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Bundesregeln vs. Hausregeln

Kein Taggeld wegen fehlender Maske?

Wer in der Schweiz eine Maskendispens vorweisen kann, darf auch ohne Maske öffentliche Gebäude betreten. Das hat der Bundesrat festgehalten. Aber was ist alles öffentlich? Und können sich Institutionen mit ihren eigenen Regeln darüber hinwegsetzen? 

Nadine Linder am 10. Mai 2021

Kim Nguyen ist 39 Jahre alt, lebt in St. Gallen und ist von Beruf gelernte Wellness-Masseurin. In Uitikon führt sie unter dem Namen «SPARADISE» ihre kleine GmbH.

Wegen eines Überbeins an der Hand, einem sogenannten Ganglion, ist Kim Nguyen seit dem 27. Oktober 2020 krankgeschrieben. Dies wurde nach umfassenden Untersuchungen durch ihren Hausarzt und dem Zentrum für Handchirurgie der Uniklinik Balgrist so entschieden. «Nach der obligaten Wartefrist von 30 Tagen erhielt ich meinen Lohnausfall durch die Krankentaggeldversicherung», so die Unternehmerin.

Im März 2021 ordnete die Krankentaggeldversicherung ein zusätzliches medizinisches Gutachten Kim Nguyens an. Dies sollte durch das «Swiss Medical Assement and Business Center», kurz SMAB AG in St. Gallen, durchgeführt werden, die im versicherungsmedizinischen Gebiet tätig ist. Die SMAB AG führt Gutachten, Verlaufsbeurteilungen sowie Aktengutachten für Auftraggeber im öffentlichen und privaten Versicherungsumfeld durch.

Die Wellness-Masseurin erhielt per Post ein Aufgebot der SMAB AG für einen ersten Termin am 22. März 2021, der ihr dann aber verweigert wurde. Aus einem für die 39-jährige völlig absurden Grund. «Unabhängig meiner gesundheitlichen Probleme mit der Hand kann ich keine Maske tragen. Ich verfüge deshalb durch meinen Arzt über eine offizielle Maskendispens.»

Wie angeordnet erschien die 39-Jährige am 22. März 2021 bei der SMAG AG in St. Gallen. Ihr wurde das Betreten des Gebäudes ohne Maske aber durch deren Mitarbeiter strikte untersagt.

«Dem Aufgebot habe ich Folge geleistet, jedoch hat mich die SMAB AG ohne Maske nicht ins Gebäude hineingelassen, obwohl ich meine medizinische Maskendispens sogar vollständig gezeigt habe. In Absprache mit der Krankentaggeldversicherung hat dies die SMAB AG sogar schriftlich bestätigt.»

Für den 27. April 2021 erhielt Kim Nguyen ein zweites Aufgebot der SMAB AG. Auch zu diesem erschien sie und durfte den Termin ohne Maske aber nicht wahrnehmen. «Ich wurde ein zweites Mal sehr unfreundlich und in aggressiver Weise aus den Räumlichkeiten verwiesen.»

Die Hausregel der SMAB AG besagt, dass trotz Maskendispens niemand das Gebäude betreten darf und stellt sich somit über die Bundesregel. Der Wellness-Masseurin wurde dies damit begründet. «Ein Arzt der SMAG AG sagte mir, dass es in der Schweiz kein solches Attest gäbe. Daraufhin hat mir eine andere Mitarbeiterin gedroht, dass es ohne Maske kein Geld von der Versicherung gäbe.»

Was danach passierte, ist für Kim Nguyen bis heute unglaublich. «Ein Arzt lief auf mich zu, schrie aggressiv, dass ich gehen müsse, und als er mich wegschubsen wollte, habe ich ihn klar und bestimmt aufgefordert, mich nicht anzufassen und habe das Gebäude verlassen.» Dabei wollte die Wellness-Masseurin von der SMAG AG nichts anderes als eine weitere schriftliche Bestätigung, dass sie den Termin wie aufgefordert wahrnehmen wollte.

Ein Gespräch zwischen den Parteien war aber nicht mehr möglich und so rief die SMAG AG die Stadtpolizei St. Gallen hinzu. Auch diese stellte sich wegen fehlender Maske auf die Seite der SMAG AG, obwohl Kim Nguyen auch der Polizei das Attest vollständig zeigte.

«Die Polizei hat mich aufgefordert, dass ich mich beim Personal der SMAB AG entschuldige und mit einer Maske dort eintrete. Dies habe ich abgelehnt.»

Obwohl der Hausarzt Kim Nguyens ihre Arbeitsunfähigkeit weiter bestätigt, wurden die Zahlungen der Krankentaggeldversicherung per Ende März eingestellt - mit der Begründung, dass sie ihren Pflichten nicht nachgekommen sei.

