Wirklich? Einsamkeit in unserer global vernetzten Welt? Das ist ein Widerspruch. Leider stimmt er wegen unserer Abhängigkeit vom Handy.
Die jetzige Generation ist mit Bildschirmen an Computern, Handys, Laptops, Tablets und mit sozialen Netzwerken aufgewachsen. Ihre reale und emotionale Welt ist davon geprägt. Die Fähigkeit zur menschlichen Nähe, wie etwa der Blick in die Augen, ist ziemlich unterentwickelt.
Die Folgen sind fatal:
Viele unverbindliche und äusserliche Kontakte mit vielen Personen. Doch niemand bringt damit eine echte menschliche, soziale Bindung. Vordergründigkeiten werden die Norm.
Zuneigung, persönliche Nähe und Intimität können dabei nicht entstehen. Stattdessen blüht die Einsamkeit.
Sie ist die grosse menschliche Krise dieses Jahrhunderts; es ist das einsamste, das es je gab.
Sie wurde verstärkt durch die aktuellen Corona-Massnahmen - Home Office, Isolation und Eingeschlossen-Sein.
Das Handy übt eine Macht aus, die alle beherrscht:
Alle starren drauf, sogar bei Gesprächen schaut man drauf und vermeidet so eine volle Gefühlwelt.
Freunde und Paare fühlen sich weniger verbunden, solange ein Handy in Sichtweite ist.
Gesteuert wird alles durch Internet-Riesen wie etwa Google, sie sind mächtiger als die Tabak-Riesen des letzten Jahrhunderts.
Kann man dagegen etwas tun?
Wahrscheinlich kaum, denn der Einzelne geht in den Zwängen der Masse unter.
Regierungen sind gefragt, doch welcher Bundesrat würde es wagen, dagegen vorzugehen? Ein Shitstorm der gewaltigen Art würde ihn zermalmen.
Erste Schritte sind vorhanden: Grossbritannien hat eine Ministerin gegen Einsamkeit und China hat gerade Handys in Schulen verboten.
Psychologen empfehlen einen Verzicht in kleinen Schritten:
erst eine Viertelstunde ohne Handy, dann die Zeit verlängern
strikte Massnahmen in Schulen und Unternehmen
freiwilliger Verzicht in Gruppen und bei Freunden und Paaren.
Selbstdisziplin ist der Schlüssel zur Reduktion – man braucht aber davon mehr als beim Verzicht aufs Rauchen.
Und wer es dann tatsächlich ein Stück weit schafft, von diesem teuflischen Gerät wegzukommen, wird vielleicht erschrecken: Es warten echte zwischenmenschliche Beziehungen, soziale Fähigkeiten folgen automatisch und dann – oh Schreck! – ist die Einsamkeit weniger geworden und das Wohlbefinden gesteigert.
Der Weg dorthin ist vielleicht dornig, aber er wird sich lohnen.
Wolf Buchinger (*1943) studierte an der Universität Saarbrücken Germanistik und Geografie. Er arbeitete 25 Jahre als Sekundarlehrer in St. Gallen und im Pestalozzidorf Trogen. Seit 1994 ist er als Coach und Kommunikationstrainer im Management tätig. Sein literarisches Werk umfasst Kurzgeschichten, Gedichte, Romane, Fachbücher und Theaterstücke. Er wohnt in Erlen (TG).
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