Was hat das Jahr 2022 ausgezeichnet? Was machte es für verschiedene Persönlichkeiten unvergesslich? Und wie wird der Übergang ins 2023 gefeiert? Heute im Interview: Artur Terekhov (*1994), selbstständiger Rechtsvertreter und Anwaltssubstitut; Präsident Kantonszürcher Notrechtsinitiative.
Gibt es einen privaten oder geschäftlichen Moment, der das Jahr 2022 unvergesslich macht?
Ranglisten und Superlative sind schwierig, wenn man seine geschäftliche Tätigkeit meistens liebt. Dennoch aber zwei Beispielfälle: In meiner Einzelfirma habe ich einen Pilotprozess, bei welchem sich vertragsrechtliche Grundsatzfragen stellen, nämlich, ob staatliche Kinderhorte bzw. Fremdbetreuungsstätten mit Blick auf Art. 404 OR überhaupt Kündigungsfristen vorsehen dürfen. Die Erstinstanz, der Bezirksrat Horgen, hatte aber offenbar keine Lust auf den Fall und fällte einen formellen Nichteintretensentscheid. Grund: Ich hätte nicht im Namen des hortbesuchenden Kindes Rechtsmittel ergreifen müssen, sondern in jenem der Eltern, welche die Hortbeiträge bezahlen. Das Kind sei gar nicht direktbetroffen vom Hortvertrag. Das Verwaltungsgericht Zürich hiess meine Beschwerde dagegen mit deutlichen Worten gut und rügte die Vorinstanz für etwas, was zum Glück nicht täglich vorkommt: nämlich überspitzten Formalismus (Urteil VB.2022.00263 des VGer ZH). Der Fall geht nun wieder in erster Instanz weiter… Und im Rahmen meiner Teilzeitanstellung in einer Zürcher Kanzlei durfte ich infolge meiner Kenntnisse des RTVG rund 90% aller Rechtsschriften im bundesgerichtlichen Beschwerdeverfahren betreffend SRF-Kommentarlöschungspraxis verfassen. Mit Erfolg: Am 29. November fällte das Bundesgericht an seiner öffentlichen Beratung ein Grundsatzurteil und hiess unsere Beschwerde mit deutlichem 4:1 Stimmenverhältnis gut. Ab sofort sind nun Ombudsstelle und UBI also auch zur Überprüfung der Löschung von Leserkommentaren durch die SRF-Onlineredaktion zuständig, um Quasi-Zensur durch den Staatssender zu vermeiden (BGer 2C_1023/2021). Als einstiger NoBillag-Initiant einen Case gegen die SRG zu gewinnen, lässt mein minimalstaatliches Herz höher schlagen. Ach ja, und privat war ich froh, konnte ich ohne Covid-Massenpsychose wieder Kurztrips mit der Hotelcard machen. Man soll ja mit wenig zufrieden sein.
Unter welchem Motto oder Schlagwort würden Sie das vergangene Jahr «archivieren»?
Um einen UDSSR-Vergleich zu machen, welcher angesichts des autoritärstaatlichen Covid-Notrechts vollauf angebracht ist: Irgendwo zwischen Tauwetter und Glasnost. Wie die Scorpions mit Anlehnung an den kaum aufhaltbaren Fall des Eisernen Vorhangs vom „Wind of Change“ gesungen haben, war bei uns auch dieses Jahr zumindest teilweise ein Umdenken zu spüren. Die Covid-Massnahmen entfielen, nachdem mit Omikron just bei Geimpften die Infektionsraten durch die Decke geschossen sind. Und langsam aber sicher dämmert auch einigen, dass die sonderbare Zunahme von „plötzlich und unerwartet“-Todesfällen kaum mit nichts zu tun haben kann. Die Strafanzeige gegen Swissmedic wie auch der Umstand, dass sogar ein renommierter Banker Bundesrat Berset für eventualvorsätzliche Falschaussagen im Zusammenhang mit dem fehlenden Schutz der Covid-Impfung vor Drittansteckung angezeigt hat, verdeutlichen beispielhaft, dass das gleichgeschaltete Narrativ der letzten beiden Jahre langsam aber sicher nicht mehr aufrechterhalten werden kann. Interessant ist dies auch und gerade im Zusammenhang mit der juristischen Aufarbeitung des Covid-Schlamassels, wo wir noch gespannt auf einige Urteile sein dürfen.
Wie stark orientieren Sie sich an Eckpunkten wie dem Jahreswechsel? Ziehen Sie dann jeweils ein Fazit? Geht etwas zu Ende? Oder ist es einfach nur eine Zahl von 365?
Weil die grosse Mehrheit der Menschen sich um die Weihnachtstage mit anderem beschäftigt, als sich um die eigenen Rechtsstreitigkeiten zu kümmern, wird es um den Jahreswechsel jeweils auch für mich ruhiger. Daher nutze ich jene Zeit tatsächlich für „slow down“, Erholung – und auch einen geistigen Rück- und Ausblick, denn natürlich sollen weder Freude am Erreichten noch ein strategischer Blick auf künftige Ziele zu kurz kommen.
Welches ist Ihre frühste Erinnerung, die Sie an die Weihnachtszeit haben?
Das lässt sich kaum genau sagen. Aber seit Kindheit esse ich in jener Zeit gerne Mandarinen und Lebkuchen.
Haben Sie bestimmte Rituale, die Ihnen noch heute wichtig sind?
Egal wie stressig es in der Weihnachtszeit ist: Zeit für die Herstellung meiner selbstgemachten Fudges bzw. Pralinen muss bleiben.
Was stört Sie an dieser Zeit?
An der Weihnachtszeit: überfüllte Läden, teils wenig ökologische Geschenkverpackungen (Papier oder Karton sollte auch reichen, wenn man nicht grün wählt) und heuchlerische Pseudonettigkeit gewisser Menschen. Und ganz allgemein: Die Hypersensibilität vieler Leute und das „Sich-verletzt-Fühlen“ durch angebliche politische Inkorrektheit. Als ob das Leben ein Ponyhof wäre. Wer mit Freiheit, Eigenverantwortung und Individualismus überfordert ist (Denken könnte ja noch anstrengend sein), braucht sich nicht zu wundern, wenn angesichts des teils extensiven Jammerns über First-World-Problems (selbstverschuldete) psychische Probleme zunehmen. Interessant ist denn in diesem Kontext, wie viele Leute Lösungen für angebliche oder tatsächliche Probleme vom Staat fordern, und wie viele dann selber (nicht) bereit sind, sich auf privater Basis für etwas einzusetzen…
Welches Musikstück löst bei Ihnen die richtige Weihnachtstimmung aus?
„Merry Christmas Everyone“ von Shakin‘ Stevens.
Und welches kulinarische Erlebnis?
Da gibt es einige Möglichkeiten; es muss aber hausgemacht bzw. selbst zubereitet sein.
Wann haben Sie in der Regel die letzten Geschenke beisammen?
Von Jahr zu Jahr unterschiedlich.
Wie viele Male haben Sie schon den Klassiker «Dinner for One» geschaut?
Das war vermutlich noch in der Jugendzeit.
Und an Silvester um 00.00 Uhr trifft man Sie wo an?
In irgendeinem Privathaushalt mit Freunden – übrigens schon ante Corona.
Marcel Baumgartner (*1979) ist Chefredaktor von «Die Ostschweiz».
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