Die Wellness-Masseurin teilte der Krankentaggeld-Versicherung nochmals schriftlich mit, dass sie zu beiden Terminen wie aufgefordert erschienen ist und sich jederzeit durch einen Vertrauensarzt untersuchen lasse. «Trotzdem verweigert mir die Krankentaggeldversicherung jeden weiteren Dialog und hat mir schriftlich mitgeteilt, dass mir ja der Rechtsweg offenstehe. Diesen habe ich inzwischen auch wahrgenommen. Daraus entstehen mir leider zusätzliche hohe Kosten. Wenn meine GmbH keine Versicherungsleistungen mehr erhält, ist dies für meinen kleinen Betrieb sehr herausfordernd.»

Trotzdem möchte die 39-Jährige standhaft bleiben und besteht auf ihr medizinisches Maskenattest. «Was kommt sonst als nächstes? Kein Eintritt in öffentliche Gebäude ohne Test? Oder kein Eintritt ohne Impfung?»

Wie es für Kim Nguyen weitergeht, ist zurzeit noch offen.

Peter Brechbühler, Präsident des Verwaltungsrats SMAB AG St. Gallen, hat auf Anfrage von «Die Ostschweiz» Stellung genommen. Dass der Bundesrat gestützt auf die Beurteilung des Bundesamts für Gesundheit ausdrücklich eine Maskendispens bei Vorlage eines medizinischen Gutachtens vorsieht, sei dem Unternehmen «selbstverständlich bekannt», so Brechbühler. «Wir legen Wert auf die Feststellung, das bei uns selbstverständlich niemand diskriminiert wird. Ebensowenig missachten wir bundes- oder kantonalrechtliche Vorgaben.»

Man habe vielmehr in Befolgung dieser öffentlich-rechtlichen Vorschriften ein adäquates Schutzkonzept entwickelt, das man konsequent umsetze. «Dies sowohl zum Schutze unserer Gutachterinnen und Gutachter, unserer weiteren Mitarbeitenden sowie auch sämtlicher Explorandinnen und Exploranden, welche unsere Räumlichkeiten besuchen.»

Zum konkreten Fall sagt der Verwaltungsratspräsident: «Vorliegend hatte sich die Explorandin auf einen ärztlichen Dispens von der Maskentragpflicht berufen. Auf die höfliche Aufforderung, das entsprechende ärztliche Attest vorzuzeigen, hat sie sich jedoch kategorisch geweigert, dies zu tun. Dies war und ist für uns nicht nachvollziehbar. Dessen ungeachtet haben wir der Explorandin angeboten, ein Schutzschild aus Plexiglas zu verwenden. Auch dies hat sie verweigert.» Die Behauptung, ein Arzt habe gesagt, es gebe in der Schweiz kein Attest zur Maskenbefreiung, werde mit entschieden zurückgewiesen: «Keiner unserer Ärzte oder anderen Mitarbeitenden hat je eine solche Aussage getätigt.»

Die Frage ist nun: Ist es verhältnismässig, dass als direkte Konsequenz für die erwähnte Frau keine Krankentaggelder fliessen, weil sie sich weigerte, eine Maske zu tragen? Peter Brechbühler dazu: «Auch von Personen, die einen Anspruch auf Krankentaggelder geltend machen möchten, darf grundsätzlich die Beachtung einschlägiger COVID-19-Schutzkonzepte verlangt werden. Dies namentlich auch deshalb, weil es nicht nur um deren eigenen Schutz geht, sondern auch um den Schutz von Drittpersonen.» Das Verlangen nach Vorlage eines ärztlichen Attests hinsichtlich eines Dispenses von der Maskentragpflicht sei angemessen und keinesfalls unverhältnismässig. «Wir vermögen darin auch keinen unzulässigen Eingriff in die persönliche Freiheit zu erkennen. Gleiches gilt für unser Angebot, anstelle einer Maske ein Schutzschild aus Plexiglas zu verwenden.»

Es ist ein klassischer Fall: Wer sagt die Wahrheit? Die betroffene Frau sagt, sie habe ihr Attest gezeigt, obschon man nicht verpflichtet ist, dieses Privatpersonen zu zeigen. Die SMAB stellt sich auf den Standpunkt, das sei nicht der Fall gewesen. Wobei sich die Frage stellt: Weshalb sollte jemand, der sich eigens ein Attest zur Maskenbefreiung ausstellen lassen, dieses in einem für sie so wichtigen Fall nicht vorzeigen?

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Autor/in
Nadine Linder

Nadine Linder war Redaktorin von «Die Ostschweiz».

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