso grösser war dann auch die Freude und der Stolz, als man vom künftigen Lehrbetrieb eine Zusage bekam.
Vorwiegend in handwerklichen Berufen bleiben heute jedoch viele Lehrstellen unbesetzt, sodass der Bundesrat vor einigen Jahren sogar vorschlug, Jugendliche aus dem Ausland zu holen, um dem Lehrlingsmangel entgegenzuwirken.
Die Berufslehre hat an Attraktivität verloren. Mehr Anerkennung, höhere Löhne und die Hoffnung auf eine vermeintlich bessere Zukunft verleiten viele zu einem Studium oder zu einer höheren Ausbildung. Daher ist es nicht verwunderlich, dass heute vielerorts qualifizierte Berufsleute, die ihr Handwerk auch verstehen, fehlen.
Das bewährte Handwerk hat keinen goldenen Boden mehr. Das hat nicht zuletzt auch mit der schwindenden Wertschätzung gegenüber Handwerkern zu tun. Doch sind es doch genau diese Berufsleute, die einen wichtigen Beitrag zum Funktionieren unserer Gesellschaft und zum Ausbau und Erhalt unserer Infrastruktur leisten.
Nicht alles lässt sich vom Bürotisch aus lösen. Das Handwerk muss in unserer Gesellschaft wieder den Stellenwert erhalten, den es auch verdient. Nur so wird es uns gelingen, wieder vermehrt junge Leute zu gewinnen, einen handwerklichen Beruf zu erlernen.
In einer Diskussionsrunde habe ich neulich erlebt, dass sich Eltern, die sich mit einem akademischen Grad schmücken, dafür entschuldigten, dass ihre Kinder «nur» eine Berufslehre machen. Über diese Aussage bin ich heute noch schockiert. Wie weit haben wir es gebracht, wenn sich Eltern dafür schämen, dass ihre Kinder einen normalen Beruf erlernen?
Unser duales Berufsbildungssystem gehört anerkannt weltweit zu einem der besten. Unsere Lehrabgänger, egal in welchen Berufen, gehören zu den besten Leuten ihres Faches. Seien wir stolz darauf und vermitteln wir unseren Kindern und Jugendlichen dies auch so.
Martin Lörtscher ist CEO der Hugelshofer Logistik AG mit Sitz in Frauenfeld. Er ist Mitglied vom TGV-Vorstand und war mehrere Jahre Präsident des Schweizerischen Nutzfahrzeugverbandes ASTAG Sektion Ostschweiz + FL.
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