Alle Ständeratskandidaten präsentieren sich derzeit quer durch den Kanton St.Gallen. Alle? Nicht ganz. Von den sieben Anwärtern erhalten meist nur vier die Gelegenheit, an Podien aufzutreten. Auf der Strecke bleiben Parteilose. Und die sind nicht begeistert.
Die Situation ist klar: Es gibt einen Sitz im Ständerat zu besetzen - den von Karin Keller-Sutter -, und fünf Männer und zwei Frauen wollen ihn holen.
Parteien, Verbände, vor allem aber Medienhäuser veranstalten rund um die Wahl Podien, beispielsweise am Dienstag, 19. Februar das «St.Galler Tagblatt» im Pfalzkeller in St.Gallen. Auch im Rheintal und im Toggenburg fanden sie bereits statt.
Allerdings: Dort treffen nie alle sieben Kandidatinnen und Kandidaten aufeinander. Denn die Veranstalter von Podiumsdiskussionen treffen eine Vorauswahl - mit ihren ganz eigenen Gesetzen.
Die Vorauswahl ist einfach: Wer offiziell von einer Partei nominiert wurde, kann auftreten. Parteilose Kandidaten - und davon gibt es dieses Mal gleich drei - erhalten diese Chance nicht.
Dass sich dieses Bild quer durch den Kanton zeigt, ist kaum ein Zufall. Offensichtlich gibt es eine Art Absprache zwischen den Verlagshäusern, die Angelegenheit einheitlich zu behandeln, wie verschiedene Seiten bestätigen.
Die offizielle Begründung: Ein Podium mit sieben Personen sei kaum zu bewältigen.
Der Einwand ist nicht unberechtigt. Um das Publikum nicht zu überfordern, sind 90 Minuten für eine Debatte wohl die obere Grenze, und bei sieben Kandidaten bleibt da dem Einzelnen nicht mehr viel Redezeit. Das liesse sich allenfalls lösen mit einem Abend in kleinen Gruppen mit wechselnder Besetzung, wie es das früher auch schon gab. Aber nun ist das offenbar nicht gewünscht.
Die Frage bleibt aber ohnehin die nach den Kriterien: Warum sollen Parteienvertreter mehr Gewicht erhalten als solche ohne Partei im Rücken? Sämtliche eingegebenen Kandidaturen haben rein staatspolitisch genau gleich viel Gewicht. Und soweit von aussen erkennbar, nehmen alle Kandidatinnen und Kandidaten die Sache gleichermassen ernst. Der grösste Unterschied liegt wohl in den Wahlbudgets.
Hinter vorgehaltener Hand begründen Podienveranstalter ihre Auswahl mit den «Wahlchancen». Irgendjemand beurteilt also vorab, wer überhaupt Aussichten auf eine Wahl hat und lässt dann nur diese zum Zug kommen. Was schnell zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung führen kann, indem die grössere Präsenz auch wirklich die Wahlchancen erhöht.
Dazu kommt: Dem Kandidat der Grünen beispielsweise wird von kaum jemandem eine echte Chance auf eine Wahl attestiert. In seinem Fall zieht also nur das Argument: Nominiert durch eine Partei.
Die betroffenen Parteilosen reagieren unterschiedlich auf diesen faktischen Ausschluss. Aber begeistert ist keiner von ihnen.
Der parteilose Ständeratskandidat Alex Pfister empfindet die Sache «nicht als Weltuntergang, aber unschön». Nicht nur für sich selbst als Anwärter, sondern vor allem für das Wahlvolk. «Ich war am Podium in Widnau und habe am nächsten Tag den Talk der Kandidaten auf TVO verfolgt», so Pfister, «und die Inhalte waren praktisch deckungsgleich.» Die parteilosen Kandidaten hätten hier für mehr Spannung gesorgt und andere Themen eingebracht, ist er überzeugt.
Pfisters Beobachtung ist nachvollziehbar. Die Themen sind an den meisten Podien und Talks dieselben, und die vier Kandidaten wissen mittlerweile, was die drei anderen sagen - und wie sie reagieren müssen. Das Ergebnis ist ein sich wiederholender Aufguss.
Pfister bringt einen weiteren Punkt ein: «93 Prozent der Schweizer sind in keiner Partei, nur gerade sieben Prozent haben ein Parteibuch.» Die Entscheidung, nur von Parteien nominierte Kandidaten auftreten zu lassen, sei auch so gesehen willkürlich und bilde die wahren Verhältnisse nicht ab.
Auch Andreas Graf von den Parteifreien findet es schade, dass kritischere Stimmen so nicht eingebunden würden. Die Begründung, es sei organisatorisch schwierig, mit sieben Personen ein Podium durchzuführen, ist für ihn nicht haltbar. «Ein Podium darf auch zwei Stunden dauern, dann erhält jeder genügend Redezeit.»
Auf Facebook nervt sich auch die parteilose Kandidatin Sarah Bösch über das Prozedere. Berufliche Qualifikationen seien offenbar kein Kriterium, stattdessen nur «Partei-Hierarchien», schreibt sie. Sie spricht von einer «Irreführung der Bevölkerung und Diskriminieren einzelner Kandidaten.» An Podien werde die FDP-Kandidatin quasi als einzige Frau verkauft (was sie in der Vierrunde natürlich auch ist), obwohl zwei Frauen antreten.
Eine «Wiedergutmachung» der Medienhäuser an die nicht Berücksichtigten besteht meist darin, dass diese in der Zeitung eine Plattform geboten erhalten. Was natürlich in der Wirkung nicht dasselbe ist wie ein Auftritt an einem Podium. Denn die Medien führen dieses nicht nur durch, sondern berichten danach auch darüber - online und gedruckt.
Ein mehrfacher Vorteil also für die Kandidaten mit Parteibuch.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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