Oder macht es krank? Das «Tagblatt» wartet mit einer erschütternden Krankengeschichte auf: «Schockierte Patientin erhebt schwere Coronavorwürfe». Nur schrumpfen die schnell auf Virusgrösse.
Im steten Bemühen, möglichst objektiv und alle Aspekte berücksichtigend über die Pandemie zu berichten, legt das «Tagblatt» vor.
Da gibt es eine «schockierte Patientin», die «die Welt nicht mehr» verstehe. Trotz Schockzustand war sie aber in der Lage, dem «Tagblatt» die Ursachen zu erläutern.
Sie musste zwecks stationärer Behandlung ins Kantonsspital St. Gallen (KSSG) einrücken. Schon im vorangehenden Papierkrieg war ihr aufgefallen: «Erstaunlicherweise war da kaum von Covid die Rede.» Daher habe sie nachgefragt, ob sie mit einer geimpften Person das Zimmer teilen werde – oder nicht.
Schockierende Auskunft: Das könne das Spital nicht garantieren, weil es über den Impfzustand aller Patienten nicht orientiert sei. Zudem stünde einer solchen Auskunft der Datenschutz entgegen. Und schliesslich mache das KSSG keine routinemässigen Tests bei jedem Neueintritt, sondern nur, wenn «starke Symptome» vorlägen.
Wie es das ungnädige Schicksal wollte, lag die nach eigenen Angaben «Hochrisikopatientin» die erste Nacht noch alleine im Zimmer. Aber nach dem Eingriff sei’s dann passiert. Sie bekam eine Zimmernachbarin und als sie die fragte, wie es um deren Impfzustand bestellt sei, habe sie zur Antwort bekommen, dass die nicht geimpft sei: schlimmer noch, sie habe gesagt: «Corona? Gibt es nicht. Alles eine Erfindung der Regierung.»
Die Höchststrafe. Risikopatientin, offenbar geimpft, muss Zimmer mit einer Coronaleugnerin, ungeimpft, teilen. Das «Tagblatt» schreibt mit Mitgefühl: «Sie habe sich dann mit einer Maske so gut es ging zu schützen versucht, erzählt sie weiter – «das Zimmer zu lüften geht bei diesen Wintertemperaturen nicht». Als Patientin finde sie das Verhalten des Kantonsspitals «fahrlässig».»
Bis hierher ist es eine perfekte Story, um die Notwendigkeit eines Ja fürs verschärfte Covid-19-Gesetz am 28. November zu illustrieren. Gefährdete Menschen, bescheuerte Impfgegner und dann erst noch ein fahrlässiges Spital. Sauerei. Was hat denn das KSSG zur Verteidigung vorzubringen?
Symptomatische Patienten würden getestet; «es gibt aber keine nationale Vorgabe für ein flächendeckendes Screening asymptomatischer Patienten beim Spitaleintritt, weshalb dies von den Spitälern unterschiedlich gehandhabt wird».
Zudem seien die allgemeinen Hygienemassnahmen in Spitälern so gut, «dass eine Übertragung innerhalb eines Spitals sehr selten sei – «unabhängig davon, ob ein Spital ein flächendeckendes Screening durchführt oder nicht».»
Man merkt deutlich, dass diese Auskunft dem Autor des Artikels überhaupt nicht gefällt. Also zitiert er den CEO einer Privatklinik, dass dort selbstverständlich flächendeckend getestet werde. Um zurück ins Allgemeine zu gelangen, wird nun einem Vertreter der Schweizerischen Patientenorganisation (SPO) das Wort erteilt. An den hatte sich auch schon die schockierte Patientin gewandt.
Blöd aber auch: «Die Aussagen in der Antwort» des Spitals, «dass zum Beispiel eine Massnahme nur im Rahmen des ganzen Schutzkonzeptes gesehen werden darf und dass wissenschaftliche Belege für eine Verhinderung von Ansteckungen durch Routinetestungen bei Eintritt fehlen», sind für Sprecher der SPO «nachvollziehbar»».
Auch «der Verband der Schweizer Spitalhygieniker Swissnoso» eignet sich leider nicht als Unterstützer; er bleibe «vage», empfehle lediglich, «bei mittleren und hohen Fallzahlen in der Umgebung des Spitals Testungen bei Spitalaufnahme in Betracht zu ziehen».
Wir fassen kurz zusammen. Im Titel und im ersten Teil des Artikels kommt eine «schockierte Hochrisikopatientin» ausführlich zu Wort und erhebe «schwere Vorwürfe». Sie sei sozusagen fahrlässig der Gefahr ausgesetzt worden, sich mit Corona zu infizieren, da man ihr eine ungeimpfte Coronaleugnerin ins Zimmer gelegt habe. Nur mit eigenen Mitteln wie dem konsequenten Tragen einer Maske habe sie das Schlimmste verhüten können.
Aber im zweiten Teil des Artikels schrumpft all das dann auf Virusgrösse zusammen. Datenschutz verhindert Auskünfte über den Impfzustand. Da es keinerlei Evidenz für den Zusammenhang zwischen Flächentests von Patienten und Coronafällen im Spital gibt, wird im KSSG nicht prinzipiell getestet. Das ist auch nicht vorgeschrieben. Die SPO und andere Fachorganisationen halten das für durchaus nachvollziehbar.
Nur steht das zwar im Artikel, aber nicht im Titel und in der Einleitung. Also zuerst skandalisieren, dann Entwarnung geben.
Was auch nicht im Artikel steht: Wenn die schockierte Patientin selbst geimpft ist, wieso fürchtet sie dann eine Ansteckung? Genau davor soll doch die Impfung schützen. Was auch nicht im Artikel steht: Da sich diese Patientin garantiert nach dem Spitalaufenthalt testen liess, was war das Resultat? Schwer zu vermuten ist: negativ auf Covid-19. Aber solche Details hätten der Story ja noch die letzte Berechtigung entzogen.
Solche aufgeblasene Nicht-Storys braucht es, um immer wieder Wasser auf die Mühlen der Befürworter des verschärften Covid-Gesetzes zu lenken. Wobei der Artikel – die letzte Ungenauigkeit – offen lässt, ob bei Annahme des Gesetzes solche Zwangstests eingeführt würden – und ob der Datenschutz aufgehoben wird und jeder Patient erfahren dürfte, wer von den Mitpatienten oder dem Personal geimpft ist oder nicht.
So geht Kampagnenjournalismus. So geht Einäugigkeit. So geht Parteilichkeit. So geht mangelnde Ausgewogenheit. So geht das Vertrauen in journalistische Qualität des «Tagblatt» – verloren.
«Die Ostschweiz» ist die grösste unabhängige Meinungsplattform der Kantone SG, TG, AR und AI mit monatlich rund einer halben Million Leserinnen und Lesern. Die Publikation ging im April 2018 online und ist im Besitz der Ostschweizer Medien AG.
Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.