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Huber & Senn

Krisen machen keine Ferien oder «Gouverner, c’est prévoir»

Wir halten als Berater für Krisenkommunikation nicht allzu viel von Theorien. Ganz einfach deshalb, weil Theorien in der Praxis meistens wenig helfen. Die Theorie kennt beispielsweise verschiedene Krisen-Muster.

Huber & Senn am 08. August 2020

Die Adhoc-Krise (Beispiel dieser Woche: Beirut), die anschwellende Krise, die sich langsam ankündigt, bis sie vollends eskaliert (Lehrbuch-Beispiel: Die Swissair-Krise) und an-/abschwellende Krisen. Sie eskalieren, treten dann in eine ruhigere Phase, bevor sie erneut eskalieren. Eines der Probleme, gerade bei dieser letzteren Kategorie: Man glaubt die letzte Eskalation überwunden zu haben und läuft dann Gefahr, dass noch einmal eine Welle kommt. Aber Eben: Die Theorie allein hilft wenig, es kommt darauf an, was man daraus macht.

Sind Ferien wichtiger als eine Krise?

In Bezug auf die Corona-Pandemie gab es seit Anbeginn viele Stimmen, die warnten, diese Pandemie sei ein Beispiel einer an-/abschwellenden Krise und eben mit der ersten Beruhigung noch längst nicht vorbei. Der Verlauf der Spanischen Grippe vor hundert Jahren legt eine solche Einschätzung ebenfalls nahe. Die Krise ist also noch nicht ausgestanden. Und was tut der Bundesrat? Er meldet sich in die Sommerferien ab.

Immerhin: Nach Wochen der Abwesenheit war letzte Woche Herr Bundesrat Berset wieder einmal in den Medien zu sehen. Er musste „sein“ BAG öffentlich rüffeln, das von einer Panne in die nächste stolperte und von der NZZ, die ja sonst nicht eben für Wortspiele berüchtigt ist, als „Bundesamt für Fehltritte“ zitiert wurde.

Ansonsten bemühte sich Bern, zu vermitteln, dass nun die Kantone am Drücker seien. Mehrfach konnten wir lesen, dass der Bundesrat über den Sommer zu keiner Sitzung zusammengekommen sei. Die NZZ, die sich dank ihrem Journalisten Georg Häsler Sansano als einziger Medientitel vertieft mit den Fragen des Krisenmanagements befasst, berichtet diese Woche, dass der Bundesstab Bevölkerungsschutz noch vor den Sommerferien aufgelöst worden sei.

Wie bitte? Nach verantwortungsvollem Krisenmanagement tönt das nicht gerade. «Gouverner, c’est prévoir», sagt die Redewendung, die in der Krise noch mehr als sonst gelten sollte: Regieren heisst voraussehen. – Doch in Bundesbern scheint man sich lieber mit Adhoc-Übungen den Problemen widmen zu wollen. Eher wirkt es so, als ob man die Pandemie so kurz vor den Ferien von der ausser-ordentlichen zu einer besonderen Lage herunterstufte, um sich die eigene Sommer-Ferien nicht verhageln zu lassen. Einen zweiten Lockdown dürfe es nicht mehr geben, hiess es zwar da und dort. Aber existieren dieses Mal durchdachte, stufenweise Massnahmen und Konzepte, falls die Zahlen der Hospitalisierungen wieder nach oben schnellen sollten?

Wieder Jekami?

Man darf deshalb gespannt sein, ob die erlauchten Gremien ihre Hausaufgaben vor den Ferien noch erledigt haben.

Wir glauben eher nicht daran. Wenn man sich nur schon vergegenwärtigt, welche Kakophonie schon wieder herrscht in Bezug auf eine allgemeine Maskenpflicht in geschlossenen Räumen. Das BAG empfiehlt sie, einige Kantone lehnen sie ab oder wissen nicht so recht, was sie tun wollen. Und wieder einmal wird öffentlich darüber gestritten, wer nun was empfehlen und wer was anordnen dürfe, und auch die Vertreter der Wissenschaft streiten weiter darüber, was wissenschaftlich erwiesen ist und was nicht, Abweichler werden als «Covidioten» gebrandmarkt, aber Selbstkritik übt selbstverständlich keiner. Da sind die Klein- und Mittelbetriebe, die wir zu unseren Kunden zählen oft weiter.

Nach der Krise ist vor der Krise

Und wir bei unserem zweiten Punkt. Wir legen allen unseren Kunden, die mit einem konkreten Ereignisfall konfrontiert waren, dringend ans Herz, die eben ausgestandene Krise nicht einfach ad acta zu legen. Sondern zu analysieren, was gut lief, was schlecht lief, welche Vorkehrungen, Anpassungen in den Prozessen, in der Organisation oder auch personell vorzunehmen sind. Und wir dürfen sagen: Fast alle nehmen das ernst, analysieren entweder selbst oder lassen das durch externe Experten machen, und ziehen dann die nötigen Konsequenzen.

Und was tut die öffentliche Hand? Wir haben schon an früherer Stelle kritisiert, dass aus den vielen sündhaft teuren strategischen Führungsübungen und Sicherheitsverbund-Übungen zwar immer umfangreiche Berichte resultieren, aber die Kernerkenntnisse nicht umgesetzt werden. Ein Vorschlag der FDP, die einen interdisziplinären Führungsstab auf Stufe Bundesrat vorschlägt, wird von den Chefbeamten gleich wieder ausgeschlagen, statt dass sie den Ball aufnehmen würden. Gärtchendenken pur, und genau das Gegenteil dessen, was im Krisenmanagement gefragt ist.

Immerhin soll jetzt die IT verbessert werden soll, um sicherzustellen, dass allen Playern dieselben Datengrundlagen zur Verfügung stehen. Man spricht in diesem Zusammenhang von einer einheitlichen elektronischen Lagedarstellung. Dass es dafür erst eine «richtige» Pandemie brauchte, ist für die Schweiz eigentlich genau so ein Armutszeugnis wie der Befund des global tätigen Beratungsunternehmens Deloitte, das am Freitag meldete: «Corona-Krise deckt auf: Schweizer Behörden stecken bei der Digitalisierung noch in den Kinderschuhen».

Wissen aus der Praxis

Notabene: Digitale Werkzeuge für Krisensituationen gibt es auch für kleinere Akteure und quasi «ab der Stange». Und noch besser: Es stammt sogar aus einer Schweizer Entwicklung. DEMiOS nennt sich das Tool, liegt unterdessen in Version 3.0 vor und stammt aus dem Hause Verismo. DEMiOS ist eine webbasierte Software, die auf Smartphones, Tablets und Computern läuft und einem Krisenstab hilft, sofort produktiv zu werden und den Stabsarbeitsprozess effizient und angeleitet durchzuspielen. Wir arbeiten schon seit einiger Zeit äusserst erfolgreich damit. In kritischen Situationen ist schnelles und koordiniertes und methodisches Handeln entscheidend. Mit diesem Tool können wir bei Kunden sofort produktiv werden und die Problemstellung der Krise strukturiert und effizient anzugehen. Denn auch in der Krise kann Zeit viel Geld wert sein.

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Autor/in
Huber & Senn

Roger Huber (1964) und Patrick Senn (1969) sind ehemalige Ostschweizer Journalisten, die lange Jahre bei nationalen Medientiteln gearbeitet haben. Heute unterstützen Sie Organisationen und Führungskräfte in der Krisenkommunikation und sind Gründungsmitglieder des Verbandes für Krisenkommunikation vkk.

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