Die Corona-Krise geht in die 7. Woche. Wir empfehlen den Behörden und Entscheidungsträgern heute eine unorthodoxe Massnahme: Bettruhe. Und erklären warum.
Bevor wir in die Tiefen der Probleme gehen, kurz eine Bemerkung zum Entstehen unserer Kolumnen. Vor jeder Veröffentlichung kommen die meist heftige Diskussionen und der erste Entwurf. Problematisch ist es, wenn wir beide unterschiedliche Positionen einnehmen. Durch weiteren Austausch kommen wir dann zum neuen Text. In unserem Fall besteht kaum ein Termindruck. Ganz im Gegenteil zu unseren Krisenmanagern beim Bund.
Wir gehen also in die Woche 7 seit dem Lockdown, und kommende Woche werden die ersten Lockerungen greifen. Die letzten Wochen haben schon gezeigt: Die Qualität eines Krisenmanagements zeigt sich selten ganz zu Beginn. Als die Krise neu und frisch war, fiel es den Krisenmanagerinnen und -managern gerade beim Bund noch leicht, Entscheidungen zu fällen und Massnahmen zu setzen. Und fairerweise muss man sagen: sie scheinen einiges richtig gemacht zu haben. Die Worst-Case-Szenarien sind nie eingetroffen. Dass es später sowieso Kritik geben würde, hatten wir schon in unserer ersten Kolumne vorausgesagt.
Die Herausforderungen lauern nun aber in der zunehmenden Zeitdauer einer Krise. Wir haben auch früher an dieser Stelle schon kritisiert, dass Bund und Kantone aus den grossangelegten Pandemie-Übungen vor sechs Jahren zwar die nötigen Schlüsse gezogen hatten, aber die Schwachstellen, die sich offenbart hatten, von den Damen und Herren Beamten und Magistraten auf Bundes- wie auf Kantonsebene jahrelang nicht korrigiert oder ignoriert worden sind.
Immerhin aber wurde und wird der Ausbruch von Krisen immer wieder geübt. Nur: Solche Übungen dauern, aus nachvollziehbaren Gründen, in der Regel einige Stunden, eine grosse Bundesübung vielleicht drei bis vier Tage. Und natürlich hat nie jemand über sieben Woche eine Krisenübung durchgeführt. Mit anderen Worten: Wir befinden uns unterdessen in einer Phase der Krise, die noch nie jemand der Entscheidungsträger geübt oder in früheren Situationen selbst erlebt hat. Nicht einmal in der Armee werden siebenwöchige Stabsübungen veranstaltet. Was kein Vorwurf sein soll – wer könnte schon so lange üben?
Gleichwohl zeigen sich die Konsequenzen zeigen jetzt. Aus der Forschung weiss man, dass das Fällen von Entscheiden für das menschliche Hirn eine sehr anstrengende und sehr energieintensive Arbeit ist. Einige der Protagonisten dieser Krise erscheinen seit Wochen im Dauereinsatz, das Bonmot, dass viele Schweizer Daniel Koch gegenwärtig häufiger sehen als ihre nächsten Angehörigen, spricht Bände. Oder dass Berset in Interviews erzählt, er habe seine Familie seit Wochen nicht mehr gesehen. Wir erinnern uns mit einem Anflug von Verständnis an den ehemaligen BP-Vorsitzenden Tony Hayward, der nach x Wochen Brent Spar Krise fand, er wolle sein altes Leben zurück. Was ihm als Quittung einen Shitstorm sondergleichen eintrug.
Ein guter Krisenstab weiss um die Problematik der Ermüdung und sorgt vor. Die Kaderausbildung der Armee lehrt, dass ein Kommandant nach der Befehlsausgabe ruhen soll. Und dann fit zu sein, wenn die nächste Runde an Entscheidungen ansteht. Ablösepläne zu erstellen ist eine der ersten Aufgaben im Krisenmanagement. Moderne Krisenmanager wissen, dass es gerade nicht von Professionalität und Qualität zeugt, pausenlos im Einsatz zu sein. Und dies gilt natürlich auch für Unternehmen und für staatliche Stellen. Oder sich der Bundesrat dessen bewusst ist?
Zweifel sind angebracht. Sowohl das Krisenmanagement wie die Krisenkommunikation haben nachgelassen. Die Entscheidungsträger und Krisenmanager wirken müde und ausgelaugt. Fehler im Krisenmanagement häufen sich. Die Folge sind Entscheide, die auf die lange Bank geschoben werden: Die Gastronomen wollen genauso dringend eine Aussage hören, wie und wann es weitergehen soll wie die grossen Festivalveranstalter, die jetzt rasch wissen müssen, ob eine Chance zur Durchführung ihrer Grossveranstaltungen besteht oder nicht. – Wir vermuten nicht. Aber dann gehört das auch kommuniziert – und nicht vertagt. Verständlich auch, dass die Coiffeure nach Führung dürsten und Mitte der letzten Woche anmahnten, sie wollten endlich eine klare Ansage, welche Vorsichtsmassnahmen sie zu treffen hätten.
Und wenn Entscheide kommen, dann waren sie zuletzt teilweise völlig schräg und unausgegoren. Die Senkung der Radio- und Fernsehgebühren war eine Lachnummer (und eine absolut unnötige Anbiederung ans staatliche Medium). Kaum vermittelbar bleibt, warum ausgerechnet Massagesalons und Tattoo-Studios mit unter den Ersten wieder offen sein sollen, wo sich dort doch Menschen sehr nahe kommen. Und gleichzeitig die Selbstbedienungs-Autowaschanlage, das Reisebüro und der Sportplatz geschlossen bleiben müssen. Auch den Entscheid des Bundesrates, grossen Einkaufszentren die Wiedereröffnung des vollen Sortiments zu gestatten, kleinen Läden aber nicht, versteht im ganzen Lande kaum jemand. Vor allem im Rheintal hat man solche Entschiede mit Kopfschütteln quittiert. Auf der einen Seite des Rheins ist alles offen und bei uns alles immer noch geschlossen.
Der Bund hatte beim Lockdown noch völlig zurecht darauf hingewiesen, Massnahmen brächten nur dann Erfolg, wenn sie dem Publikum auch verständlich gemacht werden können. Genau dafür braucht es erfahrene Krisenkommunikationsspezialisten. Es ist ihre Aufgabe, die Stimmungslage im öffentlichen Raum zu beobachten und im Krisenstabsprozess darauf hinzuweisen, wenn Massnahmen beschlossen werden sollen, die nicht stringent sind und/oder absehbar auf Widerstand stossen werden. Es scheint, dass diese kritische Überprüfung zurzeit nicht mehr stattfindet.
Der Bundesrat hat letzte Woche nun zwar nachkorrigiert. Dass er die drohende Wettbewerbsverzerrung aber erst auf eine massive Welle der Kritik hin erkannt hat, spricht für unsere These: In den Häuptern unserer Häuptlinge herrscht Müdigkeit. Deshalb empfehlen wir: Schlaft wieder mal ein Wochenende durch, da oben in Bern. Lasst Euch nicht durch die Zahlengeilheit der Medien drängen (ihr habt ja die Informationshoheit) und kommt wieder zu Kräften. Vielleicht findet Ihr dann wieder zur Leadership zurück.
Roger Huber (1964) und Patrick Senn (1969) sind ehemalige Ostschweizer Journalisten, die lange Jahre bei nationalen Medientiteln gearbeitet haben. Heute unterstützen Sie Organisationen und Führungskräfte in der Krisenkommunikation und sind Gründungsmitglieder des Verbandes für Krisenkommunikation vkk.
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